4195 Menschen starben am Dienstag in Brasilien an Covid-19. Rekord. Nirgends auf der Welt sterben momentan mehr Leute am Virus als im grössten lateinamerikanischen Land.
Trotzdem: Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro will nichts von schärferen Massnahmen wissen. Stattdessen spielt er die Gefahr des Virus weiterhin runter und macht andere für die Todeszahlen verantwortlich.
«Sie nannten mich homophob, rassistisch, faschistisch, einen Folterer und jetzt, was bin ich jetzt? Jetzt bin ich jemand, der viele Menschen tötet? Volksmörder. Jetzt bin ich ein Volksmörder», sagte er am Dienstagabend zu Anhängern vor dem Präsidentenpalast in Brasilia scherzend.
Grund für seine Aussagen sind Beschuldigungen der politischen Opposition, die ihm wiederholt Genozid am eigenen Volk vorwarfen. «Woran bin ich eigentlich nicht Schuld in Brasilien?», fragte Bolsonaro rhetorisch.
Brasiliens Staatschef hält die Pandemie für eine Erfindung der Medien. Deswegen schliesst er harte Ausgangsbeschränkungen weiterhin aus: «Wir werden nach Alternativen suchen. Wir werden die Politik des Zuhausebleibens, des Abriegelns, des Lockdowns nicht hinnehmen», sagte er am Mittwoch einem Bericht des Nachrichtenportals G1 zufolge bei einem Besuch im Süden des Landes.
Mit Anspielung auf die Verschwörungstheorie, wonach die Medien hinter allem stecken, sagte Bolsonaro: «Ich kann das Problem mit dem Virus in wenigen Minuten lösen.» Er müsse nur den grössten Zeitungen genügend Geld zahlen.
Um zu untermalen, dass Lockdowns nichts bringen würden, verwies Bolsonaro auf São Paulo, der grössten Stadt des Landes. «Welches ist der Staat, der am meisten abgeriegelt hat? São Paulo. Welcher hat proportional die meisten Todesopfer zu beklagen? São Paulo», sagte er.
Ein Blick in die Statistiken zeigt jedoch: Das stimmt nicht. Obwohl São Paulo in absoluten Zahlen die meisten Todesopfer zu beklagen hat, belegt es in der proportionalen Rangliste nur Platz zehn.
Bolsonaro sagte auch, dass das Abschotten kontraproduktiv wäre, da die Menschen anfälliger für das Virus wären. Seine Begründung ist skurril: «Ich habe kürzlich eine Studie gelesen, die besagte, dass Menschen mit gesundem Lebensstil eine achtmal geringere Chance haben, Probleme mit einer Covid-Infektion zu bekommen». Wenn man die Leute jetzt zu Hause einsperren würde, so würden diese nur dick und ungesund werden. «Sogar mein Bauch ist ein bisschen gewachsen im letzten Jahr», witzelte er.
Des Staatschefs Worte mögen einem zynisch vorkommen, wenn man bedenkt, wie die Situation derzeit in Brasilien aussieht. In einigen Städten werden Patienten bereits nach Hause geschickt, da es keinen Platz mehr in den Spitälern hat.
Gemäss «CNN» sind die Intensivbetten in 23 von 27 Bundesstaaten zu 80 Prozent oder mehr belegt. Die Gesundheitssysteme in 15 Bundesstaaten sind zudem bereits kollabiert oder stehen kurz davor. Auch die Impfkampagne stockt im Land. Um sie wieder auf Touren zu bringen, kündigte Bolsonaro an, das russische Sputnik-V-Vakzin kaufen zu wollen. Dieses hat allerdings noch gar keine Zulassung in Brasilien.
Bislang haben sich im grössten Land Lateinamerikas mehr als 13 Millionen Menschen nachweislich mit dem Coronavirus infiziert, fast 337'000 Menschen sind gestorben. Auch hat Brasilien mit der P.1-Mutation zu kämpfen, die gemäss ersten Erkenntnissen ansteckender sein und zu schwereren Verläufen, auch bei jungen Menschen, führen könnte. (dfr)