Kürzlich weilten Besucher aus Amerika in Zürich. Thomas und sein Freund Luis aus Atlanta (Georgia) hatten nach einer Italienreise vor ihrem Heimflug einen Abstecher in die Schweiz gemacht. Ich hatte vor zwei Jahren via Airbnb in der Wohnung von Thomas übernachtet. Wir trafen uns zu einem Drink und kamen unweigerlich auf das Thema Politik zu sprechen.
Thomas sagte, er gehöre der demokratischen Partei an. Vor zwei Jahren aber konnte er sich nicht dazu durchringen, Hillary Clinton zu wählen. Und den Anderen – dessen Namen er nicht in den Mund nahm, als handle es sich um Lord Voldemort aus «Harry Potter» – natürlich erst recht nicht. Seinen Frust drückte er aus mit dem Satz: «Wir brauchen eine dritte Partei.»
Man übersieht es oft, aber in den USA existiert eine moderate Mitte, die ein Unbehagen empfindet gegenüber der zunehmenden Polarisierung im Zweiparteiensystem. Die Midterms haben diese Tendenz verstärkt. Der Graben zwischen den politischen Lagern ist noch tiefer geworden.
Unter Barack Obama hatten die Demokraten das rurale, weisse Amerika weitgehend verloren. Nun erlebten die Republikaner mit Donald Trump eine ähnliche Entwicklung in den urbanen Gefilden. In den wohlhabenden Suburbs, die einst zu ihren Hochburgen gehörten, kamen ihre Sitze im Repräsentantenhaus gleich im Multipack abhanden.
Man kann diese Entwicklung auf die Unbeliebtheit des Präsidenten bei einer gut ausgebildeten und gut verdienenden Wählerschaft zurückführen. Aber das wäre zu kurz gedacht, denn der Trend setzte unter Obama ein, etwa im einst «roten» Virginia, das zunehmend zu einem «blauen» Staat mutiert. Vielmehr existieren zwei Lebenswelten, die sich immer mehr voneinander entfremden.
Das Amerika der Republikaner ist ländlich und weiss, gegenüber Minderheiten und Einwanderern skeptisch bis feindselig eingestellt. Bildungsgrad und Einkommen sind eher tief. Es ist in gewisser Weise das Amerika von gestern. Jenes von morgen, das junge, weibliche, multiethnische Amerika, konzentriert sich bei den Demokraten. Ihre «Neuen» im Kongress sind ein Abbild davon.
Für die Arbeit im Parlament verheisst dies nichts Gutes. Mit den Verlusten in den Agglomerationen sind auch jene Republikaner weitgehend weg, die auf Distanz zu Trumps Lügen und Hetze bedacht waren. Die verbleibenden Abgeordneten kommen mehr denn je aus jenen Teilen des Landes, «in denen sein Stil und seine Botschaft populär sind», heisst es in einer CNN-Analyse.
Statt konstruktiver Zusammenarbeit droht die totale Blockade und eine weitere Beschädigung des demokratischen Systems. Dazu trägt ein weiterer Aspekt bei. Die Demokraten hatten am Dienstag auf nationaler Ebene einen Vorsprung von mehr als sieben Prozent auf die Republikaner. Diese werden ihre Mehrheit im Senat wohl trotzdem ausbauen (drei Sitze sind noch offen).
Dafür sorgen ein System, das ländlich-konservative Regionen bevorzugt (ein Senator aus Wyoming vertritt 300'000 Menschen, einer aus Kalifornien 20 Millionen), sowie schikanöse Wahlkreis-Einteilungen und Wahlgesetze, die primär die Demokraten benachteiligen. Wenn sich die Macht einer Partei jedoch immer stärker auf solche Machenschaften abstützt, wird die Demokratie delegitimiert.
Wen wundert es, dass Mitte-Wähler wie Thomas aus Atlanta zunehmend unglücklich sind und von einer Art Befreiungsschlag mit einer neuen, unbelasteten Partei träumen?
Das Problem ist nur, dass diese Entwicklung sich nicht auf die USA beschränkt. Auch in Europa, wo das Parteiensystem vielfältiger ist, verstärkt sich die Spaltung zwischen migrationskritischen Nationalisten und weltoffenen Globalisten. Besonders deutlich zeigte sich dies bei der Brexit-Abstimmung, als sich die Bewahrer des vermeintlich guten alten Britanniens knapp durchsetzten.
Auch auf dem «Kontinent» verschärfen sich die Gegensätze. Das zeigt der teilweise selbstverschuldete Zerfall der Volksparteien in Deutschland oder der Erfolg der Populisten in Italien. Und man stellt sich lieber nicht vor, was aus Frankreich – und der EU – wird, wenn Emmanuel Macron mit seiner liberalen Reformpolitik scheitern sollte.
Der zunehmende Druck auf die politische Mitte in den demokratisch verfassten Ländern hat nicht nur weltanschauliche Gründe. Und er ist nicht nur das Ergebnis einer (sozialen) Medienwelt, die schrille Töne gegenüber differenzierten Argumenten bevorzugt. Er hat auch eine ökonomische Komponente, die mit Blick auf die Zukunft der Demokratie beunruhigende Perspektiven eröffnet.
Die Umkrempelung der Arbeitswelt durch Automatisierung und Globalisierung betrifft in erster Linie den Mittelstand. Nach Ansicht der meisten Experten kommt es auch in diesem Bereich zu einer Polarisierung. Für Menschen mit hoher und niedriger Qualifikation wird es auch in Zukunft Jobs geben. Unter die Räder gerät das Mittelfeld. Politisch ist das brandgefährlich, denn eine stabile und funktionstüchtige Demokratie hängt ab von einem intakten Mittelstand.
In den USA hat diese Entwicklung schon vor Jahren eingesetzt. Solide Mittelschichtjobs aus der Industrie sind verschwunden. Dafür wurden Stellen im Dienstleistungssektor geschaffen, mit tiefen Löhnen und oft schlechten Arbeitsbedingungen. Donald Trumps Erfolg und die zunehmende Dysfunktionalität des politischen Systems beruhen auch auf dem Frust über diese Entwicklung.
Kann eine dritte Partei Abhilfe schaffen? Zweifel sind angebracht. In der Vergangenheit gab es mehrfach Anläufe in diese Richtung, zuletzt in den 90er Jahren mit dem texanischen Milliardär Ross Perot. Anhaltender Erfolg war ihnen nie beschieden, die USA sind strukturell ein Zweiparteienstaat. Es braucht viel Zeit, Geld und Energie, um dieses System zu ändern.
Besser wäre vielleicht der Ratschlag des «Economist» an die Demokraten, auf Vergeltung für die Sabotagepolitik der Republikaner in der Ära Obama zu verzichten und sich stattdessen als Partei der Vernunft und des Kompromisses aufzustellen. Sie könnten mit der Zeit darauf hoffen, bei einer neuen Generation im ländlichen Amerika zu punkten, glaubt das britische Wirtschaftsmagazin.
Vielleicht funktioniert es. Die grundsätzliche Herausforderung für das demokratische System durch einen unter Druck geratenen Mittelstand aber wird sich so schnell nicht auflösen lassen. Es ist vielmehr zu befürchten, dass wir noch damit konfrontiert sind, wenn Lord Voldemort das Weisse Haus längst verlassen hat. In Atlanta, Berlin, Rom und Zürich.