Das «Wired»-Magazin sorgte diese Woche mit einem kritischen Beitrag zur #10YearChallenge für Aufregung.
Im Stil von «Das wird man ja noch fragen dürfen» spekuliert die Autorin – mit sarkastischem Unterton –, dass es sich keineswegs um ein harmloses Internet-Phänomen handle. Vielmehr könnte einer der schlimmsten Datenkraken der Gegenwart dahinter stecken. Zucks bösartiges Ziel: Die Knechtung der Welt, mithilfe von automatischer Gesichtserkennung.
"Würdest Du uns bitte zur Verbesserung unserer Gesichtserkennungssoftware ein Foto von Dir aus dem Jahr 2009 und ein Foto aus 2019 senden?"
— Rob Vegas (@robvegas) 16. Januar 2019
"NIEMALS!!! ANZEIGE IST RAUS!"
"Lust auf eine coole Foto-Challenge mit Foto von Dir aus 2009 und 2019?"
"ENDGEILE IDEE! BIN DABEI!"
Nein.
Facebook ist nicht auf solche User-Bilder angewiesen. Das hatte Kate O'Neill auch gleich selber eingeräumt, ging aber im ganzen Lärm etwas unter.
Nun kommen wir zum Kern des Pudels.
Finally, if you're fascinated with this topic, you would probably be interested in my book, #TechHumanist. Here's an excerpt. https://t.co/tpvKHtAugr pic.twitter.com/8gJfx76bBg
— Kate O'Neill (@kateo) 13. Januar 2019
Als sich ihre Tweets zum Thema viral verbreiteten, schob die «Wired»-Journalistin in einem weiteren Tweet einen Amazon-Link nach – und versuchte so, ihr eigenes Buch zu promoten.
Selbst-Marketing, also. Aber ausgerechnet bei Amazon? Keine gute Idee, wie wir gleich sehen ...
Nein, im Gegenteil. Statt zu spekulieren und die Leute mit falschen Verdächtigungen aufzuschrecken, sollten Journalisten die echten Chancen und Risiken aufzeigen.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass automatische Gesichtserkennung nicht per se schlecht ist und darum nicht durch substanzlose Behauptungen verteufelt werden sollte.
Sinnvolle Einsatzgebiete mit gesamtgesellschaftlichem Nutzen sind zum Beispiel das Verhindern von Online-Identitätsdiebstahl und der Kampf gegen Kinderpornografie. Und die Gesichtserkennung erleichtert uns – sicher eingesetzt – bereits das Reisen, wie die Versuche am Flughafen Zürich mit dem Scannen von biometrischen Pässen zeigen.
Damit zu den Gefahren – und die hängen von der Institution ab, die die Technik auf «ihren» Servern einsetzt.
Alle grossen Tech-Konzerne forschen an Gesichtserkennung, um ihren Kunden das (digitale) Leben zu erleichtern und sie mit praktischen Features bei der Stange zu halten.
Das Killerkriterium: Was haben die Unternehmen mit den biometrischen Daten vor und wie können sie gewährleisten, dass sie nicht in kriminelle falsche Hände gelangen? Und daran denken: 100-prozentige Sicherheit gibt's nicht.
Wie wir wissen, steht der weltgrösste Online-Händler Amazon in der Kritik, weil er seine umstrittene Gesichtserkennungs-Technologie «Rekognition» an die US-Regierung verkaufen will. Zur Bekämpfung illegaler Einwanderung.
Auch Facebook forscht schon seit Jahren an digitaler Gesichtserkennung und verfügt über riesige Datenmengen, um seine Algorithmen zu trainieren. Hunderte Millionen, ja Milliarden User laden freiwillig ihre (zum Teil) höchst persönlichen Fotos und Videos hoch, wo sie mit Zeitstempel versehen (für immer?) gespeichert werden.
Als Apple 2013 erstmals einen Fingerabdruck-Scanner in ein iPhone (5S) einbaute, äusserten sich viele Kommentatoren skeptisch. Und vier Jahre später gab es erneut einen lauten Aufschrei, als mit dem iPhone X die automatische Gesichtserkennung (Face ID genannt) auf Apple-Geräten Einzug hielt. Um die Kritiker zu beruhigen, erklärte der Hersteller: Es werden keine wiederverwendbaren biometrischen Daten übers Internet geschickt. Sie verlassen gar nicht das Gerät.
Fazit nach über 5 Jahren: Bislang ist es keinem Hacker gelungen, wertvolle biometrische Daten aus einem iPhone oder anderen Apple-Gerät zu extrahieren. Dürfen sich die User deshalb in Sicherheit wiegen? Sicher nicht.
Und Facebook? Hier veröffentlichen die User zweidimensionale Abbildungen ihrer Gesichtszüge freiwillig als Posts. Der Plattform-Betreiber scannt die hochgeladenen Fotos und versucht, die abgebildeten Personen zu erkennen. Wer das nicht will, kann die Gesichtserkennung deaktivieren – und darauf hoffen, dass Facebook hält, was es verspricht.
Sicher ist: Die digitale Gesichtserkennung ist nicht mehr aufzuhalten. Das zeigen auch neuartige Anwendungen, wie zum Beispiel das Kickstarter-Projekt OrCam MyMe. Da heftet man sich einen Plastik-Clip mit Mini-Kamera ans Hemd und erfährt dank Gesichtserkennung, ob man einen Bekannten vor sich hat. So sollen sich peinliche Situationen vermeiden lassen, bei denen man die Namen nicht mehr weiss ...
Beruhigend: Laut Bericht bei Tech Crunch werden die biometrischen Daten auf dem kleinen Gerät verarbeitet, nicht ins Internet übertragen und umgehend gelöscht.
Angesichts der #10YearChallenge gilt es die Verhaltensregeln in Erinnerung zu rufen, die das Risiko vermindern, zum Opfer krimineller Machenschaften zu werden. Zudem sollte man mächtige Datenkraken nicht unnötig füttern:
Als Ergänzung zur #10YearChallenge fehlt nur noch eine, wo man seine Handflächen heute und vor 10 Jahren zeigt. Bitte die Fingerspitzen sauber ablichten! Danke.
— Susanne Lilith (@susannelilith) 17. Januar 2019
Wir sollten keine falschen Ängste entwickeln, die auf Unwissen über moderne Technik gründet, sondern uns bewusst sein, was Gesichtserkennung kann, und was nicht:
Das vorläufig letzte Wort hat die amerikanische Journalistin, die die ganze (künstliche) Aufregung rund um die automatische Gesichtserkennung auslöste ...
Falls du noch nicht weiss, was es mit der #10YearChallenge (auch #10YearsChallenge) auf sich hat: Social-Media-User veröffentlichen unter dem Hashtag Beiträge, in denen sie alte und aktuelle Fotos nebeneinander stellen. Damit wollen sie zeigen, wie sich die abgebildete Personen und Dinge innert zehn Jahren verändert haben. Oder auch nicht.
Das Phänomen sorgt bei Instagram, Facebook und Twitter für Furore. Befeuert wird es durch Prominente, die als Vorbild dienen und zum Mitmachen animieren.
Das Beste (aus Datenschutz-Sicht) sind die Spassvögel ...
#10YearChallenge
— 🕹🎮 Retr0Gen 🎮🕹 (@Retr0Gen) 17. Januar 2019
We have a winner!!! #Nokia #NokiaMobile pic.twitter.com/TWUNQHRcI2
Muss man da mitmachen? 2009 to 2019 #10YearChallenge pic.twitter.com/CxQLzaRwYC
— Pogobär (@trollpunk69) 17. Januar 2019
Gut, dann mache ich halt auch mit! #10yearChallenge pic.twitter.com/n06h8kw4pV
— Michael Knight (@DerNetteMicha) 17. Januar 2019