Jedes der 32 Teams war nach heute Nacht einmal im Einsatz. In 16 Partien fielen dabei nicht nur sagenhafte zehn Joker-Tore, sondern insgesamt deren 49 Treffer. Das gibt einen Schnitt von 3,0625 Treffer pro Partie. Da lacht jedes Fussballerherz!
Besonders «toranfällig» war bisher die Arena Fonte Nova in Salvador. Erst demontierte Holland Spanien mit 5:1, dann zerlegte Deutschland Portugal beim 4:0 in seine Einzelteile. Raten Sie mal wer als nächstes in jenem Stadion spielt? Die Schweiz. Gegen Frankreich. Am Freitag. Anschnallen!
Wenn die Teams in Brasilien weiter so treffsicher sind, dann wird der höchste Torschnitt einer Endrunde seit 1958 (3,6000) erreicht. Es wäre seither erst das zweite Mal, dass an einer WM durchschnittlich mehr als 3 Tore pro Partie fallen (1994: 3,0577). Ob diese Marke geknackt wird, ist fraglich. Relativ sicher dürfte dagegen sein, dass der bisherige Tore-Tiefwert von 2010 mit 2,4531 Treffern pro Spiel deutlich überboten wird.
Der «Telegraph» hat sich auf die Suche nach Erklärungen gemacht. Gefunden wurde keine eindeutige Erklärung, aber mehrere spannende Theorien:
Mit Bosnien-Herzegowina steht nur ein Team erstmals auf dem grossen Parkett. Alle übrigen Mannschaften waren in den 16 Jahren zuvor mindestens einmal vertreten. Als Neulinge gelten für den Telegraph alle Teams, die zuvor 20 Jahren nicht mehr das Endrunden-Ticket lösten. In Südafrika 2010 waren es noch vier solche Teams.
Der Torschnitt bei Spielen mit solchen Equipen liegt seit 1974 bei 0,87. Ohne sie bei 1,78. Dabei fallen nicht mehr Tore, weil die Neulinge oft abgeschossen werden, sondern es fallen weniger, da diese meist defensiver auftreten und in erster Linie die Partie in erster Priorität ausgeglichen gestalten wollen.
Kleine Teams spielen grundsätzlich defensiver. Womit wir bei Punkt 2 wären. Das Gefälle der 32 WM-Equipen ist aktuell kleiner als 2010. Von den 23 Topnationen im Fifa-Ranking fehlt nur die Ukraine. Zudem trennt das am schwächsten klassierte Team (Australien) nur 959 Punkte vom Topplatz. 2010 war die Differenz noch 1485 Zähler (Nordkorea).
Sind die Kräfteverhältnisse näher beisammen, versuchen Teams eher auch in der Offensive ihr Glück. Trifft jedoch ein Aussenseiter auf einen klaren Favoriten, wird schneller gemauert.
2010 agierten die meisten Teams in einem 4-2-3-1. In Brasilien versuchen einige Mannschaften auch andere Systeme. Prallen unterschiedliche Aufstellungen aufeinander, ergibt das mehr freien Raum.
So werden 2014 weniger Seitenwechsel (27,3 pro Spiel) als 2010 geschlagen (32,4) und es passieren weniger Fouls (26,0 gegen 31,3 pro Spiel). Dies alles deutet auf mehr Platz auf dem Feld. Mehr Platz führt wiederum zu mehr Chancen und somit im Normalfall auch zu mehr Toren.
Vielleicht gibt es aktuell einfach auch viele gute Stürmer, dafür aber weniger gute Verteidiger. Rund 50 Prozent der WM-Teilnehmer verdienen ihre Brötchen in einer der vier grossen Ligen Europas. In all diesen ist der Torschnitt in den letzten vier Jahren merklich gestiegen:
Premier League:
2006 bis 2010: 2,58 Tore
2010 bis 2014: 2,79 Tore
Primera Division:
2006 bis 2010: 2,67 Tore
2010 bis 2014: 2,78 Tore
Bundesliga:
2006 bis 2010: 2,82 Tore
2010 bis 2014: 2,96 Tore
Serie A:
2006 bis 2010: 2,58 Tore
2010 bis 2014: 2,61 Tore
Dazu kommt, dass an der WM 2014 bisher mit 24,4 Schüssen pro Spiel gut deren zwei mehr abgegeben wurden als 2010. In Südafrika erfolgten 81 Prozent davon im Strafraum, in Brasilien sind es schon 88,6 Prozent.
Zum Abschluss könnte auch noch das Wetter eine Rolle spielen. In Südafrika war Winter, in Brasilien steigen die Temperaturen. Die Spieler haben mehr Mühe sich zu konzentrieren, sie rennen weniger, es gibt wieder mehr Platz und dadurch mehr Chancen.
Auch ein Blick auf den American Football bringt einen Lösungsansatz. Dort hat man herausgefunden, dass im Herbst rund acht Prozent mehr Pässe ankommen, als im kalten Winter später in der Saison. Werden Winterspiele aber Indoor ausgetragen, steigt die erfolgreiche Passquote wieder. Man kann Fussball zwar so nicht mit American Football erklären, aber ein Gedanke ist es wert.