Nebel
DE | FR
Sport
Eismeister Zaugg

National League: Welchen Sinn macht eine Meisterschaft ohne Sinn?

Sicht in die leere Halle im Eishockey Cup Achtelfinalspiel zwischen dem SC Bern und dem HC Davos, am Sonntag, 25. Oktober 2020, in der PostFinance Arena in Bern. (KEYSTONE/Peter Schneider)
Die leere PostFinance Arena in Bern.Bild: keystone
Eismeister Zaugg

Welchen Sinn macht eine Meisterschaft ohne Sinn?

Und nun auch noch Ambri in der Quarantäne. Kommt die Meisterschaft aus einem ganz anderen Grund zum Stillstand als wir bisher gedacht haben? Kann bald nicht mehr gespielt werden, weil den Klubs die Spieler ausgehen? Zum ersten Mal in der Geschichte unseres Eishockeys müssen wir uns die Frage stellen, ob es so noch Sinn macht.
30.10.2020, 07:3330.10.2020, 12:18
Folge mir
Mehr «Sport»

Spielplangeneral Willi Vögtlin ist gestern kurz vor Mitternacht noch wach und nimmt das Telefon ab. Er seufzt: «Ich bin wirklich am Anschlag.» Seit dem 20. Oktober musste er in den beiden höchsten Ligen bereits 22 Partien verschieben. Weil Teams in die Quarantäne geschickt worden sind. Allein seit dem 27. Oktober acht in der National League. Eine solche Beeinträchtigung des Spielbetriebes hat es nicht einmal in stürmischen Wintermonaten vor dem Hallen-Obligatorium (seit 1975) gegeben.

Der Spielplan vom Wochenende – die verschobenen Spiele sind orange markiert.
Der Spielplan vom Wochenende – die verschobenen Spiele sind orange markiert. screenshot: sihf

Willi Vögtlin sagt, technisch seien die Verschiebungen machbar. Das ist die andere Seite dieser Ausnahmesituation: weil alle Anlässe abgesagt werden müssen, stehen die Stadien inzwischen praktisch jeden Tag für Hockeyspiele zur Verfügung. Verschiebedaten gibt es theoretisch bis im Frühjahr genug. Zumal bereits nächste Woche während der Nationalmannschaftspause ohne Nationalmannschaft Nachtragspartien angesetzt werden können. Auch die Nationalmannschaftspause ohne Nationalmannschaft im Dezember und die Altjahrswoche ohne Spengler Cup sind für Meisterschaftsspiele frei.

Bisher richteten wir alles Sinnen und Trachten nach dem Grundsatz: Spielen, bis die Welt untergeht. Geisterspiele als Lösung, die funktionieren kann. Unbedingt die Meisterschaft fortsetzen. Dass die Welt untergehen könnte, haben wir aber nie bedacht. Dass sich selbst der Kalender für Geisterspiele nach und nach auflösen könnte, nie für möglich gehalten.

Wir haben in den letzten Wochen und Monaten über die finanziellen Folgen der Einschränkungen debattiert.

  • Wie viele Millionen werden die Klubs verlieren?
  • Wie viel Geld gibt es aus öffentlichen Kassen für die Rettung des Eishockeys, wie wir es kennen?
  • Wird die Kurzarbeitsentschädigung für Spieler und Trainer wieder gewährt?
  • Auf wie viel Lohn verzichten die Spieler?
  • Wie viel Geld muss den Saisonkartenbesitzern und den Sponsoren allenfalls zurückbezahlt werden?

Vortrefflich lässt sich zudem über Sinn und Unsinn von Geisterspielen philosophieren. Und wir können einen alten Witz aufwärmen: Wenn einer im Herbst 2020 allein nicht schläft, dann ist es ein Philosoph, der nachdenkt. Wenn zwei nicht schlafen, sind es Liebende. Wenn vierzehn nicht schlafen, sind es die Klubmanager der National League, Liga-Direktor Denis Vaucher und Ueli Schwarz von «MySports».

Denis Vaucher, Direktor National und Swiss League, spricht waehrend einer Medienkonferenz nach einer ausserordentlichen Ligaversammlung ueber die Entscheidungen betreffend dem Schweizermeister sowie d ...
Liga-Direktor Denis Vaucher.Bild: KEYSTONE

Nur eines haben wir noch nicht gefragt: macht so alles noch Sinn? Und das Undenkbare haben wir noch nicht gedacht: Aufhören!

Als alles noch Sinn machte, waren Spielverschiebungen selten wie Wolfssichtungen am Platzspitz. Und wenn es doch welche gab, dann liess sich daraus ohne jede Boshaftigkeit eine Polemik oder gar eine vom SCB gesteuerte Spielplan-Verschwörungstheorie drechseln. Im fein getakteten Getriebe des Meisterschaftsbetriebes wurde einst schon eine einzige Verschiebung als womöglich meisterschaftsentscheidender Störfaktor empfunden. Und nun haben wir in zehn Tagen im Oktober mehr Verschiebungen als in den letzten zehn Jahren zusammengezählt.

Wir haben noch nicht einmal ein Viertel der Qualifikation gespielt und eine Tabelle mit Mannschaften, die schon zehnmal gespielt haben (ZSC Lions) und solchen, die erst viermal antreten durften (Davos). Wenn das so weiter geht, dann hat beim geplanten Qualifikationsende am 7. März noch niemand 52 Partien absolviert, einige werden bei 45 oder 46 sein und andere bei 25 oder 30.

Davos' player Joe Thornton celebrates the 2-2 goal, during the match of National League Swiss Championship between HC Lugano and HC Davos at the ice stadium Corner Arena in Lugano, on Friday, Oct ...
Den HCD und Joe Thornton haben wir noch nicht oft spielen gesehen.Bild: keystone

Aber erst eine ganz banale Feststellung eines Klubmanagers, dessen Name mir wieder entfallen ist, hat bei mir so etwas wie eine Sinnkrise ausgelöst: «Es gibt keine Gründe mehr für eine Polemik …» So ist es. Die Lust zu loben, zu schmähen, zu polemisieren, zu spekulieren, zu fabulieren, zu kritisieren, zu spotten, zu glorifizieren, zu dramatisieren – wo ist sie geblieben? Alles ist relativ geworden. Heisst: nur noch in bestimmten Grenzen, unter bestimmten Gesichtspunkten, von einem bestimmten Standpunkt aus zutreffend und daher in seiner Gültigkeit, in seinem Wert stark eingeschränkt.

Weniger wissenschaftlich: spielt es überhaupt eine Rolle, wenn Biel sieben Mal hintereinander verlieren, der SCB auf den letzten Platz abrutschen, die ZSC Lions die Playoffs verpassen oder Ambri die Qualifikation gewinnen sollte? Nein. Es geht jetzt für alle nur noch darum, überhaupt durch den Winter zu kommen. Ein Titel nach dieser Saison wird ein Muster ohne Wert sein.

Die Eishockey-Meisterschaft ist ein Teil der Unterhaltungsindustrie. Wie eine «Lindenstrasse on Ice» produziert sie fast täglich Triumphe und Niederlagen, Dramen und Komödien, Emotionen und Enttäuschungen. Aber wenn die Resultate keine Rolle mehr spielen, wenn es keine Triumphe und Niederlagen, keine Dramen und Komödien, keine Emotionen und Enttäuschungen mehr gibt – macht dann der Spielbetrieb noch Sinn? Das Jammern über behördliche Einschränkungen und Finanznöte, die Forderungen nach Staatshilfe und die Entwürfe von Untergangs-Szenarien sind ermüdend. Nicht unterhaltend.

Deshalb die Frage: macht eine Meisterschaft ohne Sinn noch Sinn? Wenn nicht, sollten dann alle, die Generäle der TV-Stationen, die Sponsorenvertreter, die Präsidenten, die Manager, die Spieler, die Agenten, die Behördenvertreter, die Stadienbesitzer an einen Tisch sitzen und ein Szenario entwerfen, wie das Eishockey angehalten, in eine Art Winterschlaf versetzt und, wenn dieser Albtraum vorbei ist, wieder belebt werden kann? Aber heisst es nicht «the Show must go on!»?

Zum ersten Mal seit es Profisport gibt, müssen wir diesen Allerweltspruch abändern: «The Show can’t go on!».

Und der Chronist löscht als Letzter das Licht und geht nach Hause. Einer Existenz entgegen, wie sie der weltberühmte Maler Carl Spitzweg in einem grandiosen Gemälde («der arme Poet») festgehalten hat. Doch lieber nicht aufhören?

Carl Spitzwegs «Der arme Poet».
Carl Spitzwegs «Der arme Poet».bild: commons.wikimedia.org
watson Eishockey auf Instagram
Selfies an den schönsten Stränden von Lombok bis Honolulu, Fotos von Quinoa-Avocado-Salaten und vegane Randen-Lauch-Smoothies – das alles findest du bei uns garantiert nicht. Dafür haben wir die besten Videos, spannendsten News und witzigsten Sprüche rund ums Eishockey.

Folge uns hier auf Instagram.
DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet um die Zahlung abzuschliessen)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
NLA-Trikotnummern, die nicht mehr vergeben werden
1 / 148
NLA-Trikotnummern, die nicht mehr vergeben werden
HC Davos: 5 - Marc Gianola.
quelle: keystone / fabrice coffrini
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Maske zusammenfalten? NEIN! So handhabt man Masken richtig
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
33 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Denverclan
30.10.2020 07:44registriert September 2016
Man kann auch bis in den nächsten Sommer spielen...gebt den Zuschauern die Möglichkeit Zuhause alle stattfindenden Spiele via TV sehen zu können. Alles Einstellen und nur noch Training? Das wäre sinnlos! Anpassen und das Beste daraus machen...Covid kann noch lange bleiben. Gebt den alten Spielern die Chance sich nochmals zu zeigen und den Fans wenigstens das TV im tristen Alltag Zuhause.
23614
Melden
Zum Kommentar
avatar
Palpatine
30.10.2020 08:42registriert August 2018
Mir gehen die Kommentare von Klaus Zaugg langsam auf die Nerven. Natürlich darf man die aktuelle Situation mit den daraus resultierenden Entscheidungen kommentieren und kritisieren. Ich weiss ja selber nicht, was das Beste für den Spitzensport (ich zähle den Fussball dazu) ist.
Sich aber gefühlt jeden zweiten Tag darüber auszulassen, warum, weshalb und wieso die Entscheide schlecht sind, ist auch nicht sehr konstruktiv. Der Entscheid wurde gefällt, warum ziehen "wir" das jetzt nicht einfach mal durch, bis wir sehen, in welche Richtung sich Corona weiterentwickelt?
22052
Melden
Zum Kommentar
avatar
Lightwood
30.10.2020 11:05registriert März 2020
Wer hätte das vor zwei Wochen gedacht? War ja so was von klar, dass es genau so kommen wird. Aber zuerst mal zwei Wochen lang polemische Artikel raushauen. Schwierig.
407
Melden
Zum Kommentar
33
«Ich habe die Freude wieder» – Gut-Behrami holt Gesamtweltcup und Riesenslalom-Kugel
Lara Gut-Behrami ist zum zweiten Mal Gesamtweltcup-Siegerin und erstmals auch Gewinnerin der kleinen Kugel für Platz 1 im Riesenslalom-Weltcup.

Gut-Behrami reichte für den Doppelschlag im Riesenslalom beim Saisonfinale in Saalbach Rang 10, um sich mit dem erstmaligen Gewinn der «Riesen»-Kugel einen grossen Traum zu erfüllen. Den grossen Kristall-Pokal holte sie acht Jahre nach dem ersten Triumph zum zweiten Mal.

Zur Story