Jahrzehntelang haben in den USA die Politiker ihr Heil in der Mitte gesucht. Progressive Positionen zu vertreten mag an Universitäten angesagt gewesen sein, im Wahlkampf galt es als politischer Selbstmord. Auch oder vor allem bei den Demokraten.
In Texas sah dies der linksliberale Polit-Guru Jim Hightower immer schon ein bisschen anders. «Das Einzige, was man in der Mitte der Strasse sieht, sind gelbe Linien und tote Gürteltiere», pflegt er zu spotten.
Diese Erkenntnis gewinnt bei den Demokraten an Beliebtheit. An den Zwischenwahlen treten nicht nur auffallend viele Junge, Frauen und Farbige an. Sie vertreten oft progressive Positionen: Ausbau von Medicare zu einer staatlich kontrollierten Krankenkasse, höhere Mindestlöhne und eine Gefängnisreform gehören dabei zu den zentralen Forderungen.
Was vor kurzem noch als «sozialistisch» und «unamerikanisch» verdammt wurde, findet heute Gehör. Mehr als 70 Prozent der Wählerinnen und Wähler wollen, dass die Krankenkassen keine höheren Prämien für höhere Risiken wie Diabetes verlangen dürfen – ein Kernpunkt von Obamacare. Auch die Forderung nach Mindestlöhnen findet eine Mehrheit, genauso wie die Reform des Strafwesens.
Kommt dazu, dass sich die Demografie vor allem in den Südstaaten gewandelt und einstige republikanische Hochburgen ins Wanken gebracht hat. In Orange County im Bundesstaat Florida beispielsweise hat die Anzahl von Schwarzen und Latinos um 40 Prozent, im Bundesstaat Georgia die Anzahl der Schwarzen um eine Million zugenommen.
Diese einst tiefroten, will heissen republikanisch dominierten, Staaten sind lila geworden. Die Demokraten haben eine gute Chance, dort Sitze zu gewinnen. Und ausgerechnet in diesen Staaten treten drei ihrer wichtigsten Zugpferde an.
Der Republikaner Brian Kemp muss als Staatsschreiber die Wahlen in Georgia überwachen. Gleichzeitig tritt er selbst als Kandidat für den Gouverneursposten an. Er nutzt seine Stellung schamlos aus: 53’000 Menschen will er das Wahlrecht streitig machen, weil es kleinste Unstimmigkeiten in ihren offiziellen Papieren gibt, beispielsweise ein fehlender Leerschlag in der Adresse.
Dass rund 70 Prozent von ihnen schwarz sind, ist kein Zufall. Kemp fürchtet eine hohe Wahlbeteiligung, und er fürchtet seine Gegenkandidatin Stacey Abrams. Dazu hat er allen Grund. Die 45-jährige Abrams ist intelligent, schwarz – und sehr populär. Sie stammt aus sehr einfachen Verhältnissen. Dank ihrer herausragenden Intelligenz konnte sie an der Eliteuniversität Yale Jus studieren und macht kein Geheimnis daraus, dass sie deswegen heute noch 50’000 Dollar Schulden abstottern muss.
Abrams ist furchtlos und kämpft auch in Bezirken um Stimmen, die bisher als hoffnungslos galten. Das beeindruckt selbst Trump-Wähler. Dank ihrer pragmatischen Art gelingt es ihr, Wählerinnen und Wähler über die Parteigrenzen hinaus anzusprechen. Sie hat auch einen beachtlichen Leistungsausweis. Als Anführerin der Minderheit im Abgeordnetenhaus von Georgia ist es ihr gelungen, eine massive Steuererhöhung für die Mittelklasse zu verhindern.
Der Ausgang der Gouverneurswahlen ist ungewiss, es wird auf jeden Fall sehr eng werden. Abrams wäre die erste schwarze Frau, die in den USA Gouverneurin eines Bundesstaates würde.
Beto O’Rourke wird bereits als neuer Barack Obama gefeiert. Dabei ist er weiss, hat irische Vorfahren und ist in El Paso, einem spanisch sprechenden Grenzort zu Mexiko im Bundesstaat Texas, aufgewachsen. Er entspricht jedoch nicht dem Klischee des typischen Texaners: Er macht keine Country-Musik, sondern war Mitglied einer Punk-Band, er trägt keine Cowboy-Stiefel, sondern kommt auf dem Brett angerollt, und er hat an der New Yorker Columbia University Literatur studiert.
O’Rourke will Ted Cruz seinen Senatssitz streitig machen. Was bis vor kurzem noch mit einem Lächeln abgetan worden wäre – Demokraten haben seit Jahrzehnten etwa die gleiche Chance, in Texas als Senator gewählt zu werden, wie ein Schneeball in der Hölle nicht zu schmelzen –, ist realistisch geworden.
Die Differenz der beiden ist in den Meinungsumfragen so eng geworden, dass Donald Trump eigens aus Washington angeflogen kam, um seinem ehemaligen Erzfeind Cruz seine Unterstützung anzubieten.
O’Rourke seinerseits hat zu Beginn seines Wahlkampfes versprochen, jeden Bezirk in Texas zu besuchen, und er hat dieses Versprechen auch gehalten. Er schreckt auch nicht davor zurück, Trump anzugreifen. So hat er den Protest der schwarzen Football-Stars beim Abspielen der Nationalhymne ausdrücklich verteidigt.
Selbst wenn es für O’Rourke am kommenden Dienstag nicht ganz reichen sollte, hat er viel erreicht. Er hat die Demokraten in Texas aus ihrem Tiefschlaf gerissen – und er hat sich eine Position verschafft, die weit führen kann. Möglicherweise bis ins Weisse Haus.
Dass Andrew Gillum überhaupt zur Wahl als Gouverneur von Florida antreten darf, verdankt er dem Milliardär und Hedge-Fonds-Manager Tom Steyer. Dieser hatte im letzten Moment in einem engen Ausscheidungsrennen dem jungen Bürgermeister von Tallahassee eine Million Dollar gespendet.
Es scheint, dass Steyer sein Geld gut angelegt hat. Gillum führt in Umfragen knapp vor seinem Kontrahenten, dem Trump-Verehrer Ron DeSantis. Das hat Trump so nervös gemacht, dass er mehrere verleumderische Tweets gegen Gillum abgefeuert hat. Es könnte zum Bumerang werden. Dank Gillum sind die Demokraten so motiviert, dass auch Bill Nelson gute Chancen hat, sein Rennen um einen Senatssitz gegen den Republikaner Rick Scott zu gewinnen.
Gillum mag von einem Milliardär gefördert worden sein. Gekauft ist er auf keinen Fall. Er stammt aus einfachsten Verhältnissen – seine Mutter hat einen Schulbus gefahren, der Vater auf dem Bau gearbeitet –, und er ist mit sechs Geschwistern aufgewachsen. Der 38-Jährige gilt als fleissig und integer. Als Bürgermeister hat er die Kriminalitätsrate in Floridas Hauptstadt massiv gesenkt, ohne dabei zu harten Polizeimethoden zu greifen.
Ebenfalls setzt er sich dezidiert für anständige Mindestlöhne ein. Das kommt vor allem bei den vielen Angestellten im Disneyland gut an. 2016 hat Trump knapp die Elektorenstimmen in Florida geholt und damit die Wahlen für sich entschieden. Sollte Gillum gewählt werden, wäre dies ein deutliches Zeichen, dass die Stimmung im Sunshine State umgeschlagen hat. Gillum ist ein harter Kritiker des Präsidenten und tritt für ein Impeachment ein.