Beginnen wir mit einer Spielerei. Von den zehn Schweizer Feldspielern, die im Stadio Olimpico beginnen, würde wohl nur einer Unterschlupf in der italienischen Startformation finden: Manuel Akanji. Und das auch nur, weil der charismatische Giorgio Chiellini verletzt fehlt.
Ist die Schweiz deswegen absolut chancenlos? Natürlich nicht.
Wir können die Spielerei weiterdrehen: Von der italienischen Elf, die heute beginnt, fänden derzeit wohl nur zwei, maximal drei Spieler einen Platz in der Startformation der Franzosen. Doch wer wurde Europameister? Nicht die Franzosen, die sich aus dem talentiertesten Spielerpool der Welt bedienen können.
Xhaka, Seferovic, Embolo, Elvedi, Zuber und Fassnacht: Sechs Spieler, die noch beim heroischen EM-Achtelfinaltriumph gegen Frankreich eine wichtige Rolle gespielt haben, fallen aus. Klar, auch die Italiener haben gewichtige Absenzen mit Chiellini, Verratti, Immobile, Spinazzola und Zaniolo. Aber die Italiener haben mehr Breite im Kader, weshalb die Ausfälle der Schweizer schwerer wiegen.
Trotzdem spricht Roberto Mancini vom «wichtigsten Spiel des Jahres». Das mag vielleicht etwas überhöht sein, wenn man bedenkt, dass der Mann in diesem Jahr mit seiner Mannschaft den EM-Final bestritten hat. Spielt keine Rolle. Die Message kommt an. Italiens Nationaltrainer nimmt die Schweiz ernst.
Er hat Respekt vor der Nati, egal wer bei ihr auf dem Platz steht. Denn keiner weiss besser als Mancini, dass Talent allein keinen Erfolg garantiert, sondern mit Teamgeist, Solidarität, Leistungsbereitschaft und einer klaren Mission Grenzen verschoben werden können. Er hat das an dieser EM mit der Squadra Azzurra eindrücklich bewiesen.
Mancinis Respekt vor einer stark ersatzgeschwächten Schweiz hat nichts mit Heuchelei zu tun, sondern zeugt von seiner Fussball-Intelligenz. Natürlich steigt Italien als Favorit in diese Partie. Nur hat das keinen grossen Einfluss auf das Resultat. Frankreich war vor der EM auch in der Favoritenrolle …
Willkommen zur Pressekonferenz vor dem Spiel «Italien – Schweden». Es war ein Versprecher von Kommunikations-Chef Adrian Arnold, der einerseits für Heiterkeit sorgte, andererseits als Omen interpretiert werden könnte. Denn Schweden ist ein italienisches Trauma. 2017 scheiterte die Squadra Azzurra in der Barrage zur WM-Qualifikation gegen die spielerisch überschaubaren, aber unglaublich solidarischen und leidenschaftlichen Nordeuropäer.
Die Schweiz in der Rolle der Schweden von 2017? Ganz ausschliessen kann man das nicht. Auch wenn Murat Yakin sagt: «Klar gibt es auch im Fussball Gespenster aus der Vergangenheit, die einen verfolgen. Aber die Fussballer leben extrem im Hier und Jetzt und vielleicht noch in der Zukunft, aber sie schauen nicht gross zurück.»
Wobei ein Blick zurück in diesem Kontext durchaus Zuversicht vermitteln kann. Nicht, was die Schweizer Bilanz gegen Italien betrifft. Die ist nicht wirklich gut. Der letzte Sieg liegt schon 28 Jahre zurück. Und die klägliche Vorstellung an der EM beim 0:3 in Rom, gegen Italien, ist noch ziemlich präsent.
All das beunruhigt den Schweizer Captain Xherdan Shaqiri nicht. Er spricht bei der Rückkehr in die italienische Hauptstadt von einem neuen Gefühl unter einem neuen Coach. Und er sieht im «Spiel des Jahres» sogar eine grosse Chance: «Wenn wir alle zusammen über unsere Grenzen gehen, können wir dieses Spiel gewinnen.»
Die Zuversicht schöpfen die Schweizer aus der Tatsache, dass der Nationaltrainer Murat Yakin heisst. Es ist der dritte Nati-Zusammenzug. Und wie bei den beiden vorangegangenen war er auch in diesem ständig mit negativen Nachrichten konfrontiert, weil ein Spieler nach dem anderen Forfait erklären musste. Aber Yakin hadert nicht. Er nimmt die Situation, wie sie ist. Die Signale, die er mit dieser Gelassenheit an das Team sendet, sind unverkennbar: Wir schaffen das!
Klar, er hat es schon häufiger geschafft. Für Shaqiri wäre ein Sieg in Rom gegen Italien zwar eine Sensation. Für Yakin wohl eher die Bestätigung, den richtigen Matchplan ausgeheckt zu haben. Und wenn er etwas richtig gut kann, dann ist es das: Matchpläne zu kreieren, mit denen er die Gesetzmässigkeiten des Fussballs aushebelt. Wie damals als Basel-Trainer bei den Erfolgen über Chelsea oder Tottenham.
Yakin macht keinen Hehl daraus, dass die Schweiz unter Zugzwang ist, es für die direkte WM-Qualifikation einen Sieg in Rom braucht. Aber das macht ihn nicht nervös. Fussball ist und bleibt für ihn ein Spiel, bei dem es nicht etwas zu verlieren, sondern etwas zu gewinnen gibt. Deshalb auch seine rhetorisch Frage in die Runde: «Was gibt es Grösseres, als im Fussball-Land Italien gegen den Europameister zu spielen?»
Wenn man nicht daran glaubt, wird sie nur noch kleiner.