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Wie lange steigt die Börse noch?

Wie lange steigt die Börse noch?

Untergangspropheten warnen vor einer Blase, die in die Finanzgeschichte eingehen werde. Zugleich wissen sie, wenn die Welt verrückt spielt, muss man ein Stück weit mitspielen.
20.02.2021, 08:48
Niklaus Vontobel
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In this photo provided by the New York Stock Exchange, traders Robert Charmak, left, and Gregory Rowe, work on the trading floor, Tuesday, Feb. 16, 2021. Stocks were modestly higher in morning trading ...
Bild: keystone

An den Börsen scheint wieder einmal viel Luft drin zu sein. Es ist schon die längste Hausse der Geschichte. Der Coronacrash vor einem Jahr war im Nachhinein nur ein kurzer Rückschlag. Manien um Bitcoin und Game-stop, um Tesla und Elektroautos im Allgemeinen erinnern an die Dotcom-Spekulationsblase – ein Börsenhype in den Neunzigerjahren um das Internet. In dieser Gemengelage werden Haudegen aus früheren Finanzblasen wieder gefragt: Ist es eine Blase? Und was ist zu tun?

«Es ist eine Zeit, in der man vorsichtig sein muss», warnt Robert Shiller. Der amerikanische Professor hat sich seinen Kassandra-Status redlich verdient. Er warnte schon vor der Dotcom-Blase und vor der amerikanischen Immobilienkrise, die sich zur weltweiten Finanzkrise wandeln sollte. In der Dotcom-Krise machte Shiller einen Fachbegriff populär, der nun wieder aktuell wird: das Kurs-Gewinn-Verhältnis, KGV.

Nun sagt er, dieser Bubble-Indikator sei wieder in einer Höhe angelangt, die er zuvor nur zweimal übertroffen habe: Auf dem Höhepunkt der Dotcom-Blase und am Ende der Goldenen Zwanzigerjahre. Beide Mal folgte ein Crash.

Eine der grössten Blasen der Finanzgeschichte

Von «einer epischen Finanzblase» spricht Jeremy Grantham. Der amerikanische Vermögensverwalter hat zwar nur in Finanzkrisen einen eigentlichen Promi-Status, hat aber vor allen letzten Crashs gewarnt. Nun gibt der mittlerweile halbpensionierte 82-Jährige abermals den Untergangspropheten.

Die grössten Spekulationsblasen und Börsen-Crashs

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Die grössten Spekulationsblasen und Börsen-Crashs
Der Tulpenwahn in den Niederlanden gilt als die Mutter aller Finanzkrisen. Schon im 16. Jahrhundert entwickelte sich dort ein blühendes Terminwarengeschäft mit Blumenzwiebeln.
quelle: keystone / jean-christophe bott
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Aus der langen Hausse ab 2009 sei eine Spekulationsblase geworden, die alles mitbringe: extreme Überbewertungen, explosive Preisanstiege und hysterisches Spekulieren. «Dieses Ereignis wird als eine der grossen Blasen in die Finanzgeschichte eingehen, gleich neben den Crashs von 2000, von 1929 und der Südseeblase.»

Die Südseeblase von 1720 ist nach der holländischen Tulpenblase das früheste Beispiel einer grossen Finanzmanie. Damals entstand in England ein Hype um die South Sea Company und deren Handelsmonopol mit Südamerika. Auch Isaac Newton liess sich anstecken, nachdem er zunächst gespottet hatte: «Ich kann die Bewegung von Himmelskörpern berechnen, aber nicht den Wahnsinn der Menschen.» Ein paar Monate später kaufte er sich nahe der Höchstkurse ein, verlor auf heutige Verhältnisse umgerechnet vier Millionen Pfund und wollte Zeit seines Lebens nie mehr hören von der Südsee.

Kunden hielten Prahlereien der Bekannten nicht aus

Mittlerweile zählen die Historiker elf solcher Spekulationsblasen. Und trotz aller Unterschiede in Politik oder Technologie sind die Parallelen solcher Episoden auffällig. Oft wird dies mit der menschlichen Psychologie erklärt, die über die Jahrhunderte gleichgeblieben ist. Darum ähneln sich die Strategien heute wie damals. Im Jahr 1720 sagte ein Banker, als er sich in die South Sea Company einkaufte: «Wenn die Welt verrückt spielt, muss man es ihr in gewissem Masse gleichtun.» Jahrhunderte später hielt sich Vermögensverwalter Jeremy Grantham an eine ähnliche Logik.

Manien zu erkennen, ist das eine. Wie Grantham gelingt es recht vielen. Aber er konnte nicht den Zeitpunkt vorhersehen, wann die Manie zur Panik wird, und der Crash folgt. Es ist so gut wie unmöglich. Haussen können lange weitergehen, auch wenn sie längst der Realität entrückt sind. Vor der Dotcom-Blase hatte der damalige Chef der US-Notenbank Alan Greenspan schon im Jahr 1996 gewarnt. Bis die Blase platzte, vergingen noch vier geschlagene Jahre – und die Börsenkurse verdoppelten sich. Dieses jahrelange Loslösen macht Börsenmanien derart tückisch. Das musste auch Grantham erleben, wie er in einem Marktkommentar einmal erzählte.

Sinngemäss verlief die Geschichte so, dass ihm Kunden abgesprungen waren, weil er in einer Finanzblase sehr vorsichtig agiert hatte. Die reichen Kunden hatten die Prahlereien reicher Bekannter anhören müssen, die in der Hausse viel Geld verdienten. Irgendwann hielten es die Kunden nicht mehr aus, so wie es Newton damals inmitten der Südseeblase nicht länger ausgehalten hatte. Die Kunden kauften Aktien – und verloren oft viel Geld, weil sie hohe Preise gezahlt hatten und schon bald darauf die Panik folgte.

Grantham änderte seine Strategie. Er agierte etwas weniger vorsichtig in Aktienhaussen, hielt mehr Aktien. So hatten seine Kunden mehr von der Hausse und konnten so die Prahlereien besser ertragen. Aber je länger die Hausse anhielt, desto mehr senkte Grantham den Aktienanteil am Total seiner verwalteten Vermögen. Anders gesagt: Spielte die Börsenwelt verrückt, spielte er mit – aber nur ein Stück weit. Denn Börsenblasen können lange fortbestehen.

Börsen können sich lange von der Realität loslösen

So ungefähr ist auch das Denken von Finanzprofessor Shiller. Er ist vorsichtig, auch in dieser Hausse. Aktien seien teuer. Aber attraktiver als in früheren Zeiten, weil die Zinsen lange tief bleiben könnten. «Die Aktienkurse sind vielleicht nicht so absurd, wie manche Leute denken.» In allen Börsenmanien betonte er stets, keine Vorhersagen über den Zeitpunkt eines Crashs machen zu können.

Dafür spielen laut Shiller vage Grössen eine zu grosse Rolle, wie: Psychologie; Zuversicht der Investoren; Geschichten, mit denen Kurse gerechtfertigt werden. Hohe Börsenkurse allein würden noch keinen Crash verursachen. Aber irgendein Auslöser könnte die Massenpsychologie zum Kippen bringen.

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63 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Gasosio
20.02.2021 10:28registriert Oktober 2015
So lange ich mickrige 0,01% Zins (!) bekomme auf meinem BEKB-Konto werde ich nicht mehr als drei Monatslöhne auf diesem Konto bunkern. Der Rest wird in Aktien investiert wo in den letzten 20 Jahren durchschnittlich 7,2% Rendite erreicht wurden.
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Aff
20.02.2021 09:32registriert März 2019
Der Trick ist nicht auf die Börsenzahlen zu achten. Ausschlaggebend ist der Wirtschaftskalender.

Paradox ist, dass in den letzten 12 Monaten die Zahlen der Nationen tief rot waren aber die Indizes gestiegen sind, als wären wir in einem Wirtschaftswunder.
Die Nationalbanken drucken Geld, aber dies kommt nicht beim gemeinen Bürger an.
ERGO:
Geld ist vorhanden (Inflation), aber es wird nicht verteilt.
FAZIT:
Wenn nicht die Allgemeinheit das Geld bekommt, wer dann? 😉
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du_bist_du
20.02.2021 09:45registriert Mai 2020
Wer die Daten seit 2009 anschaut, kann sich durchaus fragen, wie kann das sein?
So und jetzt kommen wir zum Problem das angesprochen wurde.
Wenn ich mein Geld investiere wird die Börse irgendwann crashen. Wenn ich nicht investiere, frisst die Inflation, Teuerung, Gebühren, das kleine Vermögen der kleinen Bürger:Innen auf. Weg, futsch wird auch das in der Krise sein auf dem Bankkonto. Was Kryptos in so einer Krise machen weiss niemand empirisch.
Und selbst Edelmetalle schützten 1929 nicht vor Verlusten.
Anstatt Fatalismus zu predigen, müsste man den Bürger:Innen Hilfestellung geben.
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Zeigt Mike Johnson jetzt endlich Eier?
Der Speaker des Abgeordnetenhauses riskiert seinen Job, wenn er am Samstag tatsächlich das Hilfspaket für die Ukraine zur Abstimmung bringt.

Der Präsident will es, der Senat will es, und auch eine Mehrheit der Abgeordneten will es, das Hilfspaket für die Ukraine. Bisher jedoch sind die so dringend benötigten Gelder blockiert. Der Grund für diese absurde Situation liegt im amerikanischen Politsystem. Der Führer der Mehrheit in der jeweiligen Kammer kann darüber entscheiden, ob ein Gesetz zur Abstimmung gelangt oder nicht. Das hat weitreichende Konsequenzen.

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