Heute streikt sie wieder, die Klimajugend. Die Bewegung, die sich für eine radikale Reduktion des CO2-Ausstosses, einsetzt, begeht wöchentlich ihren «Friday for Future». Manche schwänzen dazu tatsächlich den Unterricht, andere verlegen ihren Protest in die Mittagspause oder haben pragmatische Abmachungen mit den Lehrern, wie sie den beim Demonstrieren verpassten Stoff nachholen. Was die Aktivisten wollen, steht zum Teil auf ihren Transparenten oder einfach nur auf Karton-Schildern. Es geht um Klimagerechtigkeit und um die Rettung des Planeten. Auf der Internetseite der Schweizer Klimastreik-Bewegung ist zudem nachzulesen, dass es vor allem darum gehe, die Klimaerwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Sonst drohe langfristig eine Katastrophe.
Wie sich die Bewegung zusammensetzt und wie die einzelnen Aktivisten über politische Fragen denken, ist hingegen wenig bekannt. Nun liegt erstmals eine Studie vor, die zeigt, wer da demonstriert und wie die Klimabewegung ihre Ziele erreichen will.
Im Rahmen einer internationalen Erhebung in neun Ländern haben die Genfer Politikwissenschafter Marco Giugni und Jasmine Lorenzini die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zweier lokaler Kundgebungen in Genf und Lausanne sowie der nationalen Klima-Demo vom 28. September in Bern befragt. Auf Anfrage dieser Zeitung gaben sie Einblick in die Resultate.
Der Begriff Klimajugend wurde 2019 zum Wort des Jahres gewählt. Die Umfrage der Genfer Politologen zeigt nun: So jung sind die Aktivisten gar nicht. An der nationalen Klimademonstration am 28. September in Bern waren rund 75 Prozent der Demonstranten älter als 25 Jahre. Dass bei einer nationalen Demonstration in der Bundesstadt das ganze Spektrum der Umweltschützer demonstriert, macht Sinn. Allerdings machten auch an den lokalen Demonstrationen zum Klimastreik in Genf und Lausanne die Jungen nur die Hälfte der Teilnehmer aus.
Die Geschlechter sind an den Kundgebungen ähnlich stark vertreten, allerdings zeigte sich, dass bei den jungen Aktivisten, die Frauen stärker vertreten sind als unter den Klimasenioren. An der Demonstration in Bern betrug der Frauenanteil unter den Demonstranten im Alter zwischen 15 und 19 Jahren über 75 Prozent. Bei den Über-60-Jährigen war es genau umgekehrt. Der Frauenanteil betrug etwa einen Drittel.
Sind an den Klimademos die üblichen Verdächtigen aus Jungsozialisten und Greenpeace am Werk, die jede Gelegenheit zum protestieren nutzen? Eher nicht, zeigt die Genfer Studie. Bei den lokalen Demonstrationen in Lausanne und Genf gaben 90 Prozent der Schüler an, weder Mitglied einer Umweltorganisation oder einer Partei zu sein, noch Geld zu spenden. Bei den erwachsenen Demonstranten sieht das Bild etwas anders aus. In Lausanne gaben 86 Prozent an, einer Umweltorganisation zumindest Geld zu spenden. In einer Partei ist aber auch von den Erwachsenen kaum jemand. An die zentrale Demonstration in Bern kamen dann etwas mehr organisierte Aktivisten. Jeder Fünfte gab an einer Partei anzugehören oder zu spenden.
Der Klimajugend ist es langsam unangenehm: Der Hype um Greta Thunberg ist so gross geworden, dass die schwedische Schülerin vor Schaulustigen, Selfie-Jägern und Fotografen geschützt werden musste, als sie in Lausanne demonstrierte. Eben erst veröffentlichte einer von Gretas Schweizer Helfern einen erschütternden Erfahrungsbericht über die erlebten Aufdringlichkeiten. Die Studie zeigt nun erstmals, wie wichtig Greta für die Schweizer Klimajugend wirklich ist. So gaben 68 Prozent der Schüler an, dass Greta Thunberg das persönliche Interesse am Klimawandel beeinflusst habe.
Die Erwachsenen blieben von der heute 17-jährigen Schwedin nicht unbeeindruckt. An der Demonstration in Bern gaben 52 Prozent an, von Greta inspiriert worden zu sein. Der Greta- Effekt wird aber kleiner, wenn es konkret ums Demonstrieren geht. Nur rund die Hälfte der Schüler sagt, Thunberg habe sie motiviert, am Klimastreik aktiv mitzumachen.
Demokratiepolitisch brisant ist die Einstellung der Klimabewegung zur Frage, wie ihre Ziele umgesetzt werden sollen. Eine überwältigende Mehrheit von rund 80 Prozent stimmt der Aussage zu, dass die Regierung den Ratschlägen der Wissenschaftler folgen müsse, «auch wenn die Mehrheit der Bevölkerung dagegen ist.»
Die Genfer Politologin Jasmine Lorenzini stellt aufgrund dieses Resultates bei den befragten Klima-Aktivisten «eine gewisse Frustration in Bezug auf den heutigen politischen Prozess» fest. In der Wahrnehmung der Klimajugend sei das politische System nicht in der Lage auf die Herausforderung des Klimawandels zu reagieren. Doch verträgt sich diese Einstellung mit der Demokratie? «Ja», sagt der Thuner Klimaaktivist Linus Dolder. Denn die Bevölkerung spreche bei den Wahlen den Politikern das Vertrauen aus. «Das heisst nicht, dass sie mit jeder einzelnen Entscheidung auch einverstanden sein müssen. Die Politik sollte sich fragen, was langfristig für die Bevölkerung am besten sei. In der Frage der Klimapolitik ist es zweifellos am besten, auf die Wissenschaft zu hören.»
Reto Knutti ist ein Wissenschafter, auf den die Politik in den Augen der Klimademonstranten hören sollte. Der ETH-Klimatologe warnt immer wieder prominent vor der Klimaerwärmung. Die Einstellung der Demonstranten teilt er aber nicht. Knutti sagt:
Es sei zwar wünschenswert, dass Gesellschaft und Politik die Empfehlungen der Wissenschaft ernst nehmen. In einem demokratischen System könne die Politik im Prinzip nicht gegen den Willen des Volkes etwas beschliessen. Er verweist darauf, dass in der Schweiz ohnehin die Bevölkerung unliebsame Gesetze per Referendum abschiessen könne.
Noch deutlicher als in der Frage zum Verhältnis zwischen Wissenschaft, Regierung und Demokratie ist die Haltung der Klimabewegung gegenüber der Wirtschaft. Wie die Proteste gegen Grossbanken und Industriebetriebe schon angedeutet haben, ist das Verständnis für wirtschaftliche Interessen, die den Klimazielen widersprechen, in der Klimabewegung gering. Die Genfer Studie zeigt nun, dass diese wirtschaftskritische Haltung sehr stark verankert ist.
Satte 90 Prozent der befragten Schüler stimmen der Aussage zu, dass die Regierung der Umwelt den Vorzug geben sollte, auch wenn entsprechende Massnahmen das Wirtschaftswachstum bremsen und zum Abbau von Arbeitsplätzen führen. Die Erwachsenen standen in der Zustimmung zu dieser Frage ihren jüngeren Mitstreitern übrigens in nichts nach. Die Zustimmung war mit 94 Prozent sogar noch ein bisschen grösser.
Das Wirtschaftswachstum etwas zurückzuschrauben bringt uns nicht in die Steinzeit zurück, sondern die Verdoppelung dauert halt nur ein paar Jährchen länger. Aus meiner Sicht ist das kein grosser Schaden, man möge mich aber eines besseren belehren, wenn ich mich irre.
Es gibt da Punkte, die wesentlich erschreckender sind als die wirtschaftskritische Haltung.
Dass das gängige Rezept „der Markt regelt das Klimaproblem von selber, daher muss die Politik alles für einen guten Markt tun“ ist doch offensichtlich teil des Problems.
Die Forderung dass diesbezüglich ein Umdenken stattfinden muss macht daher Sinn.