Die Aluhüte sind unter uns.
Und sie erleben in diesen Tagen eine explosionsartige Verbreitung ihrer Verschwörungstheorien.
Bevorzugte Kanäle sind die «unsozialen» Plattformen Facebook, Instagram, Twitter und YouTube. Es passiert aber auch über angeblich journalistische Medien.
Ein aktuelles Beispiel:
Lukas Hässig ist ein preisgekrönter Wirtschaftsjournalist und Betreiber des Finanzblogs Inside Paradeplatz, der immer wieder mit knallharten Berichten und Enthüllungen rund um den Schweizer Finanzplatz aufwartet. Doch in diesem speziellen Fall bot er Hand zu abstrusen Spekulationen.
«Stammt Corona-Virus aus Wuhan-Waffenlabor?»
Gegenfrage: Meint das die Verfasserin, die sich als «Ingenieurin mit Spezialgebiet Energie» bezeichnet, ernst?
Ich möchte nicht im Detail auf das konstruierte Weltuntergangs-Szenario eingehen, sondern einen Abschnitt zitieren, der zeigt, wie Fakten und Fiktion vermischt werden, um zusätzliche Spannung und Dramatik zu erzeugen.
Die Autorin schreibt:
Abgesehen davon, dass der Name der renommierten Forschungseinrichtung falsch geschrieben wurde (es muss richtigerweise Johns Hopkins heissen), halten wir fest:
Der Ausbruch der neuartigen Lungenkrankheit – auch als nCoV-2019 bezeichnet – hat unzählige Experten rund um den Globus ganz sicher nicht überrascht. Bill Gates warnt seit Jahren vor dem Ausbruch einer gefährlichen Krankheit, die wegen schlechter Vorbereitung Teile der Erdbevölkerung dahinraffen könnte. Und er triggert mit Sicherheit auch den letzten Verschwörungstheoretiker und Impfgegner.
Dass der Microsoft-Gründer in Zusammenhang mit dem bislang vor allem in China grassierenden neuen Coronavirus genannt wird, ist kein Zufall, wie wir gleich sehen. Doch zunächst gilt es auf Gerüchte bei Facebook und Co. einzugehen.
Via Facebook und Twitter verbreitet sich seit Tagen (in der Regel) unwidersprochen die Behauptung, Gates profitiere über seine private Stiftung vom todbringenden Virus. Und besonders schlimm: Der Erreger sei vor Jahren patentiert worden und dann wohl aus einem Labor entwichen.
An dieser Stelle möchte ich mimikama.at (siehe Quellen) zitieren, das den bösartigen Hoax enttarnt hat:
Und factcheck.org hält fest, dass die Sensations-Geschichte über zwei chinesische Spione, die angeblich das Coronavirus aus einem kanadischen Forschungslabor stahlen und nach Wuhan schmuggelten, nicht der Wahrheit entspreche.
Tatsächlich hat das im Inside-Paradeplatz-Beitrag zitierte kanadische Medienunternehmen CBC News am Mittwoch klargestellt, dass ein eigener Bericht verzerrt dargestellt worden sei, um eine Verschwörungstheorie zu schaffen.
Damit zu den Fakten ...
Am 19. Oktober 2019 fand unter dem Titel «Event 201» in New York eine ungewöhnliche öffentliche Veranstaltung statt: eine Katastrophenübung zum Thema Pandemie, also dem weltweiten Ausbruch einer ansteckenden Krankheit.
Wobei die Übung nicht in Schutzanzügen stattfand, sondern Anzug und Krawatte: Auf Einladung des Johns Hopkins Center for Health Security versammelten sich Experten und Wirtschaftsführer und diskutierten, was zu tun sei, um eine gefährlichen Infektionskrankheit zu bekämpfen.
Als Mitveranstalter amteten das Weltwirtschaftsforum WEF und die Bill and Melinda Gates Foundation, was die erwähnten Gerüchte natürlich richtig anheizte.
Die Übung veranschaulichte laut Beschrieb auf der offiziellen Website diejenigen Bereiche, «in denen öffentlich-private Partnerschaften während der Reaktion auf eine schwere Pandemie notwendig sind, um gross angelegte wirtschaftliche und gesellschaftliche Folgen zu mindern.»
Denn die Verantwortlichen in Wirtschaft und Politik wissen längst, dass eine Pandemie die Welt an den Rand einer Wirtschaftkrise bringen kann. Oder darüber hinaus.
Event 201 basierte, wie hinlänglich betont, auf einer Simulation. Renommierte Experten erdachten sich am Schreibtisch den Verlauf einer verheerenden Katastrophe. Dafür erfanden sie ein tödliches Coronavirus, das nicht mit nCoV-2019 verwechselt werden darf, wie die Verantwortlichen in einer am Mittwoch veröffentlichten Klarstellung betonten.
Das reale Coronavirus, das in China grassiert, ist im Vergleich zum erfundenen Coronavirus (aus der Pandemie-Übung) harmlos, es wird aber ebenfalls durch Flugreisende auf andere Kontinente transportiert, wie die aktuellen Krankheitsfälle zeigen. Und es ist nicht auszuschliessen, dass das Virus durch erneute Mutationen gefährlicher wird. Je länger ein Erreger kursiert, desto eher verändert er seine Gen-Struktur. Mögliche Folgen solcher Veränderungen sind nicht absehbar.
Halten wir das Wichtigste fest: Es braucht zurzeit keine Verschwörungstheorien, um zu erkennen, dass die Lage ernst ist. Viel zu ernst für falsche Panikmache.
Angesichts der angespannten Situation in China gilt es kühlen Kopf zu bewahren und die grundlegenden Verhaltensregeln rund um Facebook und Co. in Erinnerung zu rufen. Verzichte auf das Teilen von ungeprüften Informationen. Halte dich besser an journalistisch arbeitende Medien, denn genau das kann und will der Facebook-Konzern nicht bieten.
PS: Wer sich für die Mechanismen hinter der zum Teil übertriebenen Berichterstattung und den Reaktionen bei Social Media interessiert, sollte Sascha Lobos Kolumne bei Spiegel Online lesen. Titel: Der coronavirale Angststurm.