Wirtschaft
Kommentar

So, du glaubst also immer noch an «Buy the Dip»

Boerse Talfahrt
Kommentar

So, du glaubst also immer noch an «Buy the Dip»

Bisher hat es sich gelohnt, bei einem Mini-Crash zuzugreifen. Diesmal könnte es anders sein.
12.05.2022, 11:5312.05.2022, 12:07
Mehr «Wirtschaft»

Der Ausdruck «Buy the Dip» ist bei Investoren sehr beliebt und bedeutet: Wenn die Kurse fallen, dann musst du zulangen. Die Kurse werden sich rasch erholen – und du kräftig abkassieren.

In den letzten Jahren hat sich «Buy the dip» tatsächlich gelohnt. Nach dem Finanzcrash 2008 legten die Börsen rasch wieder massiv zu, der amerikanische Börsenindex S&P beispielsweise rund 400 Prozent. Und der Schrecken nach dem Lockdown in im März 2020 dauerte gerade mal rund drei Wochen. Danach stiegen die Kurse wieder, als gäbe es kein Morgen.

«Buy the Dip» war in den letzten Jahren nicht nur gut für das Portemonnaie, es stärkte auch das Selbstbewusstsein, vor allem das männliche. Wer seinen BMW-Schlüssel auf den Tresen knallen und dann ausführen konnte, wie viel er gerade wieder mit Tesla-Optionen verdient habe, der fühlte sich super.

FILE - Tesla CEO Elon Musk attends the opening of the Tesla factory Berlin Brandenburg in Gruenheide, Germany on March 22, 2022. Musk has sold 4.4 million shares of Tesla stock worth roughly $4 billio ...
Ein bisschen ärmer geworden: Elon Musk.Bild: keystone

In diesen Tagen jedoch brauchen die Buy-the-Dip-Artisten starke Nerven, sehr starke sogar. Die Kurse an den Aktienmärkten kennen nur eine Richtung: nach unten, und zwar steil. Vor allem die Hochflieger der Vergangenheit, die Tech-Papiere, leiden. Gestern hat der Nasdaq erneut mehr als drei Prozent eingebüsst. Der Kurs der Tesla-Aktie, bisher das liebste Kind der Tech-Fans, liegt mehr als 30 Prozent unter seinem Höchststand.

Die Aussichten auf Besserung sind alles andere als rosig. Hören wir Daniel Morris, Chefstratege bei BNP Paribas Asset Management. «Hätten wir bloss steigende Leitzinsen, oder hätten wir bloss Inflation, oder hätten wir bloss China und hätten wir bloss die Ukraine, dann könnten wir das in den Griff bekommen», klagt er im «Wall Street Journal». «Aber wir haben das alles gleichzeitig. Deshalb befinden wir uns auch in einem sehr anspruchsvollen Umfeld.»

«Anspruchsvolles Umfeld», das ist – milde ausgedrückt – noch rosig formuliert. Das ökonomische Umfeld ist derzeit derart garstig, dass selbst vermeintlich positive Meldungen bei näherem Hinschauen sich als das Gegenteil entpuppen. Beispielsweise die Inflation. Als gestern bekannt wurde, dass die Teuerung in den USA im April leicht zurückgegangen war, machten die Aktienkurse kurzfristig einen kleinen Freudensprung. Als sich jedoch kurz darauf herausstellte, dass sich die sogenannte Kerninflation – die Teuerung ohne die besonders volatilen Energie- und Nahrungsmittelpreise – gar leicht erhöht hatte, rasselten die Kurse wieder in den Keller.

Absturz der Kryptowährung Bitcoin, Zeitspanne: 1 Jahr, 12. Mai 2022
Auf rasanter Talfahrt: der Bitcoin-Kurs.Bild: google finance

Besonders übel hat es die Krypto-Gemeinde erwischt. Der Bitcoin-Kurs ist gefallen wie ein Stein und befindet sich derzeit deutlich unter 30’000 Dollar, mehr als die Hälfte unter seinem Höchststand. So viel also zum «Bitcoin-sind-das-digitale-Gold»-Geschwätz. (Das richtige Gold, das nur nebenbei, hat wegen der Inflationsgefahr leicht zugelegt.)

Ironischerweise liegt der Grund für den Bitcoin-Crash bei den sogenannten Stable Coins. Diese müssten eigentlich für einen stabilen Kurs des Bitcoins gegenüber dem Dollar sorgen. Weil sie dies jedoch mit einem technischen Trick und nicht mit handfesten Greenbacks tun, ist der Bluff aufgeflogen. Der Kursverfall der Stable Coins ist massiv und wird bereits als Bankrun bezeichnet. «Niemand hat noch Vertrauen in sie, alle rennen zum Ausgang», erklärt etwa Martin Hiesboeck von der Plattform Uphold im «Wall Street Journal».

Heisst dies, dass sich die Buy-the-Dip-Artisten auf eine lange Durststrecke einstellen müssen? Nicht zwingend. Nach wie vor ist sehr viel Geld vorhanden – und auch Mut. Auf den Internetforen werden die Bitcoin-Fans aufgefordert, spätestens bei einem Kurs von 24’000 Dollar wieder einzusteigen.

Vielleicht haben sie ja damit Erfolg. Die Ökonomie spricht jedoch dagegen. Die Zentralbanken, vor allem die US-Fed, haben der Inflation nun definitiv den Kampf angesagt. Leider haben sie dazu bloss eine Waffe, und zwar eine plumpe. Um zu verhindern, dass sich eine inflationäre Lohn-Preis-Spirale in Gang setzt, müssen sie die Wirtschaft mit steigenden Leitzinsen in eine künstliche Rezession stürzen.

«Bedauerlicherweise ist es sehr wahrscheinlich, dass eine solche Rezession nun nötig geworden ist, um die Inflations-Erwartungen unter Kontrolle zu bringen», stellt Martin Wolf, Chefökonom der «Financial Times» fest.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Die grössten Spekulationsblasen und Börsen-Crashs
1 / 18
Die grössten Spekulationsblasen und Börsen-Crashs
Der Tulpenwahn in den Niederlanden gilt als die Mutter aller Finanzkrisen. Schon im 16. Jahrhundert entwickelte sich dort ein blühendes Terminwarengeschäft mit Blumenzwiebeln.
quelle: keystone / jean-christophe bott
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Russischer Ökonom trinkt im TV auf den «Tod der Börse»
Video: twitter
Das könnte dich auch noch interessieren:
86 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Sarkasmusdetektor
12.05.2022 13:53registriert September 2017
Buy the dip funktioniert grundsätzlich immer, auch dieses Mal. Das Problem ist halt wie immer, dass man nicht weiss, wo der Dip ist. Den zu treffen ist immer Glückssache.
1242
Melden
Zum Kommentar
avatar
SkyDaddy
12.05.2022 12:13registriert Januar 2017
So, du glaubst also immer noch an «Buy the Dip»\n
1026
Melden
Zum Kommentar
avatar
egemek
12.05.2022 12:12registriert Mai 2016
Meiner Meinung nach muss man schon differenzieren, ob man Buy the Dip bei Bitcoins anwendet oder einer Firma, die Milliardengewinne schreibt und zur Zeit wohl tatsächlich niedrig bewertet ist. Da kriegt man Value, was sich wohl kaum einfach so in Luft auflöst und potentiell wieder steigt. Bei Kryptos sehe ich zuwenig dahinter, da kann ich nicht abschätzen, welcher Kurs gerecht ist.
11019
Melden
Zum Kommentar
86
Roche arbeitet am Long-Covid-Test – wie dieser Betroffenen helfen soll
Das Wissen über die postvirale Krankheit wächst. Dennoch ist ein Test zur Diagnose noch in weiter Ferne. Er könnte dereinst eine wichtige Rolle bei einer allfälligen Therapie spielen.

In der Pandemie entwickelte die Pharmaindustrie nicht nur in Rekordzeit eine Covid-19-Impfung. Auch die PCR- und Antikörper-Tests brachten Forscherinnen und Forscher innert kürzester Zeit auf den Markt. An vorderster Front stand damals Michael Hombach, Klinischer Leiter der Sparte Infektionskrankheiten beim Basler Konzern Roche.

Zur Story