Weltweit waren Homosexuelle am Wochenende in Feierlaune. Anlass war das bahnbrechende Urteil des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten vom letzten Freitag, das die Homo-Ehe in den USA für legal erklärte. Noch bestehende Verbote einzelner Staaten müssen gekippt werden. Es ist der Endpunkt einer atemberaubenden Entwicklung: Noch vor zehn Jahren war eine klare Mehrheit der Amerikaner gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Heute ist sie weitherum akzeptiert.
It's not often you see public opinion move as dramatically and steadily as this: http://t.co/ai3RHidlFw pic.twitter.com/AZ2L2hgFqW
— Nate Silver (@NateSilver538) 27. Juni 2015
Nur die konservativen Hardliner leisten weiter Widerstand. Sie klammern sich an die Definition der Ehe als Verbindung von Mann und Frau und beschwören Sodom und Gomorrah herauf. In ihren Augen führt das Urteil des höchsten US-Gerichts zu einer Ausdehnung des Ehebegriffs, die selbst Befürwortern der Homo-Ehe nicht geheuer ist. «Polygamy, here we come!», twitterte der Journalist Bill Kristol, Chefredaktor der Zeitschrift «Weekly Standard».
Polygamy, here we come!
Roberts: "The majority randomly inserts the adjective 'two' in various places for no reason at all."
— Bill Kristol (@BillKristol) 26. Juni 2015
Dabei bezog er sich auf die von Chefrichter John Roberts verfasste Meinung der unterlegenen Minderheit, wonach die Argumente der Mehrheit «auch den Anspruch auf ein Grundrecht auf Vielehe» begründen würden. In unseren Breiten sind ähnliche Töne zu vernehmen. Die deutsche CDU-Politikerin Annegret Kramp-Karrenbauer zeigte sich in einem Interview besorgt. Bei einer Öffnung der «klassischen» Ehe-Definition seien andere Forderungen nicht auszuschliessen, «etwa eine Heirat unter engen Verwandten oder von mehr als zwei Menschen».
Kramp-Karrenbauer ist keine Hinterbänklerin, sondern Ministerpräsidentin des Saarlands. Mit ihrer Aussage – zu der sie weiterhin steht – erzeugte sie einen Shitstorm. Eine Anwältin reichte Strafanzeige ein wegen Beleidigung und Volksverhetzung.
SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi sagte, sie habe kein Verständnis dafür, dass eine CDU-Ministerpräsidentin «gleichgeschlechtliche Partnerschaften mit Inzucht und Polygamie gleichsetzt». Als sie jedoch in der ARD-Talkshow «Anne Will» gefragt wurde, welches Argument es gegen die Verweigerung einer Ehe unter Geschwistern gebe, konnte Fahimi keines nennen.
Tatsächlich stellen sich mit der Akzeptanz der Homo-Ehe brisante Fragen, wie sie etwa die FAZ formuliert hat: «Warum muss man eigentlich Angst vor dem Inzest oder der Polygamie haben? Was spricht dagegen, das Rechtsinstitut der Ehe für alle zu öffnen, die aus freier Entscheidung heraus Verantwortung füreinander übernehmen wollen? Warum sollen diese Formen der Partnerschaften gegenüber der klassischen Ehe diskriminiert werden? Oder anders gesagt: Warum soll nur die homosexuelle Partnerschaft das Privileg der Gleichstellung bekommen?»
In die gleiche Richtung argumentiert der US-Autor Fredrik deBoer in einem Artikel auf der Website Politico: «Polygamie ist heute ein Tabu, wie es die gleichgeschlechtliche Ehe vor einigen Jahrzehnten ebenfalls war.» Dabei sei die moralische Begründung für ihre Ablehnung genauso wackelig und juristisch schwach wie es die Opposition gegen die Homo-Ehe bis vor kurzem gewesen sei. Bei Vielehen gebe es eine erhöhte Missbrauchsgefahr, räumt deBoer ein, besonders wenn ein Mann mehrere Frauen habe, doch das sei bei traditionellen Ehen nicht anders.
Schon gar nicht gelten lässt der Autor das Argument, wonach man nach der Vielehe auch die Heirat mit Tieren oder Kindern zulassen sollte. Diese hätten keinen freien Willen. «So lange es sich bei den Protagonisten einer sexuellen oder romantischen Beziehung um zustimmende Erwachsene handelt, ist alles erlaubt», argumentiert deBoer.
Was aber ist mit Inzest? Müsste man in diesem Fall nicht die Heirat von Bruder und Schwester oder Vater und Tochter legalisieren? Dazu hat Fredrik deBoer nichts zu sagen, womit er in jener Falle hängen bleibt, die er den «bornierten» Polygamie-Gegnern gestellt hat.
Für die konservative FAZ gibt es nur ein Argument gegen die Ehe für alle, die wirklich für alle geöffnet werde: Die gesellschaftlichen Normen. «Jeder muss heute einen Spiessrutenlauf befürchten, der seine Mutter, Schwester oder Bruder heiraten will. Oder polygame Beziehungen legalisieren möchte.» Genau das aber galt bis vor nicht allzu langer Zeit auch für jene, die mit einem Menschen gleichen Geschlechts eine Beziehung eingingen.
Vermutlich werden Polygamie und vor allem Inzest – aus biologisch-genetischen Gründen – nie die gleiche Akzeptanz erlangen wie Homosexualität. Es bleibt jedoch fraglich, ob ein Verbot der Viel- oder Verwandtenehe juristisch haltbar wäre. Vielleicht gibt es nur einen Ausweg aus der brisanten Debatte: Die Abschaffung der Ehe an sich.
Bei Geschwisterliebe ist durch das Erbgut eine (eigene-) Kinderlose Ehe denkbar ..obwohl wissenschaftlich gesehen müssten Geschwister sich beim Küssen (durch den Speichel) sowieso jeweils ekeln.
.... die heutigen gesellschaftlichen Werte waren Gestern. Morgen gibt es vielleicht neue