«Welcome to George Best Belfast City Airport.» Die Stimme der Flugbegleiterin knarzt im Aer-Lingus-Flug EI 31 so aus den Lautsprechern wie in den meisten Flugzeugen. Schon im allerersten Moment, an dem ich mit nordirischem Boden in Kontakt komme, bin ich also mit ihm konfrontiert: mit dem grössten Sportler, den das Land je hatte. Mit George Best.
Best starb vor zwölf Jahren, eine Legende war er schon zu Lebzeiten. Er war einer der besten Spieler seiner Generation, selbst der grosse Pelé war sein Fan. «George Best war ein unglaublicher Spieler. Ich sah ihn nie als Europäer, er war für mich ein Brasilianer», adelte er ihn.
Seine Titel auf dem Rasen: überschaubar. Als Jungspund wird er zwei Mal Meister mit Manchester United, 1968 folgt dann sein grosses Jahr. Mit den «Red Devils» gewinnt er den Meistercup, den Vorläufer der Champions League. Best schiesst in der Verlängerung den wegweisenden Treffer zur 2:1-Führung. Die «Red Devils» gewinnen schliesslich mit 4:1 und Best wird Ende Jahr zu Europas Fussballer des Jahres gewählt.
George Best war aber viel mehr als nur ein brillanter Flügelspieler. Er galt in den Sechzigern als erster Popstar des Fussballs, als fünfter Beatle. Ausschweifend war sein Leben, Alkohol und Frauen lehnte Best nie ab. Zahlreiche Aussagen sind Zeugnis dafür, wie er mit dem Image als Säufer und Weiberheld prahlte:
Eines der vielen Models in seinem Bett heiratete George Best: Angie, 1978 in der Candlelight Wedding Chapel in Las Vegas. Die war zwar keine Miss World, aber immerhin offiziell ein Playboy-Häschen. Der kurzen Ehe entsprang 1981 ein Sohn, Calum. Der ist heute, um Wikipedia zu zitieren, «eine britisch-amerikanische TV-Persönlichkeit». In anderen Worten: Bests Sprössling ist regelmässiger Gast im Schrott-Fernsehen. Er war schon im Big-Brother-Container und auf einer Liebes-Insel – und er war eine Zeit lang der Lover von Schauspielerin Lindsay Lohan. Ganz de Bappe, zumindest neben dem Platz.
Calum wuchs im sonnigen Los Angeles auf. Seinem Vater waren Regen und Kälte als Jugendlicher bekannter. Castlereagh, in der Agglomeration von Belfast, ist seine Heimat. Am 16 Burren Way wächst George Best auf, einem unauffälligen, typisch britischen Backsteinhaus. Heute können es Touristen mieten.
Maurice Kinkhead, der Chef der gemeinnützigen Organisation EastSide Partnerships, verwaltet das Haus. «Es ist mehr oder weniger so eingerichtet wie es Georges Vater hinterliess, als er 2008 starb», sagt er. «Wir haben versucht, die Möbel wenn möglich zu behalten und haben von der Familie viele Fotos erhalten, um damit die Räume zu schmücken.»
Ein persönliches Highlight habe er nicht, meint Kinkhead. «Für mich ist es schlicht ein Highlight, das Haus zu kennen, in dem George gelebt hatte und das er immer wieder besuchte, wenn er heimkehrte. Die meisten Fans, die das Haus gemietet haben, beschreiben es als ein äusserst emotionales Erlebnis.»
Das Reihenhaus liegt im Südosten Belfasts und bestimmt nicht in der nobelsten Ecke der Stadt. Je weiter sich der Bus – es gibt hier weder U-Bahn noch Tram – vom Zentrum entfernt und je näher die Hügel kommen, desto rauer wirkt die Gegend. Kaum jemand, der hier lebt, dürfte sein Quartier als «schön» bezeichnen. Man darf das nicht falsch verstehen, Charme hat es durchaus. Irgendwie. Müsste ein Schweizer beschreiben, wie eine typisch englische britische Strasse aussieht: Er würde sie wohl genau so beschreiben wie den Ort, an dem George Best aufwuchs. Unnötig zu erwähnen, dass hier gefühlt jedes dritte oder vierte Geschäft ein Fish'n'Chips-Laden ist.
Nur einen Steinwurf vom Wohnhaus entfernt: Die Wiese, auf der Klein-Georgie erstmals einem Ball nachrannte. Oder die anderen Kinder Klein-Georgie, wenn der den Ball hatte. Sein Talent sahen aber nicht alle: Beim Belfaster Klub Glentoran befanden sie ihn für zu klein und zu leicht. Gut, war Bob Bishop ganz anderer Meinung. «I think I've found you a genius», telegraphierte der Scout von Manchester United über die irische See an Manager Matt Busby. Er war davon überzeugt, auf einen Diamanten gestossen zu sein, die «Red Devils» verpflichteten ihn nach einem Probetraining.
Nach dem Umzug als 15-Jähriger packte ihn zunächst zwar schon nach zwei Tagen das Heimweh und er kehrte überstürzt nach Hause zurück. Doch im zweiten Anlauf packte es Best in Manchester, wo der Klub dem Jüngling eine Arbeitsstelle als Laufbursche besorgt hatte. Er eroberte die Herzen im Sturm: jene der Männer durch seine Leistungen, jene der Frauen durch sein Auftreten.
470 Partien bestritt George Best für Manchester United, 179 Tore erzielte er. Das vielleicht wertvollste war das bereits geschilderte 2:1 in der Verlängerung des Meistercupfinals gegen Benfica:
Doch so brillant er auf dem Platz auch war, immer öfter verärgerte Best die Bosse von Manchester United durch sein Verhalten abseits des Rasens. So suspendierte ihn der Klub in der Saison 1970/71 für zwei Wochen, weil der den Zug ans Auswärtsspiel bei Chelsea verpasste. Stattdessen verbrachte Best das Wochenende mit einer Schauspielerin. Und in der darauf folgenden Saison erschien er eine ganze Woche nicht im Training, weil er lieber Zeit mit der Miss Grossbritannien verbrachte. Mehr als einmal büsste ihn Manchester United, mehr als einmal verkündete der genervte George Best seinen Rücktritt. Geld brachten schliesslich auch die Boutiquen und Nachtclubs, die er in der Zwischenzeit eröffnet hatte.
Am 1. Januar 1974 lief Best zum letzten Mal als Spieler von Manchester United auf. Wenn auch seine Karriere mit 28 Jahren noch nicht vorbei war, seine Glanzzeit war abgelaufen. Fortan tingelte er durch die Welt. Er denke, dass er «momentan ein komplettes Wrack» sei, sagte Best, der kurz in Südafrika und Irland spielte, ehe er nach Nordamerika wechselte. Typisch Best war seine Begründung dafür:
Fünf Jahre lang spielte Best in Los Angeles, Fort Lauderdale und San Jose, zwischen den US-Saisons einmal für Fulham und einmal für die Hibs in Schottland. Dort wurde ihm seine Trinksucht wieder einmal zum Verhängnis, als das französische Rugby-Nationalteam in der Stadt war, dem er sich anschloss. Best wurde umgehend entlassen.
1983 schliesslich, zwanzig Jahre nach seinen ersten Profi-Einsätzen für Manchester United und im Alter von 37 Jahren zog George Best endgültig einen Schlussstrich unter seine Karriere. An eine WM oder EM schaffte er es mit Nordirland nie. Zwar qualifizierte sich sein Heimatland für die Weltmeisterschaften 1982, aber Coach Billy Bingham verzichtete auf den umstrittenen Oldie, dessen letztes von 37 Länderspielen fünf Jahre zurück lag.
Best kehrte nach Europa zurück, wo sich sein Gesundheitszustand zusehends verschlechterte. Er zahlte nun den Tribut für seinen ausschweifenden Lifestyle. Vom Alkohol konnte er die Finger aber trotz Leberproblemen nicht lassen.
Weihnachten 1984 verbrachte das gefeierte Idol hinter Gittern. Er hatte eine dreimonatige Gefängnisstrafe kassiert, weil er betrunken Auto gefahren war, einen Polizisten angegriffen hatte und gegen Kautionsauflagen verstiess.
Die Flaschen wurden nie leer. Best soff weiter, immer weiter. Bis im März 2000 ein ernsthafter Leberschaden festgestellt wurde, das Organ funktionierte noch zu 20 Prozent. Zwei Jahre später erhielt er eine Spenderleber, die sein Leben verlängerte. Aber Best blieb Best: Die Flaschen wurden auch jetzt nie leer.
Dass er weiter soff, allen gesundheitlichen Problemen zum Trotz, brachte ihm zunehmend Kritik ein. 2004 musste er den Führerausweis für 20 Monate abgeben, weil er wieder mal betrunken am Steuer eines Autos erwischt wurde. Best erhielt ihn nie mehr wieder.
Denn am 25. November 2005 hörte sein Herz auf zu schlagen. Kurz vorher wandte er sich noch mit der Botschaft an die Öffentlichkeit, aus seinen Fehlern zu lernen: «Sterbt nicht wie ich».
Roselawn Cemetery im Südwesten von Belfast, fünf Kilometer vom Ort, wo George Best aufgewachsen ist. Hier liegt er begraben, im Grab S295, er wurde an der Seite seiner Mutter Annie beigesetzt. Später kam auch Vater Dickie dazu.
Bests Beerdigung kam einem Staatsbegräbnis gleich. Rund 100'000 Menschen säumten die Strassen, um ihrem Idol die letzte Ehre zu erweisen.
George Best liess die Nordiren nie los. Im Jahr darauf, am Tag an dem er seinen 60. Geburtstag gefeiert hätte, wurde der städtische Flughafen nach ihm umbenannt. Und an seinem ersten Todestag gab die Ulster Bank eine Million Fünf-Pfund-Noten heraus, die den Fussballer im Dress von Manchester United und von Nordirlands Nati zeigen. Sie waren innert fünf Tagen vergriffen.
Dass der Hype um George Best immer noch gross ist, zeigt sich an der Bedford Street in der Belfaster Innenstadt. Dort ist für den nächsten Sommer die Eröffnung eines George-Best-Hotels geplant.
Wieso ist George Best immer noch so populär? Selbst bei jenen, die ihn nie haben spielen sehen? Weil es wie bei James Bond ist: Jeder möchte ein bisschen wie er sein. Best konnte Fussball spielen wie ein Herrgott. Er hatte Eskapaden mit den schönsten Frauen. Er scherte sich einen Dreck um morgen und griff lieber zur nächsten Flasche, um die Party zu verlängern, als brav nach Hause zu gehen und sich auszuruhen. Sein Leben war wie das eines 18-Jährigen, der eine Woche Ferien am Ballermann macht. Mit dem Unterschied, dass George Bests Leben nicht sieben Tage dauerte, sondern 59 Jahre. Immerhin.