Seit dem Ja des Stimmvolks zur Masseneinwanderungs-Initiative der SVP am 9. Februar sind die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU angespannt.
Brüssel wartet auf Vorschläge des Bundesrats, wie er den neuen Verfassungsartikel personenfreizügigkeitskonform umzusetzen gedenkt.
Denn Neuverhandlungen werden auf EU-Seite bisher kategorisch ausgeschlossen. Alle warten deshalb gespannt auf den ersten Zug des Bundesrats, wie er die Schweiz aus dieser schwierigen Lage führen will.
In einer solchen Situation wäre ein geeintes Auftreten besonders wichtig. Doch im Bundesrat herrscht offensichtlich dicke Luft.
Die Chemie stimmt vor allem zwischen den beiden Berner Magistraten Simonetta Sommaruga (SP) und Johann Schneider-Ammann (FDP) nicht.
Grund: Seit der Bundesrat offiziell der Justizministerin und deren Bundesamt für Migration (BFM) das Dossier «Umsetzung der Initiative» übertragen hat, leistet sich der Wirtschaftsminister zahlreiche Sololäufe – was laut «NZZ am Sonntag» in mehreren Departementen irritiert.
Dazu gehören etwa nicht abgesprochene Interviews in Medien, Aussagen gegenüber ausländischen Ministern, aber auch ein Treffen mit Spitzenvertretern der Wirtschaft vom Samstag in Bern war ursprünglich keine mit dem Justizdepartement koordinierte Aktion.
Es diente laut offizieller Sprachregelung als «Vorbereitungstreffen» für den innenpolitischen Gipfel vom 13. März, an dem nicht nur die Wirtschaft, sondern auch Kantone, Städte und Gewerkschaften beteiligt sind.
Bezeichnend für die derzeitige Phase innenpolitischer Spannungen sind widersprüchliche Angaben. So sagt etwa Schneider-Ammann in einem Interview mit der «Sonntags-Zeitung», eine Expertengruppe habe den Lead für die Umsetzung der Masseneinwanderungs-Initiative.
Gut informierte Quellen korrigieren diese Aussage: Der Lead liege bei der Verwaltung. Die Expertengruppe sei ein sogenanntes Sounding Board. Die Experten seien nur dazu da, die Vorschläge des Bundesamtes für Migration kritisch zu begleiten.
Dem Vernehmen nach hält man im Bundesrat auch die Erwartungen für gefährlich, die Schneider-Ammann mit seinen Äusserungen schüre.
«Wir müssen die Initiative und die Personenfreizügigkeit in Einklang bringen, auch um die Bilateralen zu sichern», sagte Schneider-Ammann in der Sonntagspresse.
Dies jedoch widerspricht Aussagen des Bundesrats in der Abstimmungskampagne: «Die Initiative ist mit dem Freizügigkeitsabkommen nicht vereinbar», hiess es im Abstimmungsbüchlein. Es sei politisch daher sehr unklug, nun so zu tun, als wäre dies trotzdem möglich, sagt ein Insider.
Das BFM arbeitet offenbar an zwei Stossrichtungen für die Umsetzung. Die erste bleibt nahe am Verfassungstext, der Höchstzahlen und Kontingente vorschreibt. Diese Variante wäre nicht EU-kompatibel.
Sollte sich die Schweiz dafür entscheiden, dürften die bilateralen Verträge akut gefährdet sein. Die zweite Variante orientiert sich an der Personenfreizügigkeit, die grundsätzlich nicht infrage gestellt wird, um die bilateralen Verträge zu retten. Mit dieser Variante aber werde die Initiative stark verwässert.
Für Irritation sorgen auch Schneider-Ammans Äusserungen zu Kroatien. «Wir anerkennen Kroatien als vollwertigen EU-Staat, der nicht diskriminiert werden darf. Wir werden eine entsprechende Lösung vorschlagen», so der Wirtschaftsminister.
Schneider-Ammanns Optimismus teilen seine Kollegen offenbar nicht: Diese Lösung für Kroatien gebe es nicht, sagt ein Kenner des Dossiers.
Am Samstag demonstrierten derweil rund 10'000 Personen auf dem Bundesplatz in Bern gegen eine Abschottung der Schweiz. Darunter befanden sich zahlreiche Studierende, die sich um die Zukunft des Austauschprogramms Erasmus+ und des Forschungsabkommens Horizon 2020 Sorgen machen.
(Stefan Schmid, Die Nordwestschweiz)