Angesiedelt ist die grosse Steuerreform bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD. Ursprünglich wollte dieser Club der Industrienationen, die Gewinnsteuern der «digitalen» Konzerne «gerechter» verteilen. Denn die angestammten, betriebsstättenbasierten Steuermodelle haben hier nicht mehr gegriffen. Google, Facebook, Amazon und Co. brauchen keinen Sitz und keine Fabrik vor Ort, um in einem Land Gewinne zu erwirtschaften.
Doch mittlerweile geht es nicht mehr um die «digitale», sondern um die «digitalisierte» Wirtschaft. Das OECD-Projekt besteht nun aus zwei Pfeilern. Mit dem ersten Pfeiler sollen die Gewinne und damit auch die Gewinnsteuereinnahmen zwischen den Ländern umverteilt werden. Der zweite Pfeiler besteht aus der Bestimmung eines minimalen, globalen Steuersatzes für Grosskonzerne.
Am Wochenende haben nun die G7, der Club der grossen westlichen Industrienationen, einen «historischen» Entscheid gefällt, der beide Pfeiler des OECD-Projekts betrifft. Zum zweiten Pfeiler haben sie beschlossen: Konzerne mit einem Umsatz von mehr als 750 Millionen Euro sollen mindestens 15 Prozent Gewinnsteuern abliefern. Doch noch sind viele Fragen offen: Was ist die Bemessungsgrundlage, auf denen die 15 Prozent Steuern geleistet werden müssen, also: Was kann zuvor alles abgezogen werden? Und welche Steuern und Abgaben können in die besagten 15 Prozent eingerechnet werden?
Deutlich unklarer ist die Situation beim ersten Pfeiler: Grundsätzlich soll hier eine «normale» Rendite festgelegt werden, was oberhalb diesen Schwellenwerts liegt, gilt als «Übergewinn». Davon soll dann ein zu bestimmender Prozentsatz von den Sitz- in die Absatzländer umverteilt werden. Die G7-Finanzminister haben sich hier nun auf zwei Werte geeinigt: Die Grenze für die «Routineprofitabilität» liegt bei 10 Prozent, alles was darüber liegt, gilt als «Übergewinn», wovon dann wiederum 20 Prozent umverteilt werden sollen in die sogenannten «Marktstaaten», in denen der Umsatz respektive Gewinn angefallen ist.
Die Frage ist nun, für welche Firmen dieses neue Regime gelten soll. Die OECD hatte ursprünglich vorgeschlagen, dass hier wie beim zweiten Pfeiler ebenfalls alle Konzerne mit einem Jahresumsatz von mehr als 750 Millionen Euro betroffen wären. Gleichzeitig hat die OECD die Rohstoffkonzerne ausgeschlossen, und es sah danach aus, als ob auch die Finanzindustrie verschont würde. Die Amerikaner kritisierten den OECD-Vorschlag als zu kompliziert und wollen die Umverteilungsübung auf die 100 grössten Konzerne der Welt beschränken.
Die Ironie der Geschichte: Es ist gut möglich, dass Amazon sich den für Pfeiler 1 gesetzten Regeln entziehen kann. Denn Amazons Rendite liegt insgesamt unter 10 Prozent. US-Finanzministerin Yellen bekräftigte zwar, sie gehe davon aus, dass die neuen Regeln auch für Amazon gelten würden. Doch Kritiker kontern, gemäss den öffentlich bekannten Informationen aus der G7-Mitteilung sei dies nicht der Fall.
Hierzulande dürften zwischen 200 und 250 Firmen mehr als umgerechnet 750 Millionen Euro Umsatz pro Jahr erwirtschaften. Sie wären vom neuen, global gültigen Mindeststeuersatz betroffen - und je nach Ausgestaltung des ersten Pfeilers auch von der komplizierten Gewinnsteuer-Umverteilungsübung. Wird der erste Pfeiler hingegen auf die weltweit grössten 100 Konzerne beschränkt, dann würde das «nur» noch Glencore und Nestlé betreffen. Wobei auch hier nicht klar ist, ob plötzlich einzelne Branchen ausgeschlossen werden können.
Nicht weniger als 18 der 26 Kantone haben einen Steuersatz für Unternehmen, der tiefer ist als die neu geforderten 15 Prozent. Den tiefsten Satz hat der Kanton Zug mit 11.91 Prozent - wobei die Steuerbelastung von Gemeinde zu Gemeinde variiert. Steuergünstigste Zuger Gemeinde für Unternehmen ist Baar mit 11.8 Prozent. Noch günstiger ist Meggen LU mit einem Satz von 11.3 Prozent.
Beim Start des Projekts waren die Befürchtungen gross, zuerst war die Rede von möglichen Verlusten bei den Unternehmenssteuereinnahmen von bis zu 5 Milliarden Franken, was einem Viertel der Gewinnsteuereinnahmen entsprochen hätte. Mit der Zeit wurde die Zahl vom Finanzdepartement immer weiter nach unten korrigiert. Dennoch: Die Schweiz dürfte - angesichts ihres kleinen Heimmarkts und ihrer überproportional hohen Konzerndichte - beim Pfeiler 1 als Verliererin vom Platz gehen. Beim zweiten Pfeiler hingegen sollte die Schweiz kurzfristig gar mehr Steuereinnahmen verbuchen - müssen doch die Konzerne neu 15 statt nur 12 oder 13 Prozent abgeben. Doch ganz folgenlos dürfte die Steuererhöhung für Unternehmen nicht bleiben, wie Frank Marty von Economiesuisse betont. Er geht nicht davon aus, dass die Konzerne gleich wegziehen, aber es sei gut möglich, dass bei den nächsten firmeninternen Reorganisationen, Abteilungen nicht mehr in der Schweiz gruppiert würden, sondern zum Beispiel in Amsterdam. «Es droht ein schleichender Prozess.»
Die erste Frage, die beantwortet werden muss, ist: Wie wird der 15-Prozent-Mindeststeuersatz für Konzerne im komplizierten Schweizer Steuerrecht umgesetzt? Gibt es ein neues Gesetz, also ein Konzernsteuer-Gesetz? Oder belässt man alles beim alten und füllt die «Lücke» zwischen dem aktuellen, lokalen Steuersatz und den geforderten 15 Prozent mit einer Zusatzsteuer für Konzerne.
Zweitens wird der Bund mit den Kantonen klären, wie die gestiegene Steuerleistung für Konzerne kompensiert werden kann. Oder in den Worten von Swiss-Holdings-Chef Gabriel Rumo: «Was kann die Schweiz für Ausgleichsmassnahmen bieten?» Ideen reichen von Forschungsbeiträgen über Vereinfachungen bei den Arbeitskontingenten bis hin zu Zuschüssen bei den Sozialversicherungskosten. «Ausländische Staaten verfügen schon heute über zahlreiche solche Massnahmen.»
Der erste Pfeiler ist eher ein Zugeständnis von US-Präsident Joe Biden an die Europäer. Gemäss diesem ersten Teil werden Multis auch von Ländern besteuert, wo sie ihre Services verkaufen und dabei viel Geld verdienen. Dabei geht es vor allem um grosse amerikanische Digitalkonzerne wie Google, Amazon oder Facebook. Diese können neu auch von Deutschland oder Frankreich besteuert werden, was den Amerikanern an sich missfällt. Aber die Amerikaner könnten nun neu französische Luxusgüterkonzerne besteuern, die ihre Handtaschen in den USA verkaufen. Die Europäer können einen Missstand abstellen, den sie als sehr störend empfanden: Dass diese grossen digitalen Konzerne bei ihnen so gut wie gar keine Steuern zahlen, lokale Unternehmen hingegen schon.
Dass sich die G7 einigen konnte, hat vor allem mit dem Wechsel im Weissen Haus zu tun. Während Donald Trump auf die Bremse stand, gibt die Regierung von Joe Biden Vollgas. Die Amerikaner wollten vor allem die Mindeststeuer für Grosskonzerne haben (Pfeiler 2). Gemäss Steuerexperten sind es derzeit vor allem amerikanische Multis, die dank Steueroasen kaum Steuern zahlen. Die zusätzlichen Steuereinnahmen, die eine globale Mindeststeuer bringt, kämen zu etwa 75 Prozent den Amerikaner zugute, schätzen Experten.
In den USA werden die höheren Unternehmenssteuern auch als ersten Schritt gesehen, um superreiche Privatpersonen stärker zu besteuern. Denn diese wandeln ihre Einkommen gern so um, dass sie als Unternehmensprofite daherkommen - auf welche dann kaum Steuern anfallen. Amerikanische Multis setzen zur Steuervermeidung auch gerne leere Unternehmenshüllen ein: Unternehmen, die keinem echten Geschäft nachgehen, und allein dem Steuersparen dienen. Durch diese Hüllen hindurch liessen die Multis dann Investitionen in Steueroasen fliessen. Experten sprechen von «Phantom-Investitionen».
Heute gibt es zu Luxemburg folgende Statistik: In dieses Land von 600'000 Einwohner fliessen gemäss offiziellen Statistiken genauso viele ausländische Investitionen hinein wie in die USA, und viel mehr als nach China. Gemäss dem Internationalen Währungsfonds (IWF) handelt es sich dabei vor allem um Phantom-Investitionen. Diese machen mittlerweile 40 Prozent aller Auslandsinvestitionen aus. Und die allermeisten davon landen in zehn «Steueroasen». Darunter befindet sich auch die Schweiz, wobei Luxemburg und die Niederlande die ungleich wichtigeren «Oasen» für Phantom-Investitionen sind.
Neben Steueroasen gehört eine ganze Berufsklasse zu den Verlierern, schreibt der renommierte Steuerökonom Gabriel Zucman in seinem Buch «Triumph der Ungerechtigkeit». So gebe es seiner Schätzung zufolge heute rund 250'000 Berufsleute, die als Experten für Transferpreise arbeiten. Diese Preise werden innerhalb von grossen Multis verrechnet - zwischen Tochterfirmen oder zwischen Tochter- und Mutterfirmen. Mit Hilfe von Transferpreisen wird ermittelt, in welchen Ländern die Gewinne angefallen sind. Solche Experten würden vor allem für die vier grossen Wirtschaftsprüfungsfirmen arbeiten: EY und PwC, KPMG und Deloitte. Mit einer Mindeststeuer für Grosskonzerne mache es keinen Sinn mehr, Gewinne von einem Land ins andere zu verschieben, hält Zucman fest. Und wenn man keine Gewinne mehr verschieben müsse, brauche es keine Experten mehr für Transferpreise. (aargauerzeitung.ch)