War der damals, anno 1995 gemeinsam mit dem Bräutigam im Vorkurs für Makramee- und Scherenschnittkunst? Oder 2003 gemeinsam mit der Braut im Aerobic-Weekend in Savognin? Oder ist er einfach ein Angestellter der Hochzeitslocation? Wieso ist er dann aber auf allen Fotos mit dabei? Die Festlichkeit geht vorüber und auch drei Jahre später stellt sich die Frage: Wer war er?
Könnte die Braut sein. Ist es aber nicht. Sie trägt ein weisses Kleid, das gemäss eigenen Angaben «cremefarben» ist, dafür einfach generell etwas enger, knapper und kecker, als das der Braut. Auf ihrem Standpunkt verharrend, der Braut nicht die Show stehlen zu wollen, legt sie dann gut und gerne eine lasziv-obszöne Tanzeinlage ein. Wer sie ist, kommt meist erst später ans Licht: Die Freundin des Kumpels vom Trauzeugen. Oder so. Sympathien stehen bei ihr Schlange.
Es ist der Blick, der diesen Typen verrät. Unter welchen Umständen auch immer – während dem Gruppenfoto, einer tiefgründigen Diskussion oder der Trauung selbst – sein Blick ruht auf der Bar. Oder den mit den Weinflaschen umherwandelnden Kellnern. «So eine Hochzeit ist ja nicht alle Tage, da darf man auch mal zulangen, hehe», wird er sagen und sein Glas genüsslich aufs Neue füllen lassen. Und sich im Trubel des frohen Treibens einfach treiben lassen. Hemmungslos und immer betrunkener.
Die Ehe ist eine Institution, die im kollektiven Glauben an die Sache selbst gründet. Dieser Typ ist eher als Zaungast dieses Glaubenskollektivs zu verstehen. Während der Zeremonie gibt er zynische Kommentare von sich, die seinen Sitznachbarn ein unentspanntes Schmunzeln abringen. Gratulieren tut er dem Paar anschliessend übrigens trotzdem «von Herzen» – allerdings nicht ohne den einen oder anderen sarkastischen Spruch zu verlieren. Mit bedrohlichem Unterton.
Sie gehören ohnehin dazu. Und stellen einen ganz eigenen Typ Hochzeitsgast dar. Die ungeheure Anspannung der Vorbereitungsphase kompensierend, begeben sie sich im Verlaufe des Abends in einen Zustand zusehends forcierter Ekstase, die irgendwo zwischen kontrollierter Eskalation und mutwilliger Glückseligkeit einzustufen ist. Vorsicht ist geboten, wenn dein Weg die entfesselten Versionen dieses Typs kreuzt.
Dieser Typ findet es einfach nur «mega herzig», wie sich die Beiden getroffen, dann kennen und lieben gelernt haben, spricht gerne mal davon, wie er es «immer schon gewusst» hat, dass dieses Rencontre in einer Trauung enden würde, ist gemäss eigener Aussage den Tränen nahe, weil es «einfach so schön» ist und hat seine Erfüllung erst gefunden, nachdem Braut und Bräutigam mindestens 36 Mal innig umarmt wurden. Einfach, weil er so «glücklich für die Beiden» ist.
Obwohl seit Beginn der Festlichkeit unter den begeisterten Gäste, gibt er sich erst zu eher späterer Stunde zu erkennen. In einem gemeinschaftlichen Zustand ausgelassener Gelassenheit, taucht er dann dort auf, wann und wo man ihn zuletzt erwartet hatte, was traditionellerweise der Tanzfläche zum Zeitpunkt des «Macarena» entspricht. Liebenswert blamabel werden Hüften von dieser Person geschwungen, die dies bislang erfolgreich unter Verschluss gehalten hat.
Während sich das Brautpaar im Ausüben radikaler Grosszügigkeit übt und dem Gaumen der Gesellschaft nach allen Regeln der Verwöhnerkunst in jeglicher Form und Fülle schmeichelt, lässt sich dieser Typ nicht blenden. Der Wein ist gerne mal «etwas zu schwer für dieses Menü» oder «zu warm», was keine Schande, aber «halt einfach ein bisschen schade» ist. Genau wie das Stück vom Kalb, das er «lieber etwas mehr rosa» gehabt hätte oder die Sauce, die er persönlich «ein My besser abgebunden» hätte. «Aber ist halt Geschmacksache», gell.
Wer gedacht hat, dass die Evaluierung der bisherigen Typen eine einzige Klischeeausschlachterei war, dem wird bei diesem Typ der Atem stocken.
«Von wo kennst denn du die Braut?», «Bist du oft auf Hochzeiten?» oder «Wow, tolles Kleid / toller Anzug! Gefällt mir.» (Gähn.) Jap, dieser Typ ist sich für nichts zu schade. Mit den Tools, die bei den meisten anderen sorgsam in der untersten Schublade deponiert sind, versucht er sich die Fröhlichkeit des Anlasses zunutze zu machen, um seiner Libido etwas Auslauf zu gewähren. Während andere in der Retrospektive mit einer Prise Fremdscham über sein Verhalten berichten, erzählt er mit einer gehörigen Portion Eigenlobhudelei und Stolz davon.