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Zürcher Obergericht verbietet Ausschaffung von deutschem Schläger

Zürcher Obergericht verbietet Ausschaffung von deutschem Schläger trotz «Katalogtat»

12.10.2017, 23:3013.10.2017, 08:05
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Trotz Ausschaffungsinitiative kein Landesverweis: Ein prügelnder Deutscher wurde vom Bezirksgericht Winterthur zu einer bedingten Freiheitsstrafe inklusive Landesverweis verurteilt. Gegen diesen hat er sich nun vor dem Zürcher Obergericht erfolgreich gewehrt.

Der 27-Jährige hatte sich im Februar an einem Angriff beteiligt: Für 200 Franken – die er nie bekommen hat – erteilte er zusammen mit fünf anderen Schlägern jemandem «eine Lektion». Dafür wurde der einschlägig Vorbestrafte vom Bezirksgericht Winterthur mit einer bedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten bestraft.

Zuercher Obergericht am Dienstag, 24. Maerz 2015. Am 28. August 2013 sprach das Bezirksgericht Winterthur jenen Mann des Mordes schuldig, der im Winterthurer Hotel Krone seinen 5-jaehrigen Sohn getoet ...
Das Zürcher Obergericht hat den Entscheid des Bezirksgericht revidiert.Bild: KEYSTONE

Empfindlicher traf ihn der fünfjährige Landesverweis: Da der Mann, dessen Eltern in der Schweiz leben, eine sogenannte «Katalogtat» begangen habe, sei er grundsätzlich obligatorisch des Landes zu verweisen, urteilte das Bezirksgericht.

Zu den «Katalogtaten» zählen beispielsweise vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung, Betrug, Brandstiftung, sexuelle Handlungen mit Kindern oder eben auch Angriff.

Die Liste geht auf die Ausschaffungsinitiative der SVP zurück, der die Stimmbevölkerung im November 2010 mit 52,9 Prozent zugestimmt hatte. Das entsprechende Gesetz ist seit dem 1. Oktober 2016 in Kraft.

Mit dem Landesverweis war der arbeitslose Mann, der seit 2012 keine Arbeitsbewilligung in der Schweiz hat und seither abwechselnd in Deutschland und der Schweiz lebt, nicht einverstanden. Er berief sich aufs Freizügigkeitsabkommen (FZA) und gelangte ans Zürcher Obergericht – erfolgreich: Er darf in der Schweiz bleiben, wie aus dem kürzlich publizierten Urteil hervorgeht.

FZA vor Strafgesetzbuch

Das Obergericht befand sich bei seinem Entscheid in einem Rechtskonflikt: Einerseits sieht das Strafgesetzbuch vor, dass Ausländer unter anderem obligatorisch, also grundsätzlich automatisch bei einer Verurteilung zu einer bestimmten «Katalogtat», des Landes verwiesen werden können.

Andererseits garantiert das FZA den Staatsangehörigen der Mitgliedsländer – dazu zählt Deutschland – verschiedene Einreise-, Aufenthalts- und Verbleiberechte.

Wie das Obergericht in seinem Urteil schreibt, geht nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtssprechung aber die völkerrechtliche Verpflichtung der Schweiz vor. Man gehe zudem davon aus, dass das Bundesgericht an dieser Rechtssprechung festhalten werde. Deshalb ist das Obergericht der Meinung, dass auch in diesem Fall das FZA Vorrang vor dem Strafgesetzbuch hat.

Keine Gefahr für öffentliche Ordnung

Die Freizügigkeitsrechte können gemäss Obergericht nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit eingeschränkt werden. Wie das Obergericht weiter schreibt, ist eine Schmälerung dieser Rechte bloss zulässig, «wenn sie durch ein persönliches Verhalten der betroffenen Person gerechtfertigt werden kann».

Zudem muss das Verhalten widerrechtlich sein und eine gegenwärtige und hinreichend schwere, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen.

Für das Obergericht ist klar: Obwohl gewisse Elemente für eine Rückfallgefahr des 27-Jährigen sprechen, «liegt keine gegenwärtige und hinreichend schwere, das Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr für die öffentliche Ordnung vor». Es hat dazu auch Entscheide des Bundesgerichts in teilweise ähnlich gelagerten Fällen verglichen.

Eine Landesverweisung sei bei einer Gesamtbetrachtung nicht mit den Gründen, die für eine Einschränkung der Freizügigkeitsrechte sprechen, vereinbar. «Demzufolge ist von der Anordnung einer obligatorischen Landesverweisung abzusehen.» (sda)

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109 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Ohniznachtisbett
13.10.2017 08:35registriert August 2016
Ein gut verhandeltes Freizügigkeitsabkommen, wenn man einem einschlägig vorbestraften Schläger, der zudem nicht hier arbeitet und offensichtlich eine Rückfallgefahr besteht nicht des Landes verweisen kann. Sind das jetzt die Gesetze die nur angewendet werden müssten und wegen derer es einer Ausschaffungsinitiative gar nie bedurft hätte?
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Baba ♀️
13.10.2017 07:53registriert Januar 2014
Unglaublich... Das bedeutet doch, dass künftig kein Bürger eines Landes mit einem FZA mit der Schweiz (de facto jeder EU Bürger) nach einer schweren Straftat nicht mehr des Landes verwiesen werden kann. Hier werden die "Rechte" eines Einzelnen über die Gesetze des Gastlandes gestellt. In meinen Augen wird der Rechtsstaat ad absurdum geführt, speziell da noch eine Rückfallgefahr attestiert wird.

Bei solchen Urteilen darf man wohl getrost von "Kuscheljustiz" sprechen.
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Hexentanz
13.10.2017 08:00registriert November 2014
Es wäre ja alles gut und recht, wenn die Gerichte so entscheiden können. Solche Entscheidungen sorgen dann aber dafür, dass eine DSI Abstimmung nächstesmal ggf. angenommen wird.

Heute morgen schon >150 Kommentare auf 20min, davon sicher >90% Negativ.

Gerichte müssen unabhängig sein, aber vielleicht sind sich die (SP) Richter nicht bewusst, dass ihre Urteile nicht nur von Täter und Opfer interpretiert werden, sondern von einem grossen Teil der "belesenen Gesellschaft".

Mit solchen Urteilen schafft man Nährboden für Abstimmungen welche noch viel weitrechendere Folgen haben.
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