Schweiz
Kommentar

Der RASA-Rückzug macht den Weg frei für künftige Europa-Showdowns

Thomas Geiser, Professor fuer Arbeitsrecht an der Uni St. Gallen, links, spricht mit Staenderat Andrea Caroni, FDP-AR, rechts, an der Seite von Tim Guldimann, SP-ZH, Mitte, an einer Medienkonferenz zu ...
RASA-Initiant Thomas Geiser (l.) im Gespräch mit SP-Nationalrat Tim Guldimann und FDP-Ständerat Andrea Caroni.Bild: KEYSTONE
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Mit «Tabula RASA» ist der Weg frei für künftige Europa-Showdowns

Der Rückzug der RASA-Initiative ist vernünftig. Er erspart dem Land eine heikle Abstimmung und ermöglicht den Blick nach vorne. Denn der nächste wichtige Entscheid für oder gegen eine offene Schweiz folgt schon bald.
12.12.2017, 16:0013.12.2017, 05:40
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Die Volksinitiative «Raus aus der Sackgasse» (RASA) ist vom Tisch. Das hat das elfköpfige Initiativkomitee am Montagabend «mit komfortabler Mehrheit» beschlossen, wie es am Dienstag an einer Medienkonferenz hiess. Damit kann das Stimmvolk nicht darüber abstimmen, ob es den am 9. Februar 2014 angenommenen Zuwanderungsartikel 121a wieder aus der Bundesverfassung streichen will.

Das Bedauern über diesen Entscheid hält sich in engen Grenzen. «Sie dürfen heute aufatmen», sagte Franziska Barmettler vom Initiativkomitee an die Adresse der Parlamentarier und Verbandsvertreter, die ebenfalls an der Medienkonferenz teilnahmen. Denn niemand ist scharf auf eine erneute Zuwanderungsabstimmung, ausser vielleicht die SVP.

Noch im September hatten die Initianten das Parlament unter Druck gesetzt: Ohne direkten Gegenvorschlag werde RASA nicht zurückgezogen. National- und Ständerat liessen sich nicht darauf ein, dennoch hat sich das Komitee für den Rückzug ausgesprochen. Nach dem Entscheid des Parlaments habe man die Lage neu beurteilt, erklärte Rechtsprofessor Thomas Geiser.

Heikle Stolpersteine

Man kann dies bedauern, denn obwohl die Initiative ihr wichtigstes Ziel, die Sicherung der bilateralen Verträge erreicht hat, sind nicht alle Probleme gelöst. Der Verfassungsartikel enthält einige Stolpersteine, etwas das Verbot neuer völkerrechtlicher Verträge, die dagegen verstossen. Der Schweiz könnte dies noch Kopfzerbrechen bereiten, etwa wenn sie mit Grossbritannien ein Post-Brexit-Abkommen vereinbaren will.

Plakat der Befuerworter der Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung", aufgenommen in Oberensgstringen am Dienstag, 7. Januar 2014. (KEYSTONE/Walter Bieri)
Das leidige Thema MEI ist fürs Erste vom Tisch.Bild: KEYSTONE

Dennoch ist «Tabula RASA» der richtige Entscheid. Denn was hätte es gebracht, wenn sich das Stimmvolk ein weiteres Mal mit der «Altlast» namens Masseneinwanderungs-Initiative hätte herumschlagen müssen? Diese Art der Vergangenheitsbewältigung mag der Psychohygiene dienen. Im schlimmsten und nicht unwahrscheinlichen Fall aber hätte eine RASA-Abstimmung kontraproduktiv wirken und der SVP einen billigen Erfolg bescheren können.

Die Kräfte bündeln

Nun kann das MEI-Kapitel vorläufig abgeschlossen und der Fokus auf künftige Abstimmungskämpfe gerichtet werden. Es gelte, «die Kräfte für eine erfolgreiche, offene und solidarische Schweiz zu bündeln und bei Bedarf entschlossen zu handeln», hielten die Initianten fest. Dies dürfte schon bald der Fall sein:

  • SVP und AUNS haben mit der Kündigungsinitiative den nächsten Angriff auf die Personenfreizügigkeit eingeleitet. Der Text wird derzeit von der Bundeskanzlei geprüft.
  • Schon im November 2018 könnte die Abstimmung über die so genannte Selbstbestimmungs-Initiative der SVP stattfinden.
  • Schliesslich bleibt die Grossbaustelle des institutionellen Rahmenabkommens mit der EU. Die Schweiz wird dieses Thema nicht ewig auf die lange Bank schieben können.

An künftigen Herausforderungen fehlt es somit nicht. Die RASA-Initiative wäre nur ein unnötiger Störfaktor gewesen. Die Diskrepanz zwischen dem Verfassungsartikel und der rudimentären Umsetzung ist unschön, aber immer noch das kleinere Übel als eine Abstimmung mit ungewissem Ausgang.

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Wenn sich da die EU und die Schweiz nicht näher kommen: Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker sehr innig.
quelle: x01164 / francois lenoir
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9 Kommentare
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Matthias Ott (1)
12.12.2017 18:42registriert Oktober 2017
"Die Diskrepanz zwischen dem Verfassungsartikel und der rudimentären Umsetzung ist unschön, aber immer noch das kleinere Übel als eine Abstimmung mit ungewissem Ausgang." Dieser letzte Satz als Fazit zeigt meiner Meinung nach schön das Demokratieverständnis des Journalisten und der Mehrheit der Parlamentarier auf.
Man will also nach dem Verbiegen des Volkswillens ja keine neue Abstimmung. Sonst sagt dann das Volk nochmals seinen Willen. Pfui nein auch!
Man kann politisch zur Personenfreizügigkeit stehen, wie man will. Demokratiepolitisch ist es eine einzige Tragödie...
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Madison Pierce
12.12.2017 18:51registriert September 2015
Ich finde den Rückzug schade. Nicht weil ich unbedingt eine Abstimmung gewollt habe, sondern weil sich das Initiativkomitee unglaubwürdig gemacht hat. Zuerst zu drohen, ohne Gegenvorschlag werde die Initiative nicht zurückgezogen, und dann trotzdem der Rückzug: der nächsten Drohung dieser Leute glaubt man nicht mehr.
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Einstein56
12.12.2017 19:49registriert Juni 2014
Die Initianten haben zum Glück eingesehen, dass die Initiative chancenlos war und versuchen nun, ihre Niederlage schön zu reden.
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