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Deutschland wundert sich über den «Oster-Lockdown»

«Die Kanzlerin war plötzlich weg» – Deutschland wundert sich über den «Oster-Lockdown»

So etwas hat es in der Pandemie noch nie gegeben: Auf die längste Konferenz von Bund und Ländern folgt die grösste Unklarheit über das, was nun kommt. Viel zu viele Fragen und viel zu wenige Antworten.
24.03.2021, 10:2924.03.2021, 10:30
Marco Hadem, Christoph Trost
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epa09090772 (L-R) Berlin's Mayor Michael Mueller, German Chancellor Angela Merkel and Premier of Bavaria Markus Soeder attend a press conference after a video conference with German State Premier ...
Merkel und Söder.Bild: keystone

Am Morgen nach der 15-stündigen Konferenz von Bund und Ländern herrscht Ernüchterung. In ganz Deutschland rätseln Menschen, was der um drei Uhr morgens von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) verkündete «Oster-Lockdown» nun konkret bedeutet: Sind Osterfeiern noch möglich? Wie viele Verwandte darf ich noch treffen? Was ist sonst über Ostern erlaubt, was verboten? Und was bringt die fünftägige «Osterruhe» im Kampf gegen die dritte Corona-Welle?

Nach Kritik: Merkel berät kurzfristig erneut mit Länderchefs
Nach der massiven Kritik an den jüngsten Corona-Beschlüssen der Bund-Länder-Runde will die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel kurzfristig erneut mit den Ministerpräsidenten der Länder beraten.
Um 11.00 Uhr werde es eine Schalte der Kanzlerin mit den Regierungschefs geben, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Mittwoch in Berlin. Dabei werde es um den Umgang mit der anhaltenden Kritik gehen.
Unmut hatte sich vor allem daran entzündet, dass nach den stundenlangen Corona-Beratungen in der Nacht zum Dienstag die Umsetzung zentraler Beschlüsse noch offen war. (sda/dpa)

Sogar die Ministerpräsidenten, die den neuen Kurs mit Merkel in der 15-stündigen Sitzung beschlossen haben, können nicht alle Fragen beantworten. Klar hätte ein längerer Oster-Lockdown mehr Wirkung, sagt Bayerns Regierungschef Markus Söder (CSU) in München. Aber auch die fünf Tage böten eine «gute Chance, das Infektionsgeschehen in eine neue Bahn zu lenken». Zahlen, die das untermauern, könne er keine nennen, «aber wirken wird es auf jeden Fall».

Schulterzucken bei den Ministerpräsidenten

Anderes Bundesland, gleiches Problem: Auch in Stuttgart muss sich der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) viele Fragen gefallen lassen, nicht alle kann er beantworten – etwa welche Geschäfte an den beiden «Ruhetagen» Gründonnerstag und Karsamstag geschlossen bleiben müssten. «Ich würde mir vorstellen, dass das ein dem Feiertag entsprechender Ruhetag ist», sagt er und bittet um «Nachsicht», dass die genaue Umsetzung der Beschlüsse noch geprüft werden müsse.

epa08716968 Dietmar Woidke, President of the Federal Council, attends an ecumenical church service at Saint Peter and Paul church during German Unity Day in Potsdam, Germany, 03 October 2020. EPA/ANDR ...
WoidkeBild: keystone

Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) muss in einem Interview ebenfalls auf Nachfragen mit den Schultern zucken. Ob ein Ruhetag gleichbedeutend mit einem gesetzlichen Feiertag sei, wird er im Radio gefragt. «Nicht ganz so, aber so etwas ähnliches», sagt Woidke. Weiter: Der Begriff sei «definiert im Arbeitsschutzgesetz, glaube ich, irgendwo steht es drin, aber es war heute früh um halb drei, als wir angefangen haben, darüber zu diskutieren.»

Auch in Berlin geben Bundespolitiker hinter den Kulissen zu, dass der Beschluss noch viele Fragen offen lässt. Nur weil Bund und Länder Regelungen aufschreiben würden, sei für die praktische Umsetzung noch längst nicht alles geklärt, heisst es. Am Ende folge der Beschluss dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das sei aber leider nicht das, was in der dramatischen Phase der Pandemie nötig sei. Zu den offenen Detailfragen ist hier auch was zu erfahren: Bis Mittwoch würden Bund und Länder hier hoffentlich Antworten liefern.

Ratlosigkeit – auch beim CDU-Vorsitzenden

Während sich landauf, landab Politiker aller Couleur also teils nervigen Fragen stellen müssen, ist von einem auffällig wenig zu hören, dabei wäre seine Meinung von besonderem Interesse. Als sich Neu-CDU-Chef und NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) am Dienstagmorgen um 02.45 Uhr in der Düsseldorfer Staatskanzlei vor die Kameras stellt, findet er nur kritische Worte zur Entscheidung der Bundesregierung, Mallorca von der Liste der Corona-Risikogebiete zu streichen. Das war's. Nicht nur in der CDU lässt das viele ratlos zurück. Von einem möglichen Kanzlerkandidaten der Union müsse man gerade jetzt mehr Präsenz und Führung erwarten, heisst es.

Um die Situation verstehen zu können, hilft ein Rückblick auf den Verlauf der Sitzung. Tatsächlich ist der Plan für den Blitz-Lockdown vom 1. bis 5. April anders als bei den Ministerpräsidentenkonferenzen (MPK) sonst üblich nicht tagelang vorbereitet worden. Vielmehr wurde, er aus der Not heraus geboren, weil immer mehr Inhalte aus dem ursprünglichen Beschluss keine Mehrheit finden, die Schalte steht kurz vor dem Scheitern. Das Fass zum Überlaufen bringt schliesslich der angedrohte Alleingang mehrerer Bundesländer, als Reaktion auf die Flut an Mallorca-Reisende auch ihren Bürgern unter Auflagen kontaktlose Urlaube in Ferienunterkünften zu erlauben.

In der Folge sind Geduld und starke Nerven gefragt. Rund sechs Stunden lang verhandeln Merkel, Söder, Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und Finanzminister Olaf Scholz (beide SPD) unter acht Augen weiter, der Rest schaut meist in die sprichwörtliche Röhre. «Die Kanzlerin war plötzlich weg», fasst ein Ministerpräsident die ewig lange Pause zusammen. Immer wieder hätten die SPD-Länder und die Unionsseite getrennt mit Experten beraten.

Das Fazit fällt also denkbar schlecht aus: Die Konferenz sei von allen Seiten schlecht vorbereitet gewesen, der Konflikt sei ja absehbar gewesen, ist zu hören. In der Tat fällt in den Tagen der Konferenz auf, dass die Länder auch untereinander sehr uneinig waren.

Andere spekulieren, ob der erfahrenen Krisenmanagerin Merkel zum Ende ihrer Amtszeit die Zügel entgleiten.

Der Föderalismus wird zum Problem

Anders als in den vergangenen fast 13 Monaten Pandemie zeigt sich in der ungewöhnlich homogenen Kritik am MPK-Beschluss nicht nur, wie tief der Corona-Frust auch bei den Spitzenpolitikern längst sitzt, in jedem Zwist werden auch die Grenzen des Föderalismus gnadenlos aufgezeigt. Denn letztlich ist der Bund in der Corona-Krise auf das Wohlwollen der Länder angewiesen. So mächtig Merkel international auch sein mag – in die Länder hinein kann sie nicht durchregieren.

Unionsfraktionschef Ralph Brinkhaus (CDU) findet klare Worte: Dass nicht nur eine Bundesregierung und ein Bundestag über die Massnahmen entscheiden würden, sondern auch 16 Ministerpräsidenten und letztlich 16 Landtage, sei "natürlich in der Krise immer ein Problem". Wenn so viele Menschen am Tisch sässen, sei es sehr schwierig, immer wieder eine klare, stringente Linie zu organisieren.

Hierzu ist zumindest unter der Hand schon lange von der Befürchtung zu hören, dass das Problem in den kommenden Monaten grösser werde, je näher die Bundestagswahl am 26. September rücke. Parteitaktische Interessen seien in der Pandemie zwar sicher immer hinten angestellt, ganz ausblenden liessen sie sich aber eben auch nicht, heisst es.

Entscheidungen zwischen «ein und drei Uhr nachts»

Der für seine pointierten Worte bekannte Söder fasst die Lage so zusammen: «Ich glaube, dass wir auch daran arbeiten müssen, unsere prozessualen Verfahren deutlich zu verbessern. MPks, die 15 Stunden dauern, bei denen dann die wesentlichen Entscheidungen zwischen ein und drei Uhr nachts gefällt werden, bergen die Gefahr, dass am Ende nicht alle Details geklärt und damit auch Kommunikation, gerade auch bei so sensiblen Fragen, schwieriger wird.»

Von der Kanzlerin ist am Tag nach der Marathonsitzung nur über Umwege Neues zu hören. In der Sitzung der Unionsfraktion wirbt sie nach Angaben von Teilnehmern um Rückendeckung für den Oster-Lockdown. Ansonsten verweist sie auf die Notwendigkeit von Impferfolgen, um die Pandemie endlich besiegen zu können. Zeitgleich sind aus der CSU im Bundestag erste Rufe nach Nachbesserungen am Beschluss zu hören.

In der Nacht hatte Merkel noch in der ihr ganz eigenen Sachlichkeit von einer intensiven Arbeit berichtet und betont, dass Bund und Länder, «aber vor allem auch alle Menschen in Deutschland – gemeinsam einen wirklich harten Weg gegangen» seien, «einen Weg mit Erfolgen, aber auch mit Rückschlägen». Ob sie die jüngste Sitzung selbst zu den Rückschlägen rechnet, wird wohl für immer ihr Geheimnis bleiben.

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So lustig sind die Deutschen: 20 witzige Bilder
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27 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Müller Lukas
24.03.2021 10:39registriert August 2020
Der entscheidende Fehler war wohl die Freikarte für Mallorca. Damit macht ein Urlaubsverbot im Inland natürlich überhaupt keinen Sinn mehr.
Wieso sollte eine Familie keinen Campingurlaub an der Ostsee machen dürfen, während sich die Temporäralkis auf Malle hemmungslos die Kante geben?
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Hillman
24.03.2021 10:43registriert Dezember 2018
Es wäre wahrscheinlich an der Zeit einzusehen dass das so nicht weiter funktioniert. Die Definition von Wahnsinn ist es immer wieder dasselbe zu tun aber unterschiedliche Resultate zu erwarten.
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Julie86
24.03.2021 10:50registriert Januar 2021
Deutschland befindet sich seit bald einem halben Jahr in der Lockdownfalle und kommt nicht mehr aus dieser raus. Immer strengere Massnahmen sind keine praktikable Strategie. Im Herbst wurde hier noch euphorisch behauptet, dass die Deutschen durch die strengeren Massnahmen viel schneller wieder in die Normalität zurückkehren als wir - passiert ist das Gegenteil. Wann endlich fangen die meisten an zu begreifen, dass strengere Massnahmen nicht zwingend weniger Fälle bedeuten? Unser Einfluss auf die Verbreitung ist viel kleiner als wir annehmen.
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Zeigt Mike Johnson jetzt endlich Eier?
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Der Präsident will es, der Senat will es, und auch eine Mehrheit der Abgeordneten will es, das Hilfspaket für die Ukraine. Bisher jedoch sind die so dringend benötigten Gelder blockiert. Der Grund für diese absurde Situation liegt im amerikanischen Politsystem. Der Führer der Mehrheit in der jeweiligen Kammer kann darüber entscheiden, ob ein Gesetz zur Abstimmung gelangt oder nicht. Das hat weitreichende Konsequenzen.

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