Echt jetzt: Gibt es irgend jemanden, der nicht gehirntot ist, der noch daran zweifelt, dass Präsident Trump die Ukraine erpressen wollte?
Trotzdem wird derzeit in Washington mit gewaltigem Aufwand versucht zu beweisen, was längst bewiesen ist. Dabei wird der Tatbestand selbst von den Anhängern Trumps nicht wirklich bestritten. Es ist ihnen einfach egal. Besonders Gläubige behaupten gar, Trump sei von Gott gesandt, denn der Allmächtige benutze gelegentlich einen Sünder, um seine Pläne umzusetzen.
Das Offensichtliche wird nicht nur bestritten, es wird ins Gegenteil verkehrt. Jonathan Turley, Rechtsprofessor an der Washington University, erklärte vor dem Hearing des Justizausschusses: Nicht der Präsident missbrauche seine Macht, weil er die Militärhilfe an die Ukraine blockiert hatte, sondern das Repräsentantenhaus, weil es die anstehenden Gerichtsentscheide nicht abwarte.
Nicht nur im Impeachment werden die Dinge auf den Kopf gestellt. Die Berichterstattung über den Nato-Gipfel lässt die neue Bedrohung Chinas für den Westen links liegen und stellt ein Video in den Mittelpunkt, in dem sich mehrere Staatsmänner über Trump lustig machen. Deutschland droht derweil unregierbar zu werden, weil die SPD sich erfrechte, zwei Hinterbänkler an die Spitze der Partei zu berufen.
Die drei anekdotischen Ereignisse der letzte Tage zeigen, wie die Welt aus den Fugen geraten ist. Und keiner von uns zweifelt daran, dass es so weitergehen wird. Wir hetzen von «breaking news» zu «bombshell». Die Schuld den Medien zuzuschanzen, wäre zu billig. Wir erleben den Zusammenbruch einer Ära.
Angefangen hat diese Ära mit dem Fall der Berliner Mauer. Der Kalte Krieg war vorbei, der Westen hatte gewonnen. Francis Fukuyama veröffentlichte sein legendäres Essay vom Ende der Geschichte, das im Wesentlichen die These vertrat: Die Hegelsche Dialektik hat ihr Ziel erreicht. Die Formel Marktwirtschaft plus Demokratie wird nicht mehr zu toppen sein und die Menschheit bis an ihr Ende begleiten.
Diese Formel wurde gemeinhin unter dem Begriff Neoliberalismus zusammengefasst und bald nach Kräften in die Tat umgesetzt. Die Ökonomen stellten die Werke von John Maynard Keynes in die Rumpelkammer und begannen die Tugenden des freien Marktes zu loben. Die Politiker ihrerseits setzen alles daran, lästige Gesetze ausser Kraft zu setzen und staatliche Unternehmen zu privatisieren.
Unter der Leitung des Internationalen Währungsfonds (IWF) wurde der Neoliberalismus auf den ganzen Planeten ausgedehnt. Der «Washington Konsensus», eine von IWF-Ökonomen verfasste Anleitung zum Deregulieren und Privatisieren, wurde noch dem letzten Entwicklungsland aufs Auge gedrückt.
Selbst das kommunistische China spielt mit. Es trat der Welthandelsorganisation WTO bei und wurde Mittelpunkt einer globalen Supply Chain, welche uns mit unfassbar günstigen Konsumgütern beglückte.
Der Neoliberalismus verwandelte nicht nur die Wirtschaft, er schuf auch einen anderen Menschen. Paul Mason beschreibt diesen neuen Menschentyp in seinem Buch «Klare, lichte Zukunft» wie folgt:
Mit der Finanzkrise zerbrach auch der neoliberale Traum. Nochmals Mason:
Tatsächlich hat die neoliberale Revolution ihre Kinder gefressen. Der freie Markt existiert weitgehend in der Ideologie. Stattdessen haben sich im Westen Oligopole oder gar Monopole gebildet. Typisch dafür ist der IT-Bereich, der von ein paar wenigen Playern dominiert wird. In China ist aus einer Symbiose von Partei und Staat ein Staatskapitalismus entstanden.
In Bedrängnis gerät auch die Globalisierung. Der Nationalismus feiert ein Comeback, nicht nur die USA stellen ihre Interessen an die erste Stelle. Rechtspopulisten beherrschen die Schlagzeilen und zunehmend auch die Parlamente. Der «Krieg der Zivilisationen», den der Politologe Samuel Huntington in den Neunzigerjahren in Aussicht gestellt hat, ist zur realen Bedrohung geworden.
Der Konsumrausch ist dem Kater gewichen. Wir werden nicht nur dicker, sondern auch depressiver. Klimaerwärmung und Massensterben können nicht mehr geleugnet werden. Wir sehnen uns nach einer anderen Zukunft, haben jedoch keine Ahnung, wie sie aussehen könnte.
Es entsteht, was gelegentlich und zutreffend als «Wohlstands-Faschismus» bezeichnet wird. Nicht wirtschaftliche Not, sondern das Fehlen von Visionen lässt die Menschen verzweifeln und die Schuld beim anderen Geschlecht, bei der anderen Rasse oder dem anderen Glauben suchen.
Fakten und Vernunft haben in diesem Klima keine Chancen, Demagogen leichtes Spiel. Die Erde wird wieder flach, Echsenmenschen wollen uns vernichten. Keine Verschwörungstheorie ist zu absurd, um nicht ihre Anhänger zu finden.
Der Kollaps des Neoliberalismus hat eine Sinneskrise ausgelöst, in der das Offensichtliche geleugnet werden kann – und es auch täglich wird.
Auch wenn ich mir für meine Tochter von ganzem Herzen gewünscht hätte, dass sie so wie ich, im Glauben aufwachsen kann, dass wir die „perfekte“ Gesellschaftsform gefunden hätten und nicht in ihrer Jugend dann die volle Breitseite dieser Veränderung abbekommen wird.
So wie die Republikaner hemmungslos mit offenen Lügen einen Soziopathen an der Macht halten, weil sie Angst vor dem Verlust von Macht und Geld haben. So tun es die Herrschenden überall auf der Welt in allen Kulturen. Auch hier, in der Schweiz. Überall! Der Reichtum blockiert die Entwicklung und zerstört gleichzeitig sich selbst und alles rundum. Da bleibt nur ein Fazit: Reichtum verblödet!
www.watson.ch/!749685785
Der Neoliberalismus stützt sich (laut Naomi Klein) auf 3 Pfeiler:
1) Vollständige Deregulation der Wirtschaft
2) Privatisierung der öffentlichen Sphäre (=Energie, Wasser, Bildung...)
3) Steuersenkungen der Wohlhabenden
Auch bei uns wird dieses Konzept gelebt und von einigen Parteien stärker unterstützt als von anderen