Ein Jahr nach seinem Amtsantritt hat US-Präsident Joe Biden die Bilanz seiner Regierung gegen zunehmende Kritik verteidigt. «Ich glaube nicht, dass ich zu viel versprochen habe», sagte der US-Demokrat am Mittwoch bei einer fast zweistündigen Pressekonferenz im Weissen Haus. Er sprach von einem Jahr der Herausforderungen, aber auch der «enormen Fortschritte». Unter anderem verwies er auf die Zunahme der Impfrate seit seinem Amtsantritt vor einem Jahr und auf wirtschaftliche Erfolge. So seien in seiner Regierungszeit sechs Millionen neue Jobs geschaffen worden. Arbeitslosigkeit und Armut hätten abgenommen, Gehälter hätten dagegen zugelegt.
Bidens Zustimmungswerte sind deutlich gesunken, Umfragen zufolge sind nur noch gut 42 Prozent der Amerikaner mit seiner Arbeit zufrieden. Biden ist unter anderem wegen der anhaltenden Coronavirus-Pandemie unter Druck, bei deren Bekämpfung seine Regierung Rückschläge erlitten hat. Zwar ist die Arbeitslosenquote annähernd auf das Niveau vor der Pandemie gesunken, Sorge bereitet aber die Inflation: Die Verbraucherpreise in den Vereinigten Staaten steigen so stark wie seit 40 Jahren nicht mehr. Aussenpolitisch hat das Debakel um den US-Abzug aus Afghanistan dem Präsidenten geschadet.
Biden hat zudem mehrere zentrale Versprechen nicht erfüllt. Mit Plänen für Wahlrechtsreformen und ein Gesetzespaket für Soziales und Klimaschutz ist er bislang am Kongress gescheitert – obwohl seine Demokraten sowohl im Repräsentantenhaus als auch im Senat knappe Mehrheiten haben. Bei den Kongresswahlen im November könnten die Republikaner die Mehrheit in beiden Kammern zurückerobern.
Biden räumte ein, dass das Land nicht so geeint ist, wie er sich das erhofft hat. Er wies aber Vorwürfe zurück, er würde seine Politik an den Linken in seiner Partei ausrichten. «Ich bin kein Sozialist», betonte er. Biden gab zu, den Widerstand der Republikaner im Kongress gegen seine Politik unterschätzt zu haben. «Ich habe nicht damit gerechnet, dass es so grosse Anstrengungen geben würde, um sicherzustellen, dass das Wichtigste ist, dass Präsident Biden nichts zustande bringt», sagte er. «Wofür sind die Republikaner?»
Biden zeigte sich trotz der Haltung der Republikaner zuversichtlich, Teile des vor Weihnachten im Senat blockierten massiven Investitionspakets für Soziales und Klimaschutz doch noch durchsetzen zu können. Vor den Kongresswahlen könnten zum Beispiel Teile zur Förderung von Elektromobilität und für Energie und Klimaschutz beschlossen werden, sagte der Präsident. Die Massnahmen hätten ein Volumen von rund 500 Milliarden US-Dollar (440 Milliarden Euro). Der Demokrat fügte hinzu, auch parteiinterne Gegner des Pakets wie Senator Joe Manchin unterstützten Teile davon wie etwa einen Ausbau der frühkindlichen Bildung.
Zusammen mit einem bereits beschlossenen Bündel an Investitionen in die Infrastruktur gehört das Paket für Soziales und Klimaschutz zu den Kernanliegen Bidens. Manchin, auf dessen Stimme das Weisse Haus im Senat angewiesen ist, erklärte aber kurz vor Weihnachten nach zähen Verhandlungen, dass er ein reduziertes Paket mit einem Volumen von rund 1,75 Billionen Dollar nicht mittragen werde.
Die in dem Paket vorgesehenen Massnahmen, darunter Investitionen in saubere Energien, Fördermittel für Elektroautos und energetische Sanierungen, sollten den Ausstoss der Treibhausgase stark reduzieren und den USA helfen, die Ziele des Pariser Abkommens von 2015 zu erfüllen. Dieses Ziel Bidens scheint nun in der Schwebe.
Biden hat den russischen Präsidenten Wladimir Putin erneut eindringlich vor den Folgen eines Einmarschs in der Ukraine gewarnt. Mit Blick auf die von den USA und ihren Verbündeten angedrohten harten Sanktionen gegen Russland sagte Biden, eine Invasion würde kein «Kinderspiel» für Russland. Militärisch habe Russland zwar eine «überwältigende Überlegenheit» gegenüber der Ukraine. «Aber wenn sie das tun, dann werden sie einen hohen Preis zahlen. Unmittelbar, kurzfristig, mittelfristig und langfristig.» Putin wolle den Westen auf die Probe stellen, unterschätze aber die Konsequenzen.
Biden sagte, er vermute, dass russische Soldaten in die Ukraine eindringen würden. Er glaube aber nicht, dass Putin «einen ausgewachsenen Krieg» wolle. Dann schien er anzudeuten, dass angedrohte Sanktionen der Nato vom Ausmass eines potenziellen russischen Einmarschs abhängen könnte. «Es ist eine Sache, wenn es sich um ein geringfügiges Eindringen handelt», sagte Biden. «Aber wenn sie tatsächlich das tun, wozu sie mit den an der Grenze zusammengezogenen Streitkräften in der Lage sind, dann wird das für Russland eine Katastrophe werden.» Er erklärte nicht näher, was er als «geringfügiges Eindringen» («minor incursion») betrachte.
NEW: Biden says he believes Putin and Russia will "move in" on Ukraine pic.twitter.com/HPS9jYf7QX
— Bloomberg (@business) January 19, 2022
Der US-Sender CNN zitierte einen ungenannten ukrainischen Regierungsvertreter mit den Worten, er sei «schockiert, dass US-Präsident Biden zwischen Eindringen und Einmarsch unterscheidet». Das gebe dem russischen Präsidenten Wladimir Putin «grünes Licht, nach Belieben in die Ukraine einzudringen». Der prominente republikanische Senator und Aussenpolitiker Lindsey Graham sagte, er sei «fassungslos» über die Äusserungen Bidens.
Die Sprecherin des Weissen Hauses, Jen Psaki, bemühte sich kurz nach Bidens Auftritt um Klarstellung. «Präsident Biden hat sich gegenüber dem russischen Präsidenten klar geäussert: Wenn sich russische Streitkräfte über die ukrainische Grenze bewegen, ist das eine erneute Invasion, und darauf werden die Vereinigten Staaten und unsere Verbündeten schnell, hart und geschlossen reagieren», teilte Psaki mit.
Der US-Präsident wisse aber, dass Russland «über ein umfangreiches Instrumentarium für Aggressionen» unterhalb der Schwelle militärischer Aktionen verfüge – beispielsweise Cyberangriffe und paramilitärische Taktiken. Biden habe bekräftigt, dass auch solche Aggressionen der Russen «mit einer entschlossenen, gegenseitigen und gemeinsamen Antwort beantwortet werden».
Auch die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats im Weissen Haus, Emily Horne, teilte kurz darauf mit: «Er bezog sich dabei auf den Unterschied zwischen militärischen und nicht-militärischen/paramilitärischen/Cyber-Aktionen der Russen. Solche Aktionen würden in Abstimmung mit den Verbündeten und Partnern in gleicher Weise beantwortet.»
Ein weiteres Thema war die geistige Fitness des US-Präsidenten. Ein ehemaliger Fox-Reporter, der jetzt für den rechten Fernsehsender Newsmax arbeitet, verwies dabei auf eine Umfrage, die kürzlich von Politico durchgeführt worden ist. Gemäss der Umfrage glaubten 48 Prozent der Befragten nicht, dass Joe Biden geistig fit sei.
Der Reporter fragte den Präsidenten daraufhin, wieso so grosse Teile der amerikanischen Wählerschaft Bedenken bezüglich seiner geistigen Fitness hätten.
Newsmax Chief White House Correspondent @JamesRosenTV presses Biden on a striking statistic about Americans' concern for his mental acuity, to which the president simply says "I have no idea." pic.twitter.com/CNrW14WPDZ
— Newsmax (@newsmax) January 19, 2022
Ohne lange zu überlegen, antwortete Biden «Ich habe keine Ahnung» und wandte sich dann dem nächsten Reporter zu.
Auch mit Blick auf die Pandemie verbreitete Biden Zuversicht. Noch sei es nicht so weit, aber die USA bewegten sich auf den Zeitpunkt zu, ab dem Corona den Alltag der Menschen nicht mehr stören und keine Krise mehr sein werde, sagte er. Seit seinem Amtsantritt habe sich die Lage dramatisch verbessert. Inzwischen gebe es ausreichend Impfungen und Medikamente, um die Pandemie einzudämmen. Biden sagte, in diesem gerade begonnenen Jahr wolle er häufiger das Weisse Haus verlassen, sich öfter Anregungen von Akademikern holen und sich intensiv in die Kongresswahlen einbringen.
Bei der Präsidentschaftswahl 2024 will Biden erneut zusammen mit seiner Stellvertreterin Kamala Harris kandidieren. «Ich denke, sie macht einen guten Job», sagte Biden am Mittwoch vor Journalisten im Weissen Haus über die Vizepräsidentin. Der 79-jährige Demokrat hatte zuvor bereits mehrfach erklärt, er werde sich 2024 um eine zweite Amtszeit bewerben – vorausgesetzt, er werde weiter bei guter Gesundheit sein.
Die 57-jährige Harris, eine schwarze frühere US-Senatorin aus dem Bundesstaat Kalifornien, ist die erste Frau im Vizepräsidentenamt. Sie war zuletzt vermehrt in der Kritik gestanden, zumal sie bislang bei den ihr anvertrauten Themen kaum Erfolge vermelden konnte.
Biden hatte das Präsidentenamt an diesem Donnerstag (20. Januar) vor einem Jahr von dem Republikaner Donald Trump (75) übernommen. Der Ex-Präsident sieht sich bis heute ohne jeden Beweis durch Wahlbetrug um den Sieg gebracht, seine Niederlage hat er nie anerkannt. Trumps Lager scheiterte mit Dutzenden Klagen gegen die Ergebnisse. Trump selber hat bislang offen gelassen, ob er bei der Präsidentenwahl 2024 wieder kandidieren möchte. (saw/sda/dpa)