Das Eis ist von schlechter Qualität und irritiert vor allem die Künstler, die technisch Begabten, die Aussergewöhnlichen. Erst recht am Ende eines epischen Dramas, das sich über gut und gerne drei Stunden hingezogen hat.
Die Hockey-Götter können sich nicht entscheiden, wem sie den Sieg schenken wollen. Also lassen sie würfeln. Es kommt im Finale in Kopenhagen – am Ende des besten Spiels aller Zeiten einer helvetischen Nationalmannschaft – zum Penalty-Schiessen. Cheftrainer Patrick Fischer hat fünf Schützen zu nennen. Er entscheidet sich für Sven Andrighetto, Kevin Fiala, Enzo Corvi, Gaëtan Haas und Nino Niederreiter.
Nur Sven Andrighetto trifft. Zum 1:0. Die anderen scheitern. Hat Patrick Fischer die falschen Spieler nominiert? Schnell ist das Urteil gefällt: Ja natürlich. Sonst hätten wir ja das Penalty-Schiessen gewonnen. Diese Kritik ist die fieseste aller Kritiken am Nationaltrainer.
Erstens: es gibt keinen Grund, nichts, absolut nichts, das gegen diese Wahl der Penalty-Schützen spricht.
Zweitens: ein Penaltyschiessen am Ende eines Spiels, eines Dramas, bei dem es darum geht, die Meister der Welt zu werden, also um den ultimativen Preis, ist völlig unberechenbar. Niemand weiss, ob ein Spieler in dieser Situation versagen oder triumphieren wird. Es geht nicht mehr um hockeytechnische Faktoren. Es geht um Kopf und Seele, um Glück und Pech bei einem Tanz auf der Rasierklinge der Nervenbelastung.
Drittens ist es die billigste Kritik. Hinterher sind alle klüger, nach dem Krieg ist jeder Soldat ein General. Und wer sagt denn, dass andere nicht versagt hätten?
Hinterher dem Coach vorzurechnen, er habe die falschen Spieler für diesen «Showdown» nominiert, ist so ziemlich die unfairste Kritik, die es gibt. Patrick Fischer ist vor der Hockeygeschichte von aller Schuld und Kritik vollumfänglich freizusprechen.
Hingegen gab es eine andere heikle Personalentscheidung, für die Patrick Fischer tatsächlich vor der Hockeygeschichte geradestehen muss: Die Wahl des Torhüters für den Viertelfinal, für den Halbfinal und für den Final.
Doch Fischer hat die richtige Entscheidung getroffen. Er hat Leonardo Genoni und nicht Reto Berra ins Tor gestellt. Obwohl Reto Berra bis zu diesem Zeitpunkt in den Gruppenspielen den besseren Eindruck hinterlassen hatte, obwohl Reto Berra die Schweiz 2013 im Halbfinale gegen die USA ins Final gehext hatte (3:0 gegen die USA).
Patrick Fischer hat gespürt, welcher seiner Torhüter «heisser» ist. Auch gerade wegen dieser richtigen Entscheidung hat das beste WM-Team aller Zeiten die beste WM aller Zeiten gespielt.
Es gibt in der ganzen Geschichte des internationalen Hockeys nur eine einzige Penalty-Entscheidung, die falsch war und um die herum sich vortrefflich polemisieren lässt. Den Schwefelgeruch dieser Fehlentscheidung bringt der Coach nie mehr aus den Kleidern. Und es ist ein grosser Coach.
Stanley Cup-Sieger mit Colorado, Schweizer Meister und Cup-Sieger mit den ZSC Lions. Marc Crawford. Eine Legende. Einer der angesehensten Bandengeneräle überhaupt.
1998 nehmen die NHL-Profis zum ersten Mal beim olympischen Turnier teil. Im Halbfinale kommt es zu einem mit dem WM-Finale von 2018 vergleichbaren Drama. Die Hockeygötter lassen im Spiel Tschechien gegen Kanada im Penalty-Schiessen um den Finaleinzug würfeln.
Marc Crawford lässt zum letzten Penalty Verteidiger Ray Borque antreten. Er scheitert. Dominik Hasek hält. Wayne Gretzky, der Mann, der so ziemlich alle Skorerrekorde hält, lässt Marc Crawford während diesem Penalty-Drama auf der Bank. Tschechien besiegt danach im Finale Russland und wird zum ersten Mal Olympiasieger.
Das ist bis heute im internationalen Eishockey der einzige Penalty-Entscheid eines Coaches, den wir mit gutem Gewissen kritisieren dürfen.