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Yonnihof
21.01.2016, 11:4721.01.2016, 12:21
Was wird im Moment auf sozialen Medien wieder
gestritten. Jetzt, wo’s auf den 28. Februar zugeht, werden die Gemüter je
länger, desto überhitzter. Schwarz trifft auf weiss, links auf rechts, «Nazis» auf
«naive Gutmenschen» – dazwischen gibt’s wenig bis nichts.
Sagt man.
Doch doch, dazwischen gibt’s einiges, nur
hört, bzw. sieht man es nicht. Dies in meinen Augen aus folgenden Gründen:
Erstens liegt es in der Natur extremer Aussagen,
dass sie auffallen. Auf welcher Seite auch immer. Wenn man sich also durch
Kommentarspalten liest, bleiben einem genau die paar Sprüche im Gedächtnis, die
einen entweder vaterländisch aufregen, oder die einen in der eigenen Meinung
bekräftigen. Alles andere wird im Sinne selektiven Vergessens ausgeblendet.
Weil langweilig, irgendwie. Aus dem, was einem bleibt, schliesst man dann, dass
es tatsächlich nur noch Rechtsradikale und Schmusehippies gibt.
Zweitens bringen sich gemässigte Menschen
mittlerweile gar nicht mehr in politische Diskussionen ein, weil sie entweder,
wie oben beschrieben, vergessen gehen oder ignoriert werden, oder weil sie –
verständlicherweise – einfach keinen
Bock auf den zum Teil wirklich unterirdischen Diskussionston mehr haben.
Daraus folgt: Diejenigen, die vermitteln
würden, schweigen; die Kompromisslosen stehen sich in einem Meinungsremis
gegenüber. Jeder wütende «Gutmensch» bestärkt den Rechten, jeder fluchende
«Wutbürger» bestärkt den Linken. Da poltert’s, dort poltert’s, aber es gibt
keine Aussicht auf Lösungen.
Der Streit selbst ist zum Inhalt der
Diskussion geworden. Es braucht nur ein sensibles Stichwort und schon laufen
die alten Debatten nach Schema F ab und enden fast immer auf persönlicher Ebene
und fernab vom Ursprungsthema – und es scheint, als geschähe dies unaufhaltsam.
Das Gegenüber verschwindet hinter einem festgefahrenen Feindbild. Jemand
äussert sich «asylfreundlich»? Dann ist er auch naiv und verblendet. Jemand
äussert sich «asylkritisch»? Dann ist er auch rückständig und dumm.
Gibt’s einen Weg hinaus aus dieser
Pattsituation? Zurück zu mehr Inhaltlichem und fort vom soziomedialen
Kleinkrieg unter der Gürtellinie?
Der deutsche Konfliktforscher Lars Kirchhoff
sagt: «Wer Frieden will, muss seine Feinde verstehen.» Die Psychologie kennt in
diesem Zusammenhang das Mittel der Mediation. Diese beruht auf dem
Grundgedanken, dass jeder Mensch in einem Konflikt zur Einsicht fähig ist, wenn
er oder sie die Möglichkeit dazu bekommt, sie selbstverantwortlich zu finden.
Will heissen: Das Gegenüber soll nicht bedrängt, bedroht oder beleidigt werden,
sondern den Freiraum bekommen, Denkkompromisse einzugehen, ohne dass es als
schwach dasteht oder sich als «Verlierer» sieht. Dies wiederum setzt voraus,
dass man auch selber kompromissbereit bleibt, man zuhört und versucht, die
Perspektive der Gegenseite zu verstehen.
Deutlich ist eins: Ein Kompromiss, der alle
zufrieden stellen soll, verlangt von den Beteiligten ein Denken ausserhalb von
Schwarz und Weiss und auch ausserhalb festgefahrener Streitschemata. Solange
man sich darüber streitet, wer Recht hat (und ich rede hier von Situationen, wo
dies nicht eindeutig entschieden werden kann), wer angefangen hat und vor
allem, wer Schuld ist (spannend auch hier immer wieder die Verwendung des
Wortes «Schuld» anstatt «Verantwortung»), kommt man auf keinen grünen Zweig.
Stattdessen sollte man erkennen, was beide Parteien wollen: Angehört und
verstanden werden. Sie kommen beide aus irgendwelchen Gründen zu ihrer Meinung,
auch wenn diese noch so falsch erscheint. Versteht man erst, was diese Gründe
sind, kann man eher mit dem Gegenüber mitfühlen und ihm erklären, warum man
selbst eine komplett andere Perspektive hat. Sei es in der Partnerschaft, im
Beruf oder eben in politischen Diskussionen.
Wobei diese sogar noch einen Vorteil haben: Wo
bei einer Mediation im psychologischen Rahmen ein abschliessender Kompromiss
gefunden werden muss, ist es bei Austauschen und Wortgefechten auf social Media
komplett in Ordnung, wenn man sagt: «Let’s agree to disagree.»
Das Gegenüber zu verstehen und ihm seine
Meinung zuzugestehen, bedeutet nicht, dass man ihm Recht gibt, aber jede
übernommene Perspektive macht die eigene Sichtweise differenzierter.
Zu denken, dass sich nun alle an diese Regeln halten und ab sofort nur noch Harmonie in den Kommentarspalten herrscht, ist illusorisch. Einmal mehr haben wir nur auf unser eigenes Verhalten Einfluss.
Vielleicht kann man sich also vornehmen,
denjenigen, der ausschliesslich des Polterns und der Provokation wegen da ist und sich gar nicht austauschen, sondern nur seine eigene Haltung in den Äther hinausposaunen will,
halt poltern zu lassen und sich auf diejenigen zu konzentrieren, die vielleicht
tatsächlich etwas zu einer konstruktiven Diskussion beitragen können, obwohl
sie inhaltlich komplett anders denken als man selber, sie anzuhören und
ausreden zu lassen, ohne gleich die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen.
Ist schwierig, ich weiss, aber machbar.
Yonni Meyer
Yonni Meyer (33) schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen – direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt.
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