Erst der japanische Angriff auf Pearl Harbor hat bekanntlich dazu geführt, dass die USA in den Zweiten Weltkrieg eingegriffen haben. Zuvor hielten sie sich an die Devise: Was kümmert es uns, wenn sich die Europäer erneut die Köpfe blutig schlagen? Neutral verhielten sich die Amerikaner jedoch nicht. Mit dem Lend-Lease Act, einem Gesetz, das Präsident Franklin D. Roosevelt 1941 unterzeichnete, waren schon damals Waffenlieferungen an Grossbritannien möglich. Nicht zuletzt dank dieser Lieferungen konnte Winston Churchill Adolf Hitler im Kampf um Grossbritannien die Stirne bieten.
Zurzeit erleben wir eine Neuauflage dieses Filmes. Die USA und die Nato wollen zwar nicht aktiv in Putins Krieg eingreifen, insbesondere keine Bodentruppen in die Ukraine schicken. Doch sie senden immer mehr Waffen in Richtung Kiew.
Dank eines Gesetzes, das eine Kopie von Lend-Lease ist, werden es künftig noch mehr sein. Dieses Gesetz erlaubt es dem Präsidenten, ohne Zustimmung des Kongresses Waffen an die Ukraine zu liefern. Joe Biden hat davon bereits Gebrauch gemacht und zusätzliche 33 Milliarden Dollar für die Unterstützung der ukrainischen Soldaten genehmigt.
Die gelieferten Waffen werden zudem moderner und schwerer sein. Es handelt sich um hochmoderne Drohnen, Haubitzen und Kampfhelikopter. Andere Nato-Staaten machen ebenfalls mit. Sogar Deutschland will nun Kampfpanzer in die Ukraine schicken. Für die sich abzeichnenden Schlachten im Donbass – vermutlich die schwersten seit dem Zweiten Weltkrieg – sind die Soldaten von Wolodymyr Selenskyj damit sehr gut gewappnet.
Beim Ausbruch von Putins Krieg gab man der ukrainischen Armee nur wenig Kredit. Die meisten Militärexperten gingen davon aus, dass die russischen Truppen in einem Blitzkrieg innerhalb von wenigen Tagen in Kiew einmarschieren und die Regierung stürzen würden. Zunächst ging es daher um Schadensbegrenzung, darum, ein Übergreifen des Krieges auf die angrenzenden Nato-Staaten zu verhindern.
Der Mut und das Geschick der ukrainischen Soldaten und das offensichtliche Versagen ihrer russischen Feinde haben dazu geführt, dass auch die Nato ihre Ziele änderte. So hat Lloyd Austin, der amerikanische Verteidigungsminister, nach einem Besuch in Kiew erklärt: «Wir wollen, dass Russland so geschwächt wird, dass es niemals mehr die Dinge tun kann, die es der Ukraine angetan hat.» Mit anderen Worten: Es geht nicht mehr bloss um eine Eindämmung Russlands, es geht um eine dauerhafte Schwächung von Putins Mafiastaat.
Politisch hat sich Putin ebenfalls verzockt. Der Westen hat sich nicht zerstritten, wie es in seinem Kalkül vorgesehen war. Er ist geeint wie noch selten in den letzten Jahrzehnten, und mit dem Sieg von Emmanuel Macron dürfte die Einheit auf längere Sicht gesichert sein. Kristina Spohr, Professorin für moderne Geschichte an der London School of Economics, stellt daher in der Financial Times fest: «Der ‹institutionelle Westen› hat seine Finanz- und Migrationskrisen und den nationalistischen Populismus bewältigen können. Angesichts von Putins Krieg zeigt er sich nun gefestigt.»
Die Nato wird schon bald zwei neue Mitglieder aufweisen. Schweden und Finnland werden wahrscheinlich gemeinsam beitreten. Beide haben sich bisher militärisch neutral verhalten. Putins Krieg hat zu einem Umdenken geführt. Carl Bildt, der ehemalige schwedische Premierminister, schreibt dazu in «Foreign Affairs»:
Die beiden neuen Mitglieder werden eine erhebliche militärische Verstärkung für die Nato sein. Finnland unterhält eine Armee mit substanziellen Reserven und Schweden hat eine starke Marine und eine moderne Luftwaffe.
Die Zeit spricht gegen Putin. Wie ein Pokerspieler mit einem schlechten Blatt versucht er deshalb, zu bluffen. Sein Aussenminister Sergei Lawrow schwafelt von einem Atomkrieg. «Die Gefahr ist real und sollte nicht unterschätzt werden», erklärte er kürzlich.
Putin selbst droht derweil immer wieder mit seiner angeblich neuen Wunderwaffe, einer Überschall-Rakete mit Atomsprengköpfen. «Wir haben alle Instrumente, um eine existenzielle Bedrohung abzuwenden», erklärte der russische Präsident am vergangenen Mittwoch. «Instrumente, die nur wir besitzen. Und wir werden sie, wenn nötig, auch einsetzen.»
Ob Putin tatsächlich einen Atomkrieg riskieren will, scheint indes fraglich. Er würde damit sich und sein Land in den Selbstmord treiben. Putin ist zwar ein zynischer, brutaler Machtmensch, aber kein Selbstmörder. Seine Drohungen können daher auch positiv interpretiert werden: Es dämmert ihm allmählich, dass er verlieren wird.
Winston Churchill hat nach dem Zweiten Weltkrieg in einem legendär gewordenen Zitat erklärt: «Die Amerikaner tun stets das Richtige – nachdem sie zuvor alles andere versucht haben.» Vielleicht wird Wolodymyr Selenskyj dieses Zitat dereinst rezyklieren können.
Nehmen Sie diese letzte Ausfahrt. Verpassen Sie diese, werden Sie als der Mann der Russland zerstörte in die Geschichte eingehen. Sie werden von Generationen von Russen dafür verachtet und verflucht werden.
Putin, der schlechteste Staatsführer aller Zeiten, der sein Grossreich vernichtete.