Empörung über Untersuchungshaft für «Welt»-Korrespondent in Türkei

Empörung über Untersuchungshaft für «Welt»-Korrespondent in Türkei

28.02.2017, 05:04

Die gegen den «Welt»-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei verhängte Untersuchungshaft hat in Deutschland bei Regierung, Parteien und Journalistenverbänden Unverständnis und Empörung ausgelöst. In Frankfurt und Berlin sind Proteste geplant.

Der Korrespondent der deutschen Zeitung «Die Welt» war am Montag nach 13 Tagen im Polizeigewahrsam in Untersuchungshaft genommen worden. Die kann fünf Jahre dauern, bis es zur Freilassung oder zu einem Prozess kommt, in dem die Schuldfrage geklärt wird.

Dem 43-jährigen Korrespondenten werden der «Welt» zufolge «Propaganda für eine terroristische Vereinigung und Aufwiegelung der Bevölkerung» vorgeworfen.

Yücel ist der erste deutsche Korrespondent, der seit Regierungsübernahme der islamisch-konservativen AKP des heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2002 in Untersuchungshaft kommt.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nannte die Anordnung der Untersuchungshaft «bitter und enttäuschend» und erklärte: «Diese Massnahme ist unverhältnismässig hart, zumal Deniz Yücel sich der türkischen Justiz freiwillig gestellt und für die Ermittlungen zur Verfügung gestellt hat.»

Die deutsche Regierung erwarte, dass die türkische Justiz im Fall Yücel «den hohen Wert der Pressefreiheit für jede demokratische Gesellschaft» berücksichtige. «Wir (...) hoffen, dass er bald seine Freiheit zurückerlangt.»

«Schwierige Zeiten»

Der deutsche Aussenminister Sigmar Gabriel sprach von «schwierigen Zeiten für die deutsch-türkischen Beziehungen» und fügte hinzu: «Der Fall Deniz Yücel wirft ein grelles Schlaglicht auf die Unterschiede, die unsere beiden Länder offensichtlich bei der Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze und in der Bewertung der Presse- und Meinungsfreiheit haben.»

Justizminister Heiko Maas nannte den Umgang mit dem Journalisten «völlig unverhältnismässig». Kritische Berichterstattung sei ein «fundamentaler Bestandteil demokratischer Willensbildung».

«Das Wegsperren von missliebigen Journalisten ist mit unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit unvereinbar.» Wenn sich die Türkei nicht an die europäischen Grundwerte halte, werde eine Annäherung an die EU immer schwieriger bis unmöglich.

«Neue Qualität der Verfolgung»

Die Organisation Reporter ohne Grenzen erklärte: «Dass ein Korrespondent einer namhaften ausländischen Redaktion sich jetzt gegen solche Anschuldigungen erwehren muss, bedeutet eine neue Qualität der Verfolgung, die deutlich über die bisherigen Schikanen wie Einreisesperren oder verweigerte Akkreditierungen hinausgeht.»

Yücel und alle anderen inhaftierten Journalisten müssten sofort freigelassen, erklärte RoG-Geschäftsführer Christian Mihr. «Die gegen Deniz Yücel erhobenen Vorwürfe der Terrorpropaganda und der Aufwiegelung der Bevölkerung sind schlicht absurd.»

Kritische Berichterstattung

Der deutsch-türkische Korrespondent war vor etwa zwei Wochen festgenommen worden. Yücel hatte über gehackte E-Mails von Energieminister Berat Albayrak berichtet. Darin ging es auch um eine Beeinflussung der Öffentlichkeit etwa durch falsche Twitter-Nachrichten. Albayrak ist ein Schwiegersohn von Präsident Recep Tayyip Erdogan.

Die privaten E-Mails des Ministers hatte die linke türkische Hackergruppe RedHack beschafft. Sie sind seit Anfang Dezember auf der Enthüllungsplattform WikiLeaks zugänglich. In den Texten geht es unter anderem um die Kontrolle türkischer Medienkonzerne.

Proteste geplant

Die Partei der «Grünen» hat für diesen Dienstag Proteste vor der türkischen Botschaft in Berlin unter dem Motto #FreeDeniz angekündigt. In Frankfurt ist für den Nachmittag ein Autokorso zur Unterstützung des Deutsch-Türken geplant.

Yücel hat seine Bedingungen im Polizeigewahrsam - vermittelt über seinen Anwalt - in der «Welt am Sonntag» als schwierig bezeichnet. Er hatte aber auch hinzugefügt: «Mir geht es ganz gut.» Yücel teilte sich demnach mit meist ein bis zwei Mitgefangenen eine Sieben-Quadratmeter-Zelle.

Gewalt habe er nicht erfahren oder mitbekommen. Die Polizisten seien manchmal grob im Ton, aber nicht ausfallend und im Rahmen der Vorschriften meistens auch hilfsbereit.

Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen lag die Türkei schon vor dem im Juli 2016 verhängten Ausnahmezustand auf Platz 151 von 180 Staaten. Dutzende regierungskritische türkische Journalisten sitzen in Haft. Im Dezember war ein amerikanischer Korrespondent des «Wall Street Journals» vorübergehend festgenommen worden, er verliess anschliessend das Land. (sda/dpa/reu/afp)

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