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So mies ist das Geschäft der Schlepper

So mies ist das Geschäft der Schlepper

In Italien sind 38 mutmassliche Mitglieder einer Schlepperbande verhaftet worden. Möglich wurden die Verhaftungen dank einem bereits inhaftierten Menschenhändler, der mit der Polizei zusammenarbeitet.
04.07.2016, 22:0605.07.2016, 07:36
Dominik Straub, Rom / Nordwestschweiz
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Bild: STRINGER/ITALY/REUTERS

«Manchmal werden Flüchtlinge, die ihre Reise durch die Wüste nicht bezahlen können oder kein Geld mehr für die Überfahrt über das Mittelmeer haben, an eine Bande von ägyptischen Organhändlern verkauft», berichtete Nuredin Atta Wehabrebi den italienischen Ermittlern. Die Ägypter bezahlten pro Flüchtling etwa 15'000 Euro – um diesem später die Organe zu entnehmen und ihn dann zu töten, so Wehabrebi. Der Eritreer war vor zwei Jahren an seinem Wohnort im sizilianischen Agrigento festgenommen worden – er ist der erste ehemalige Schlepper, der mit der italienischen Polizei zusammenarbeitet.

Seine grausame Geschichte befindet sich nun in den Akten der Staatsanwaltschaft von Palermo. Ob sie den Tatsachen entspricht, ist offen: Wehabrebi gibt selber an, dass er sie nur vom Hörensagen von libyschen Schlepperbossen kennt. Gemäss Angaben der US-Gesundheits- und Menschenrechtsorganisation COFS, die sich seit Jahren gegen den illegalen Organhandel einsetzt, missbrauchen ägyptische Organhändler aber schon seit längerem Migranten (und auch deren Kinder) als menschliche «Ersatzteillager». Wahrscheinlich seien diesen Verbrechern schon Hunderte von Flüchtlingen aus dem Sudan, Eritrea, Äthiopien, Somalia, Jordanien, Irak und Syrien zum Opfer gefallen, so schätzt die COFS.

Kriminelles Netzwerk

Fest steht, dass die Kooperationsbereitschaft des Ex-Schleppers Wehabrebi gestern die grösste Razzia gegen Menschenhändler ermöglicht hat, welche die italienische Polizei bisher durchführen konnte: Bei einer koordinierten Aktion konnten am Montag im ganzen Land insgesamt 38 Mitglieder einer international tätigen Bande festgenommen werden, darunter auch ein Italiener.

Dank den Angaben Wehabrebis konnten zwei wichtige Stützpunkte der Schlepper ausgehoben werden: Beim ersten handelte es sich um eine von einem Eritreer geführte Bar in Palermo, beim zweiten um eine ebenfalls von einem Eritreer geführte Parfümerie in Rom. In Letzterer konnte die Polizei gestern 526'000 Euro und 25'000 Dollar sicherstellen, beides in bar. Auch eine Art Buchhaltung mit Hunderten von Namen und Telefonnummern fiel den Ermittlern bei der Razzia in die Hände.

«Die Organisation arbeitet wie ein kriminelles Netzwerk, mit Zellen in verschiedenen Territorien, wobei jede einzelne ihre ganz spezifischen Aufgaben erfüllt», erklärte der Staatsanwalt von Palermo, Franco Lo Voi, gestern gegenüber den Medien. Zuerst werde die Einreise nach Italien organisiert, und danach werde eine Logistik bereitgestellt, mit welcher die Flüchtlinge von Sizilien zunächst nach Rom und Mailand weiterreisen könnten, selbstverständlich gegen erneute Bezahlung.

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Von dort aus werde die letzte Etappe in die jeweiligen Wunschländer organisiert – «hauptsächlich nach Deutschland, in die Niederlande oder nach Skandinavien», wie Lo Voi betonte. Allein im vergangenen Sommer habe das Schlepper-Syndikat rund 4000 Flüchtlinge nach Italien gebracht und dabei «mehrere Millionen Euro» umgesetzt.

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Für 15'000 Euro mit Flugzeug

Die kriminellen Reiseveranstalter hatten auch Spezialangebote für die zahlungskräftige Kundschaft: Wer 10'000 bis 15'000 Euro aufbringen konnte, der kam gemäss Angaben der Ermittler nicht über den gefährlichen Weg durch die Wüste und über das Mittelmeer nach Europa, sondern mit dem sicheren Flugzeug. Zu diesem Zweck wurden «Familienzusammenführungen» organisiert, die von den Behörden aufgrund von gefälschten Familienausweisen oder Heiratsbestätigungen mit bereits in Italien anwesenden Migranten bewilligt wurden.

Als Zahlstellen dienten dabei verschiedene getarnte Gewerbebetriebe in Italien, wie zum Beispiel die Bar in Palermo und die Parfümerie in Rom, wo die italienischen Beamten vor der gestrigen Razzia «Wanzen» platziert hatten. (aargauerzeitung.ch)

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22 Kommentare
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Spooky
04.07.2016 22:12registriert November 2015
" Zu diesem Zweck wurden «Familienzusammenführungen» organisiert, die von den Behörden aufgrund von gefälschten Familienausweisen oder Heiratsbestätigungen mit bereits in Italien anwesenden Migranten bewilligt wurden."

Das ist der wichtigste Satz im ganzen Artikel. Denn ohne Zusammenarbeit mit den Behörden (auch mit den EU-Behörden) gäbe es keine Toten im Mittelmeer.
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