Manchmal geht Sean Hannity selbst für Fox News zu weit. Der rechtskonservative TV-Sender zog am Dienstag eine Nachricht zurück. Sie betrifft den Mord an einem 27-jährigen Mann namens Seth Conrad Rich. «Nach sorgfältiger Überprüfung sind wir zum Schluss gekommen, dass der Artikel nicht unseren Standards entspricht. Deshalb wurde er entfernt», heisst es in einer Mitteilung von Fox News.
Was war geschehen? Rich war ein Mitglied des Wahlkampfteams von Hillary Clinton. Er wurde kürzlich ermordet. Die Polizei geht davon aus, dass er das zufällige Opfer eines Raubüberfalls wurde. Gemäss Fox News soll Rich hingegen Daten aus dem Hauptquartier der Demokraten an Wikileaks geliefert haben und deshalb aus dem Verkehr gezogen worden sein.
Selbstverständlich gibt es für diese abstruse Verschwörungstheorie nicht einen Ansatz eines Beweises. Im Gegenteil: Die Eltern des Opfers haben deshalb Fox News inständig gebeten, aufzuhören. Ihr Sohn sei erfreut gewesen, in Clintons Wahlkampfteam aufgenommen worden zu sein. Hannitys Hetze bereite ihnen ein Mass an Schmerz, das untertäglich geworden sei, schrieben sie in einem Beitrag in der «Washington Post».
Davon liess sich Hannity nicht beeindrucken. Er hat die Verschwörungstheorie bis zum letzten Tropfen ausgepresst. Nun hat er zwar erklärt, er werde eine Pause einlegen, aus Rücksicht auf die Familie, wie er sich ausdrückte. Doch grundsätzlich zeigt er sich völlig uneinsichtig. Er werde das Thema nicht ruhen lassen, betonte er in seiner Radio-Show. «Ich habe eine moralische Verpflichtung, diese Fragen zu stellen. An Euch alle in den liberalen Medien: «Ich bin nicht Fox.com oder Fox News. Ich nehme nichts zurück.»
Damit lehnt sich Hannity weit aus dem Fenster, denn die Rich-Story war selbst den Fox-Mitarbeitern peinlich geworden. Und auf der Chefetage ist ebenfalls ein Kulturwandel im Gang. Wegen permanenten Klagen von sexuellen Belästigungen wurden der Reihe nach gefeuert: Das ehemalige Gehirn von Fox News, Roger Ailes – er ist letzte Woche verstorben –, der Starmoderator Bill O’Reilly und Co-Präsident Bill Shine. Er hat Hannitys Karriere massgeblich gefördert.
Um seinen Posten muss sich Hannity allerdings keine Sorgen machen. Er ist der letzte Überlebende des ehemaligen Power-Trios Bill O’Reilly, Megyn Kelly und Sean Hannity. In diesem Trio hat er lange die zweite Geige gespielt. Das entspricht auch seinem Wesen. Hannity ist kein Alphatier, sondern eine klassische Nummer zwei. Mit Donald Trump hat er seine wahre Berufung gefunden. Er verteidigt ihn durch dick und dünn.
Dabei kennt Hannity keine Skrupel. CNN, MSNBC, «New York Times» und «Washington Post» bezeichnet er verächtlich als «alt-radical-left-propaganda-destroy-Trump-media». Er ist überzeugt, dass es derzeit einen Komplott zum Sturz des 45. Präsidenten gibt. Die Mainstream-Medien, die Demokraten, der Deep State (die Verwaltung und die Geheimdienste), das Establishment der Republikaner und die «Never Trumper» (Trumps Gegner in der eigenen Partei) würden alle Hebel in Bewegung setzen, um Trump zu stürzen. Diese Botschaft verbreitet er an jedem Wochentag unermüdlich.
Die Absicht dabei ist unschwer zu erkennen. Hannity will auf Teufel komm raus von der Russland-Affäre ablenken, die für Trump immer gefährlicher wird. Deshalb beschuldigte er zunächst Susan Rice, die ehemalige Sicherheitsberaterin von Barack Obama, des Hochverrats. Sie habe das Trump-Team von den Geheimdiensten abhören lassen. Diese Anschuldigung ist inzwischen wieder vom Tisch. Deshalb muss jetzt der tragische Mord an Rich dafür herhalten, einmal mehr Hillary Clinton als böse Hexe ins Spiel zu bringen.
In der Schweiz spielt die «Weltwoche» eine ähnliche Rolle. Auch sie versucht uns weiszumachen, die Russland-Affäre sei bloss eine Erfindung linker Journalisten. Überhaupt lässt sich Roger Köppel sehr gerne von Fox News inspirieren. Einst hat er die Sprüche von O’Reilly eins zu eins übernommen. Jetzt hat der die weisse Mini-Tafel entdeckt, mit der Karl Rove seine Botschaft unter die Menschen bringt.