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Warum niemand Dschingis Khans Beerdigung überlebte

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Warum niemand Dschingis Khans Beerdigung überleben durfte

27.09.2018, 20:0228.09.2018, 13:43
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Was ist «Anekdoteles»?
Abgesehen davon, dass es sich hier um einen ungemein gelungenen Wortwitz handelt, ist Anekdoteles unser Kurzformat für schmissige historische Anekdoten.
«Glück bedeutet, seine Feinde zu vernichten, sie ihres Reichtums zu berauben und auf den weissen Bäuchen ihrer Frauen und Töchter zu schlafen.»
Dschingis Khan

So lautete die Devise des Eroberers, der während des heraufdämmernden 13. Jahrhunderts die mongolischen Stämme vereinte, um mit ihnen die halbe Welt zu erobern. Diese Welt war rau wie die staubigen, unendlich scheinenden Steppen, über deren borstige Gräser er preschte. Hier galt das Gesetz des Stärkeren, und Dschingis Khan war stark. 

Dschingis Khan auf einem Bildnis aus dem 14. Jahrhundert.
Dschingis Khan auf einem Bildnis aus dem 14. Jahrhundert.bild: wikimedia

Er musste es mit neun Jahren schon werden, nach dem Tod seines Vaters, einem Klanchef des Mongghol-Stammes, den man vergiftet hatte. Seines Erbes beraubt, gedemütigt und verfolgt, kämpfte sich der Junge, den man Temüdschin getauft hatte und der sich vor Hunden fürchtete, wieder nach oben. Er verhandelte geschickt mit den verschiedenen mongolischen Sippen und beendete auf diese Weise ihre kleingeistigen Fehden. Denn draussen vor ihren Zelten lag der Rest der Welt, man musste ihn sich nur nehmen. 

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Und er nahm ihn sich, der Mann, dessen Stammbaum von einem Wolf und einer Hirschkuh begründet worden war, am Fusse des heiligen Berges Burchan Chaldun, wo die Geister seiner Ahnen wohnten. 

1206 wurde er von den Schamanen und Stammesfürsten zum Grosskhan aller Mongolen ernannt – zu Dschingis Khan, dem ungestümen, ozeangleichen Herrscher. 

Als solcher besiegte er die Tataren, die Keraiten und Naimanen, eroberte das Reich der Tanguten und Jurchen, unterwarf die Jin-Dynastie und machte sich auch manch ein muslimisches Königreich zu eigen. Dschingis Khans Nachfolger sollten seinem 19 Millionen-Quadratkilometer-Erbe noch einiges hinzufügen, sodass es bald zum grössten Reich anschwellen würde, das die Menschheit je zu Gesicht bekam. 

Zeitweise reichte das Mongolische Imperium im Westen bis nach Rumänien an die Donau, sogar in Schlesien wütete die Goldene Horde 1241 in der Schlacht von Liegnitz, doch zog sie sich danach wieder zurü ...
Zeitweise reichte das Mongolische Imperium im Westen bis nach Rumänien an die Donau, sogar in Schlesien wütete die Goldene Horde 1241 in der Schlacht von Liegnitz, doch zog sie sich danach wieder zurück. Im Osten versuchten die Mongolen, Japan einzunehmen, ein «göttlicher Wind» – von den Japanern «Kamikaze» genannt, wusste dies aber zu verhindern und zerstörte die gegnerische Flotte zwei Mal – 1274 und 1281.bild: manofmillennium

Grösser als das Imperium Romanum, grösser auch als das Reich Alexanders des Grossen, grösser als alles, was einmal gierigen britischen Kolonialhänden unterstand. Die Mongolen beherrschten bald ein Gebiet, das von der Donau bis zum Pazifischen Ozean reichte.

Doch noch war es nicht ganz so weit, noch war Dschingis Khan daran, den Grundstein zu legen für dieses Imperium. Mit seiner ihm treu ergebenen Armee legte er ganze Städte und Dörfer in Schutt und Asche, massakrierte die Männer und vergewaltigte die Frauen. Manchmal verschonte er diejenigen, die nicht grösser waren als die Achshöhe eines Ochsenkarrens.

Meistens aber nicht. 

«Um Täuschungen seitens der Opfer zu verhüten, schlug man den Leichen die Köpfe ab und errichtete aus ihnen Pyramiden von Menschenschädeln, getrennt nach Männern, Frauen und Kindern. Man tötete alles, einschliesslich der Hunde und Katzen.»
René Grousset, Historiker
Die Schädeltürme der mongolischen Heere – «Apotheose des Krieges» von Wassili W. Wereschtschagin.bild: wikimedia

Architekten und Handwerker hatten die grösste Chance, Dschingis Khans mörderischem Schwert zu entgehen, er brauchte sie für den Aufbau seines Grossreiches. Die Verwaltung desselben verlangte ein einheitliches Gesetzbuch und eine eigene Schrift – für all dies sorgte Dschingis Khan, der Analphabet. 

1226 zog er mit seinen Männern noch einmal gegen die Tanguten. Dieses Volk siedelte seit fast 200 Jahren im nordwestlichen China, am Gelben Fluss (Huang He). Und es hielt sich nicht an die Pflichten, die der mongolische Grosskhan ihnen auferlegt hatte. Sie lieferten ihm keine Pferde und auch keine Hilfstruppen für seine blutigen Eroberungszüge. Also bestrafte er sie. Und zwar so sehr, dass kaum ein Tangute seinem Zorn entkam. 

«Selbst wenn es meinen Tod bedeuten sollte, werde ich sie ausrotten.»
Dschingis Khan
Mongolische Krieger. 
Mongolische Krieger. bild: amgalant

Die Felder waren bald übersät mit menschlichen Gebeinen. Doch auch Dschingis Khan selbst sollte nicht ungestraft davonkommen. 

In der «Geheimen Geschichte der Mongolen», deren Verfasser unbekannt ist, heisst es, Dschingis Khan sei von seinem Pferd geworfen worden und habe sich schwer verletzt. In der Nacht sei sein Fleisch ganz heiss geworden. Und zum Gebrüll der Reiter, den Schreien der niedergesäbelten Tanguten und dem Getrommel der Pferdehufe, mit dieser donnernden Todesmusik in den Ohren, zu der der Grosskhan 65 Jahre lang getanzt hatte, tat er seinen letzten Atemzug. 

Vielleicht aber ist er auch durch die Hand einer Frau gestorben. So will es zumindest eine Volkslegende, die einer schönen Tangutenprinzessin ein Messer ins Haar dichtete, mit dem sie sich in sein Zelt aufmachte. 

Dschingis Khan schickte nach ihr, nachdem er ihre Familie in der Schlacht besiegt hatte – sie sollte ihm die Nacht versüssen. Doch sobald er sich an ihr vergehen will, greift sie zu ihrem Dolch und entmannt den Vergewaltiger.

Da lag er dann, der grosse Anführer der Mongolen, und blutete seinem Tod entgegen. 

Seine letzte Reise führte ihn vom Gelben Fluss durch die Wüste Gobi viele Kilometer nach Norden in seine Heimat. Dort begrub man ihn, gemeinsam mit seinen Schätzen, auf der Göttlichen Weide, dem heiligen Berg Burchan Chaldun. Die Krieger trieben danach tausende Pferde über den Platz, damit alle Spuren für immer verwischt wurden. 

Das monumentale Reiterstandbild des Dschingis Khan. Es steht rund 54 Kilometer südöstlich der mongolischen Hauptstadt Ulaanbaatar.bild: shutterstock

Dann erschlugen sie die Sklaven, die das Grab geschaufelt hatten. Jedes Lebewesen, das sich in der Nähe des toten Mongolenherrschers aufgehalten hatte, die tausend Teilnehmer der Bestattung, alle wurden niedergemacht. Selbst die Krieger, hundert an der Zahl, empfingen den Tod durch die Schwerter dieser Tradition. Ihre Tränen und ihr Blut sickerten in die Erde, aus der sich bald Tannen erhoben, hoch gewachsene, stramme Grabwächter, die mit ihren Nadelästen den heiligen Ort vor Eindringlingen schützten.

Diese Menschen starben für «Ikn Khoring», das «Grosse Tabu». Denn niemand durfte je erfahren, wo der ozeangleiche Herrscher begraben liegt.

Und so schweigt der heilige Berg bis heute. Er trotzte den unzähligen Grabungen von Archäologen, spottete japanischen Infrarotgeräten und Satellitenfotos und entzog sich ebenso den gierigen Händen des Rechtsanwaltes Maury Kravitz, der über 40 Jahre lang wie ein Besessener nach Dschingis Khans Grabstätte suchte.

Doch auch seine Millionen versickerten allesamt in den endlosen Weiten der mongolischen Steppe.

Wahrheitsbox
Solange die sagenumwobene Grabstätte und die Leiche Dschingis Khans nicht gefunden sind, kann man auch keine Rückschlüsse auf die Todesursache ziehen. Die Forschung hält jedoch einen Reitunfall, wie er in der Geheimen Geschichte der Mongolen (1240) überliefert ist, am wahrscheinlichsten. Der 65-Jährige erlag wohl an dessen Folgen, womöglich raubte eine Lungenentzündung dem Verletzten die letzte Kraft.
Laut der Hypatiuschronik (15. Jahrhundert), die eine Abschrift der Galizisch-Wolhynischen Chronik aus dem 13. Jahrhundert enthält, fiel Dschingis Khan im Kampf gegen die Tanguten.
Die Legende mit der Kastration hingegen ist wohl ein Produkt aus dem 17. Jahrhundert aus der Feder des westmongolischer Oirat-Stammes, der über Jahrhunderte mit den Ost-Mongolen des Khans um die Vorherrschaft kämpfte. Sie ist also mit grosser Wahrscheinlichkeit aus dem innigen Wunsch entstanden, dem Grosskhan böswillig ein möglichst schmähliches Ende zu bereiten. 

Und nun ... ihr wisst schon ... es muss sein ...

Und dies geschah zur selben Zeit nicht allzu weit entfernt ...

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Ein katholischer Pfarrer an einem Nudistenstrand in England, 1974. Möglicherweise ist das Bild gestellt, lustig bleibt es dennoch. bild: reddit
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21 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Filzstift
27.09.2018 20:51registriert August 2016
Schon irgendwie krass. Zu jener Zeit waren Vergewaltigungen und Massaker so selbstverständlich wie bei uns der Abwasch. Da bin ich schon irgendwie froh nicht schon damals gelebt zu haben (bin mir aber bewusst dass das in einigen Gegenden heute kaum besser ist).
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Pryda
27.09.2018 21:02registriert Juli 2018
Da werden gleich Erinnerungen an Age of Empires2 wach. :)
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Spooky
27.09.2018 20:24registriert November 2015
«Selbst wenn es meinen Tod bedeuten sollte, werde ich sie ausrotten.»

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