Eine Amerikanerin will ihren Hund wiederhaben. Er war die Liebe ihres Lebens. «Der Tod meiner Mutter war schlimm, sein Tod war schlimmer.» Sie lässt ihn klonen. Er ist damit der 895. Hunde, der von der südkoreanischen Firma Sooan Biotech geklont wird. Für 100'000 Dollar erhalten die Kunden zwei Klone, ein Ersatzmodell ist quasi inbegriffen.
Der grosse Traum der Südkoreaner ist, zusammen mit russischen Paläontologen ein Mammut zu klonen. Die Russen haben nämlich seit Jahrhunderten tiefgefrorenes Mammutfleisch geborgen und wollen daraus kostbares Zellmaterial gewinnen. «Jurassic Park» ist unter uns. Gemeinsam besuchen Russen und Südkoreaner in China das grösste DNA-Sequenzierungs-Institut der Welt. Deutsche Präzisionsmaschinen lesen dort Millionen von DNA-Proben. Die Ergebnisse werden für die pränatale Diagnostik verwendet. Damit immer noch mehr Beschädigungen eines idealen Menschen vermieden werden können.
Fragen nach der Ethik dieses Unterfangens beantworten die chinesischen Forscherinnen und Forscher in Christian Freis Dokfilm «Genesis 2.0» bloss mit einem verständnislosen Stirnrunzeln. Ihr Ziel: Gottes Plan zu verbessern, selbst neue DNA zu schreiben, denn «Gottes Wort ist noch immer fehlerhaft, aber wenn wir zusammenarbeiten können wir Gott perfekt machen». Es offenbart sich hier die ganze Unvernunft der puren Vernunft.
Den Schöpferwahn des Menschen, der heute ganz reale Hundewelpen hervorbringt, findet sich vor exakt 200 Jahren auch in einem der aufregendsten Werke der Literaturgeschichte, «Frankenstein» von Mary Shelley. Die junge Britin hatte den Roman 1816 mit 18 Jahren am Genfer See begonnen, in jenem legendären Jahr ohne Sommer. Ein Vulkanausbruch in Indonesien hatte die Atmosphäre verdunkelt, und Mary Shelley widmete sich ihren spektakulär düsteren Visionen in der Künstlerkommune der Villa Diodati in Cologny. Mit dabei: die grossen britischen Bromancer und Dichter Lord Byron, John Polidori und Percy Shelley.
Mary schuf den 17-jährigen Genfer Victor Frankenstein, der nach Deutschland zieht, um Naturwissenschaften zu studieren, dort das Wunder der Elektrizität kennenlernt und mit ihrer Hilfe einen aus Leichenteilen zusammengestückelten künstlichen Menschen beseelt. Und siehe da: Wie jede gute künstliche Intelligenz lernt das neue Wesen von den Menschen. Es schaut ihnen zuerst die Güte und Empfindsamkeit ab und lernt ausgerechnet mit Goethes «Werther» – dem Erfolgsroman über einen weinenden, leidenden Mann – lesen.
Böse, intrigant und zum Mörder wird das unschuldig und naiv «geborene» Wesen erst, als es von den Menschen aufgrund seiner monströsen Hässlichkeit zurückgestossen wird. Reinstes Bodyshaming also. Von Frankenstein wünscht es sich eine Gefährtin. Eine, die genauso hässlich ist wie es selbst. Mit ihr will es fortan als friedlicher Vegetarier leben und weder Mensch noch Tier ein Leid zufügen. Das namenlose Geschöpf will ein eigenes Monster gegen die Einsamkeit.
Doch Frankenstein weigert sich, er sieht die Welt bereits von künstlichen Wesen bevölkert. Er stellt sich um 1800 vor, was noch immer als letzte Vision der Science Fiction gilt: Dass sich künstliche Intelligenz ohne Zutun des Menschen selbständig macht, weiterverbreitet und die Macht übernimmt. Der Schöpfer und seine Kreatur liefern sich eine Verfolgungsjagd, die erst im ewigen Eis endet.
«Frankenstein – Von Mary Shelley zum Silicon Valley» heisst die Ausstellung im Zürcher Literaturmuseum Strauhof über die Möglichkeit der Seele in der künstlichen Intelligenz. Über den Traum des Menschen, sich nicht ein monströses, sondern empathisches Gegenüber zu schaffen. Etwas Folgsames, Anschmiegsames, Zähmbares, einen Hund, einen gehorsamen Riesen oder einen andern Menschen. Und von letzterem vor allem – eine Frau.
Den einen genügt ein Chatbot mit Frauennamen und -stimmen, eine Alexa, Siri oder Samantha, wie der Chatbot im Film «Her» heisst, jene freundliche, mit der Stimme von Scarlett Johansson ausgestattete Gesprächsmaschine. Andere brauchen Sexbots. Auch hier heisst einer Samantha, er ist das europäische, in Barcelona erfundene Vorzeigemodell. Ihre amerikanischen Kolleginnen heissen Roxxxy oder Harmony – «Ich liebe Harmony, ich hoffe, dass sie nächstes Jahr auch gehen kann», schreibt ein «User» auf der Instagramseite von Harmony-Hersteller RealDoll.
Denn Samantha, Harmony und Roxxxy fühlen sich zwar an wie besonders zart gepflegte Frauen und können reden und beim Sex die dafür förderlichen Geräusche machen, aber ihre menschenähnliche Mechanik beschränkt sich auf den Kopf, der Rest ihrer Körper ist im Stadium einer leblosen Puppe.
Die animierten Animierdamen dagegen, die Erinnerung, Gewissen und Gefühle entwickeln, gehören wie das «Werther» lesende Monster ins Reich von Fiktionen. In der HBO-Serie «Westworld» etwa führen sie den gewaltsamen Aufstand der missbrauchten, gefolterten, getöteten und wieder zusammengeflickten Unterhaltungsroboter in einem Themenpark an. Und wie in Mary Shelleys Roman sind die Sympathien von Zuschauerinnen und Zuschauern voll und ganz auf Seiten der Kreaturen.
Es gibt die These, dass Frankensteins Monster Mary Shelleys Rache an den allzu freiheitsliebenden Herren ihres Kreises gewesen sei. Die Rache all der sorglos geschwängerten, verlassenen und freiwillig aus dem Leben geschiedenen Frauen, die Mary Shelley kannte. Das Monster als Metapher für die verantwortungslos gezeugten Kinder. Geschöpfe, die sich gegen ihre Schöpfer wenden. Aufstand, Revolte, Vernichtung.
Frankensteins eigene Familie ist übrigens – wie das Monster – ein Patchwork, mehrere Kinder sind adoptiert, Victor will seine Halbschwester heiraten, jede bürgerliche Ordnung ist aus den Fugen.
Die Sexrobotik-Forscherin Kate Devlin widmet sich in ihrem eben erschienen Buch «Turned on – Science, Sex and Robots» ganz der Subkultur der geliebten Liebesroboter. Redet mit Entwicklern und Besitzern, erörtert die Grenzen zwischen Fiktion und Realität, zwischen den Gesprächs- und Sexakten, die stattfinden und der Gefahr der Übergriffigkeit auf reale Frauen.
Sie kommt zum Schluss, dass kein Risiko besteht. Dass die Robo-Besitzer sehr wohl und genau zwischen ihrem Fetisch und zwischenmenschlichen Beziehungen zu unterscheiden wissen. Dass die reine Gegenwart der künstlichen Gespielinnen oft genauso wichtig ist wie ihre Verfügbarkeit als Sexspielzeug. Denn mehr sind sie am Ende nicht.
Der empfindungsfähige, lebensechte Sexroboter ist noch lange nicht erfunden, da kann die Hülle – ganz anders als bei Frankenstein – noch so ästhetisch und idealisiert sein, das Innenleben wird nie an die grossen Fiktionen herankommen. Ein Sexbot wird nie selbst Begehren spüren oder ein integrales Bewusstsein besitzen.
Wirklich nicht? Denn während in China der Mensch an sich perfektioniert wird, um ihn so wenig fehleranfällig zu machen wie eine Maschine, wird im Silicon Valley versucht, der künstlichen Intelligenz Empfindungsfähigkeit einzuhauchen. Beide Modelle sind noch Science Fiction. Aber der Fortschritt in beide Richtungen ist beträchtlich. Irgendwann, so kann man sich vorstellen, werden sie gleichauf sein. Mensch und Roboter werden dann so wenig voneinander unterscheidbar sein wie ein geklonter Hund von seinem Original.
Frankensteins Monster werden sich aus den Buchseiten, von den Kinoleinwänden und den Screens erheben und unter uns wandeln. Aber nicht als hässlich aus Leichenteilen zusammengeflicktes, fleischliches Etwas, sondern als cleane, schöne, Engeln ähnliche Kreationen. Übermenschen, die sich aufmachen mögen, gemeinsam das Weltall zu kolonialisieren.
Vorstellungen wie diese scheinen nach der Ausstellung im Museum Strauhof und nach dem Kinobesuch von «Genesis 2.0» plötzlich ganz naheliegend. Tausend Fragen drängen sich auf. Wer wird in einer symbiotischen Zukunft für wen Verantwortung tragen? Wer schreibt genau wessen DNA? Werden die Maschinen «uns» überhaupt noch brauchen oder klonen sie uns aus Mitleid, weil wir sowas wie die vergänglichsten unter ihren Haustieren geworden sind?
Haben Samantha und Roxxxy dann Sex miteinander oder erfinden sie sich selbst ganz neue Sexbots? Fabelwesen mit mehreren Zungen und Penissen etwa? Wird Frankensteins Monster für sie plötzlich zum dirty Sexsymbol schlechthin? Oder gar das Mammut? Ist die Vorstellung des Menschen als Idealgestalt dann überwunden? Und wollen wir das alles wirklich wissen?
Die Ausstellung «Frankenstein – Von Mary Shelley zum Silicon Valley» dauert noch bis zum 13. Januar 2019. Kate Devlin spricht am Donnerstag, 15. November um 18.30 Uhr im Rahmen der Ausstellung über künstliche Intelligenz und Intimität. Am 1. Dezember um 15 Uhr redet Prof. Philipp Theisohn mit dem Schriftsteller und Journalisten Dietmar Dath über «Frankenstein».
«Genesis 2.0» läuft jetzt im Kino.