Ein rund 1000 Seiten dickes Buch sorgte vor sechs Jahren über die Wirtschaftswelt hinaus für Furore. «Das Kapital im 21. Jahrhundert» hiess das Monumentalwerk, mit dem der französische Ökonom Thomas Piketty eine umfassende Studie der wirtschaftlichen und sozialen Ungleichheit vorlegte. Diese hat in den letzten Jahrzehnten in der westlichen Welt zugenommen.
Während die Löhne und Einkommen im obersten Segment stark gestiegen sind, haben sie vor allem in der Mittelschicht häufig stagniert, vor allem in den USA. Es erstaunt nicht, dass Piketty mit dem Buch gerade dort einen Nerv traf. Nicht zuletzt wegen des Buchtitels wurde der klar im linken Lager situierte Ökonom häufig mit Karl Marx verglichen. Was ihm nicht sonderlich gefällt.
«Der grösste Unterschied ist, dass ich nicht an den Klassenkampf als wesentlichen Motor der Geschichte glaube. Soziale Konflikte können wichtig sein, aber sie genügen nicht, um ein Konzept zu entwickeln für bessere Bildung oder eine gerechtere Besteuerung», sagte Piketty an einer Medienkonferenz kürzlich in Zürich, an der er sein neues Buch «Kapital und Ideologie» vorstellte.
Sie fand noch vor dem Lockdown statt und war doch von der Coronakrise überschattet. Thomas Pikettys Vortrag an der Universität Zürich auf Einladung des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung (SIAF) konnte nur als Videostream durchgeführt werden, weil alle externen Veranstaltungen verboten waren. Seine gute Laune liess sich Piketty dadurch nicht verderben.
Der 48-jährige Professor an der École d’Économie de Paris und der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) ist ein äusserst sympathischer Mensch. Weder ist ihm der Erfolg seines ersten Buchs zu Kopf gestiegen, noch strahlt er jene Arroganz aus, die man bei französischen Intellektuellen häufig diagnostiziert. An Selbstbewusstsein mangelt es ihm allerdings nicht.
«Das neue Buch ist viel interessanter und besser als das erste», sagte Piketty über «Kapital und Ideologie». Sein Zugang sei geografisch und zivilisatorisch breiter. Er beschränke sich nicht auf Westeuropa und Nordamerika, sondern berücksichtige Länder wie Brasilien, Indien, Südafrika, Russland und China sowie Kolonialgeschichte und Sklaverei: «Die Perspektive ist viel globaler.»
Das hat Folgen für den Umfang. Der neue Wälzer ist mit 1300 Seiten noch dicker als der Vorgänger. Der Autor will seine Kritik an der wachsenden Ungleichheit auf ein möglichst breites Fundament stellen und mit zahlreichen Daten untermauern.
«Im Zentrum stehen die Ideologie und die politische Rechtfertigung hinter den verschiedenen Ausprägungen von Ungleichheit», sagte Piketty in Zürich und hob zu einem Exkurs durch die Geschichte an: «In den USA betrug die höchste Stufe bei der Einkommenssteuer zwischen 1930 und 1990 im Durchschnitt 81 Prozent. Hatte das einen negativen Effekt auf den US-Kapitalismus?»
Das Gegenteil sei der Fall gewesen, folgert der Ökonom: «Es gelang, die Ungleichheit zu reduzieren und gleichzeitig in die öffentliche Infrastruktur und die Bildung zu investieren. Die Produktivität stieg in einem im historischen Vergleich nie gekannten Ausmass an.» Hohe Steuern schaden dem Wohlstand nicht, könnte man etwas vereinfacht sagen.
Die Wende kam mit Präsident Ronald Reagan in den 1980er Jahren. «Er sagte, man sei bei der Besteuerung zu weit gegangen, und halbierte den Tarif für die Einkommenssteuer.» Die Ungleichheit werde vielleicht zunehmen, aber es werde so viel Wachstum und Innovation geben, dass am Ende alle profitieren werden, habe er argumentiert. Alle Löhne würden ansteigen.
Die Realität ist für Piketty ernüchternd, denn profitiert hätten in erster Linie die Superreichen. «Bernard Arnault oder Bill Gates sind heute rund 100 Milliarden Dollar schwer. Vor zehn Jahren besassen sie 30 Milliarden, und nochmals zehn Jahre früher waren es zehn Milliarden. Die normalen Löhne und das Bruttoinlandsprodukt haben sich nicht annähernd so stark entwickelt.»
Thomas Pikettys für manche Kritiker zu simple Lösung lautet: Zurück zu einer hohen Besteuerung. «Wenn man eine Person mit einem Vermögen von 100 Milliarden zu 90 Prozent besteuert, hat sie immer noch zehn Milliarden.» Man könne hohe Steuersätze haben für Menschen mit sehr viel Vermögen, also nicht die Mittelklasse, und gleichzeitig eine lebendige und innovative Wirtschaft.
Hart ins Gericht geht der Franzose mit den klassischen Sozialdemokratien, denn profitiert von der Ungleichheit hätten rechte Nationalisten. «Es ist kein Zufall, dass die USA und Grossbritannien, die beiden Länder mit dem höchsten Anstieg an Ungleichheit seit den 1990er Jahren, die stärkste nationalistische Reaktion geliefert haben, mit der Wahl von Donald Trump und dem Brexit.»
Die Parteielite der Demokraten in den USA und die Mitte-links-Parteien in Europa hätten die mittleren und unteren Bevölkerungsschichten der extremen Rechte überlassen, kritisiert Piketty. Dies habe sich über Jahrzehnte entwickelt und sei langfristig eine sehr riskante Strategie: «2016 erhielt Hillary Clinton mehr Stimmen von Wählern mit hohem Einkommen als Donald Trump.»
Die politische Mitte solle vermehrt mit der radikalen Linken zusammenarbeiten, fordert Piketty. In Griechenland aber habe man die Syriza-Regierung «gedemütigt», indem man ihr einen Schuldenschnitt verweigert und hohe Primärüberschüsse für die nächsten 50 Jahre vorgeschrieben habe. Man habe damit Erfolge ähnlicher Parteien wie Podemos in Spanien verhindern wollen. Stattdessen habe die radikale Rechte Auftrieb erhalten, etwa Matteo Salvini in Italien.
Der Streit um die wirtschaftliche Bewältigung der Coronakrise gibt diesem Befund eine ungeahnte Aktualität. Mit der Verweigerung von Corona-Bonds für die hart getroffenen Länder im Süden durch die wirtschaftlich erfolgreichen Nordeuropäer droht eine Wiederholung der damaligen Fehler. Das Coronavirus dürfte die Ungleichheit ohnehin weiter verschärfen, wie die explodierenden Arbeitslosenzahlen in den USA zeigen.
Einmal mehr also scheint Thomas Piketty mit «Kapital und Ideologie» genau zum richtigen Zeitpunkt zu kommen, obwohl selbst ihm wohlgesinnte Rezensenten wie Nobelpreisträger Paul Krugman monieren, der Autor habe sich verzettelt und biete keine klare Botschaft. Was Piketty natürlich anders sieht. Sein Buch zeige, dass es einen langfristigen Lernprozess über Gerechtigkeit in den menschlichen Gesellschaften und eine Abnahme der Ungleichheit gebe.
Dafür sorgten neben einem stark progressiven Steuersystem mehr Mitbestimmung in den Betrieben sowie Chancengleichheit in der Bildung. «Das hat in der Vergangenheit funktioniert und muss in die Gegenwart überführt werden.» Piketty nennt sein Konzept «partizipativen Sozialismus», auch um sich von Irrwegen wie dem Sowjetkommunismus abzugrenzen.
Business as usual sei keine Option, weder im Umgang mit der Klimakrise noch mit der Ungleichheit. «Wir müssen einen Weg finden, um das wirtschaftliche System besser zu organisieren. Mein Buch unternimmt diesen Versuch. Man kann ihn als Sozialdemokratie für das 21. Jahrhundert bezeichnen.» Ein selbst für einen Starökonomen unbescheidener Anspruch.
Würde man diese Aufwertung stark besteuern, würden die Unternehmensanteile an Fremde verkauft oder verstaatlicht werden müssen. Das Unternehmen würde unweigerlich von Unfähigeren geführt. Es gäbe weniger Jobs.
Besser wäre es, wenn man den Erfolgreichen das Investieren überlässt und stattdessen den Konsum von Luxusgütern stärker besteuert (siehe China). Die Reichen sollen Arbeitsplätze schaffen - aber der verschwenderische Privatjet soll dann richtig viel kosten.
Zum Verkauf von Anteilen zwingen um Steuern zu bezahlen? Dann enteignet man sich wenn sein Unternehmen erfolgreich ist. Super Anreiz.
Ohne solche "Kleinigkeiten" zu erwähnen und dafür Lösungen anzubieten, sind solche Bücher nichts anderes als billiger Populismus.
Bei dem Problem der Schere zwischen Arm und Reich stimme ich schon zu.