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Konzerte gegen Rassismus in Chemnitz
65'000 Menschen protestierten am Montag bei einem Konzert in Chemnitz gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt.
quelle: ap/ap / jens meyer
felix huesmann, ralph steiner
Gegen Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und Gewalt haben gut 65'000 Menschen am Montag bei einem Konzert in Chemnitz protestiert. Bands wie die Toten Hosen, Kraftklub, Marteria oder Feine Sahne Fischfilet spielten unter dem Motto «#wirsindmehr» gratis in der drittgrössten sächsischen Stadt.
04.09.2018, 00:2904.09.2018, 06:47
Die Veranstaltung war eine Reaktion auf den gewaltsamen Tod eines 35-jährigen Deutschen vor gut einer Woche sowie die folgende Vereinnahmung der Bluttat durch rechtspopulistische Kräfte wie Pro Chemnitz beziehungsweise AfD und Pegida.
Am Abend war die Lage rund um das Konzert störungsfrei, wie eine Polizeisprecherin sagte. Die Polizei in Chemnitz wurde nach den Angaben aus sechs Bundesländern und der Bundespolizei unterstützt. Eine genaue Anzahl der eingesetzten Beamten nannte sie nicht.
Lautes Zeichen setzen
Mit dem Konzert wollten die beteiligten Musiker ein lautes Zeichen gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit setzen. «Wir sind nicht naiv. Wir geben uns nicht der Illusion hin, dass man ein Konzert macht und dann ist die Welt gerettet», sagte Kraftklub-Sänger Felix Brummer, der aus Chemnitz stammt, vor Beginn des Open Airs. «Aber manchmal ist es wichtig, zu zeigen, dass man nicht allein ist.»
Auch Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der Kraftklub vor Monaten noch als «unmögliche linke Band» bezeichnet hatte, dankte der Band für ihr Engagement.
Campino und Die Toten Hosen gaben Vollgas.Bild: dpa
Der Rapper Marteria fühlte sich durch die Vorkommnisse in Chemnitz an die fremdenfeindlichen Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen erinnert. Er habe damals 1992 in Rostock gewohnt und jahrelang damit zu kämpfen gehabt, dass Rostock als «Nazi-Stadt» abgestempelt gewesen sei. «Mir geht es darum, dass die Leute, die aus Sachsen, aus Chemnitz sind, auch sagen können: «Hey, ich bin aus Chemnitz», ohne dass gesagt wird: «Ah, musst du also ein Nazi sein.»
Am Rande des Konzertes sollten Spendengelder gesammelt werden. Nach Angaben der Organisatoren soll die Hälfte des Geldes der Familie des Getöteten zugute kommen, die andere Hälfte ist für antifaschistische, antirassistische und zivilgesellschaftliche Initiativen in Sachsen vorgesehen.
Steinmeier unterstützt Konzert
Vor dem Open-Air-Konzert kritisierten CDU-Politiker die Unterstützung von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für die Veranstaltung. «Ich halte das für sehr kritisch», sagte Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer der «Welt» (Montag). Wie zuvor ihr Parteikollege Philipp Amthor monierte sie, dass Steinmeier die Ankündigung der Veranstaltung auf seinem Facebook-Account geteilt hatte.
Der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern hatte die teilnehmende Punkband Feine Sahne Fischfilet zeitweise wegen «linksextremistischer Bestrebungen» im Blick, seit längerem jedoch nicht mehr. In einem früheren Lied hatte sie Gewalt gegen Polizisten besungen.
«Wenn man sich gegen Faschismus ausspricht und gegen Rassismus auf die Strasse geht, ist man nicht gleich ein Linksextremist», sagte Felix Monchi von Feine Sahne Fischfilet vor Konzertbeginn. Ohnehin gebe er nicht viel auf den Verfassungsschutz. «Das ist doch die Behörde, die den NSU mit ermöglicht hat.»
Ausgelassene Stimmung in Chemnitz.Bild: EPA/EPA
Vor dem Konzert hatte die Stadt Chemnitz zwei Kundgebungen gegen das Konzert untersagt. Die fremden- und muslimfeindliche Thügida wollte sich in unmittelbarer Nähe zum Veranstaltungsgelände unter dem Motto »Gegen antideutsche Kommerzhetze« versammeln. Begründet wurde die Absage damit, dass die Veranstaltungsfläche bereits belegt sei. Mit dem gleichen Argument wurde auch eine Kundgebung von Pro Chemnitz erneut vor dem Karl-Marx-Monument untersagt.
51 Ermittlungsverfahren
Im Zusammenhang mit den Protesten und Demonstrationen in Chemnitz gibt es bisher 51 Ermittlungsverfahren. In den meisten Fällen sind die Tatverdächtigen vom 26. und 27. August unbekannt, wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Dresden mitteilte.
Es gehe um das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen wie den Hitlergruss, Körperverletzung und versuchte gefährliche Körperverletzung, Verdacht des Landfriedensbruchs, Beleidigung sowie gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr durch Blendung der Piloten von Polizeihelikoptern mit Laser-Pointern.
Politiker, darunter Kanzlerin Angela Merkel, hatten nach den Auseinandersetzungen vor «Hetzjagden» gewarnt. Bei den Auseinandersetzungen hatte es am Montag vergangener Woche mindestens 20 Verletzte gegeben. (sda/dpa)
Hier gibt's den Liverticker zum Nachlesen:
Im Netz kursiert ein Bild, das den Sänger der Band Feine Sahne Fischfilet, die bei #wirsindmehr aufgetreten sind, mit Hitlergruss zeigen soll. Unser Kollege Lars Wienand zeigt die Entstehung im Video:
Die Polizei spricht mittlerweile von einem Fake:
Unsere Reporter berichten vom Gedenkort: Es werden weiter Parolen gerufen, die Polizei fährt nun Polizeitransporter zwischen Demonstranten und Gedenkstätte.
Am Gedenkort von Daniel H. ist es zu seltsamen Szenen gekommen. Linke Demonstranten rufen Parolen, während am Ort nicht nur Rechte, sondern auch trauernde Angehörige stehen. Die Polizei fordert auf, zu räumen, es bildet sich eine Sitzblockade. Ein Teil steht auf, nachdem Reporter ihnen erklären, dass auch Trauernde da sind.
Die 35-jährige Chemnitzerin Eva G. kommt gerade mit ihren drei Freundinnen vom Konzert. Sie sagt: «Die Stimmung in der Stadt war in den letzten Tagen gruselig. Ich habe so viele Neonazis gesehen. Da wird man richtig misstrauisch. Ich habe geschaut, ob bei den Rechten vielleicht jemand mitläuft, den ich kenne. Man beäugte sich. Das war richtig unheimlich. Was wir heute Abend hier erlebt haben, war zum ersten Mal seit einer Woche wieder mein Chemnitz. Es tut so gut, all die Menschen zu sehen, die hier friedlich feiern. Auch dass so viele Menschen aus ganz Deutschland gekommen sind, freut mich sehr. Es wäre schön, wenn öfter Menschen herkämen, statt sich nur aus den Medien zu informieren. Dort bekam man ja in den letzten Tagen ein gruseliges Bild von Chemnitz. Aber das ist nicht das ganze Bild der Stadt.»
Die vielen Zuschauer machen sich auf den Heimweg.
Natürlich vom von Energie nur so strotzenden Campino initiiert:
Die Toten Hosen sind der letzte Act bei #wirsindmehr. Und aus dem Radio kommt natürlich ein Liebeslied.
Nachdem die AfD Seite an Seite mit Pegida, Pro Chemnitz und Rechtsextremen durch Chemnitz marschierte, mehren sich wieder Stimmen, die AfD solle vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Jetzt meldet sich auch Angela Merkel zu Wort. Für sie ist die Überwachung der AfD durch den Verfassungsschutz keine politische Entscheidung. Es gebe die «gute Praxis», dass das von den Verfassungsschutzbehörden entschieden werde, sagte Merkel am Montag in Meseberg. «Das sind keine politischen Entscheidungen, sondern das sind Entscheidungen, die auf Tatsachen beruhen.» Die nötigen Voraussetzungen würden regelmässig überprüft, sowohl vom Verfassungsschutz aus Bund wie aus den Ländern.
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Unser Reporter berichtet:
«Ich komme ins Gespräch mit einem russischen Fernsehkorrespondenten, der gerade rund um den Auftritt von Kraftklub die Menschenmenge gefilmt hat. Ich frage ihn, wie er die Ereignisse in Chemnitz sieht. Er sagt: «Wir sind mit unserem Team seit letztem Montag hier und waren überrascht – nicht nur von der Stärke der Rechten, sondern auch von der Hilflosigkeit der Polizei. Das war krass.»
Ausserdem sagt er: «Deutschland ist so ein wohlhabendes Land, aber ihr habt hier in den neuen Bundesländern ein Problem. Ihr müsst mehr für die Menschen hier tun, viele fühlen sich abgehängt».
Jetzt beginnt das Set von den Rappern Casper und Marteria. Beide singen «Champion Sound» zum Auftakt. Danach rufen die Zuschauer «Nazis raus», Marteria und Casper rufen: «Lauter!»
Kraftklub-Frontmann Felix Brummer wendet sich an alle Konzertteilnehmer: «Es ist uns vollkommen klar, dass man mit einem Popkonzert am Montag nicht die Welt rettet. Aber wir haben auch schon vor zwei Wochen in Chemnitz gewohnt und wohnen auch noch in Chemnitz, wenn die Kameras wieder weg sind. Und manchmal ist es wichtig, dass man sich nicht allein und nicht allein gelassen fühlt.»
Die Infrastruktur von Chemnitz hat angesichts des Ansturms von rund 50'000 Konzertbesuchern streckenweise schlapp gemacht. Nach Polizeiangaben war das Mobilfunknetz im Bereich der Veranstaltung #wirsindmehr zum Teil überlastet.
Auch der öffentliche Nahverkehr sei im Stadtzentrum eingestellt. Zudem warnte die Polizei vor überlasteten Zügen. Allein aus Leipzig seien etwa 5000 Menschen per Bahn nach Chemnitz angereist. Für die Rückreise stünden am Abend aber nur drei Züge für jeweils maximal 800 bis 1000 Fahrgäste zur Verfügung.
«Ich komme aus Karl-Marx-Stadt. Bin ein Verlierer, Baby. Original Ostler.» Kraftklub bei #wirsindmehr in Chemnitz. Die gebürtigen Chemnitzer geben mächtig Gas.
Kurzes Interview mit dem Tote-Hosen-Frontmann Campino im Wohnwagen. Er erinnere sich nicht mehr, wie viele Konzerte er schon gegen Rechts gespielt hat, sagt er Reporter Hubertus Koch. Campino sieht das Problem des Rechtsrucks nicht nur in Deutschland, er zeigt auch nach Schweden oder Ungarn. «Wenn man das global sieht, sind wir in einer Zeit, in der weltweit Kriege sind. Und wie kommen wir auf die Idee, davon nicht die Auswirkungen zu spüren?» Er sieht das Konzert als «positiven Moment, den Schneeball zu zerfetzen, bevor er zu einer Lawine wird.» Deswegen sei es wichtig gewesen, in Chemnitz das Zeichen zu geben für ein «Nicht-mehr-tolerieren.»
Die Toten Hosen werden um 20:40 Uhr auf der Bühne erwartet.
Die Rektoren der sächsischen Hochschulen haben der Staatsregierung ein zu lasches Vorgehen gegen Rechtsextremismus vorgeworfen. «Wir erleben, dass Sachsen inzwischen ein massives Problem mit Rechtsextremismus hat, das jahrelang von grossen Teilen der Politik und den Behörden unterschätzt und teilweise sogar verharmlost wurde», hiess es in einer am Montag verbreiteten Erklärung der Landesrektorenkonferenz.
Die Universitäten und Hochschulen in Sachsen stünden für Weltoffenheit und Toleranz, Menschlichkeit und Respekt. Dies seien – wie auch die Freiheit von Forschung und Lehre – unantastbare Werte. «Durch die Entwicklungen der vergangenen Jahre in Sachsen und zuletzt in Chemnitz sehen wir diese Werte bedroht», teilten die Rektoren mit. Sie riefen alle Menschen in Sachsen und darüber hinaus auf, gemeinsam für demokratische Werte einzustehen.
Maxim von K.I.Z. wendet sich an das Publikum: «Ich habe etwas Angst, dass es ausartet, dass wir uns so fühlen, als wären wir die besseren Deutschen. Als würde das, was vor einiger Zeit passiert ist, nicht auch zu Deutschland gehören. Als würde an diesem Land kein Blut kleben.» Dann fügt er hinzu: «Menschen verdursten in der Wüste oder ersaufen im Mittelmeer. Und wenn sie es doch endlich hierher schaffen, haben sie noch die Chance, hier auf der Straße totgekloppt zu werden.»
Im Anschluss spielt K.I.Z. den Song «Boom Boom Boom», in dem sie unter anderem von «Hakenkreuz-Idioten» singen.
K.I.Z.-Mitglied Tarek Ebené dankt dem «Schwarzen Block» dafür, dass «sie der Polizei in den vergangenen Tagen ein bisschen die Arbeit abgenommen haben.»
«Wo sind meine linksversifften Gutmenschen?» So begrüßen K.I.Z die wartende Menge bei #wirsindmehr. Und ab geht die Post.
Immer wieder stimmt Feine Sahne Fischfilet: «Alerta, alerta Antifascista» an. Das Publikum macht begeistert mit.
Der Mann im blauen T-Shirt verteidigt lautstark die Proteste von Montag und Donnerstag, beschimpft Umstehende als «Drecksau».
«Wir sind zurück in unserer Stadt», singen Feine Sahne Fischfilet. Um die Band gab es vorab grosse Diskussionen, vor allem, als Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Veranstaltung vorab via Facebook teilte. «Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass so ein Konzert nur ein Anfang sein kann», sagt der Frontmann der Band, Jan Gorkow.
«Angst ist völlig nachvollziehbar, aber der Song ist für alle Menschen, die sich nicht von der Angst vereinnahmen lassen» sagt Gorkow und stimmt den Song «Angst frisst Seele auf» an.
Trettmann wendet sich ans Publikum: «Wisst ihr, was mich wirklich ankotzt? Wie der Tod von Daniel vereinnahmt wurde. Leute sagen, wir würden auf seinem Grab tanzen. Das ist wirklich das Letzte, das hat hier nichts zu suchen», sagt Trettmann bevor er den Song «Billie Holiday» anstimmt.
Bild: FILIP SINGER/EPA/KEYSTONE
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Bild: JENS SCHLUETER/EPA/KEYSTONE
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Video: watson/Emily Engkent
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