Wenn am Donnerstag das Eröffnungsspiel in São Paulo angepfiffen wird, steht Brasilien im Fokus der Weltöffentlichkeit. Und zwei Jahre später wird das grösste lateinamerikanische Land abermals die Sommeragenda dominieren: Dann nämlich ist Rio de Janeiro Gastgeber der Olympischen Sommerspiele. Die Welt schaut in den kommenden Jahren auf ein Land, das sich innerhalb einer Dekade zu einem der wichtigsten Schwellenländer hochgewirtschaftet hat. Und das alles daran setzt, sich als modernes, sicheres und wirtschaftlich leistungsstarkes Land zu präsentieren. Dafür erhält es nun die grosse Bühne.
Tatsächlich hat das Land, das mit 8,5 Millionen Quadratkilometern die Hälfte des südamerikanischen Kontinents einnimmt, einiges geleistet. Wirtschaftlich gehört Brasilien neben Russland, Indien und China zu den grossen aufstrebenden Ländern, die als sogenannte BRIC-Länder bekannt sind.
Doch obwohl Brasilien ansehnliche Jahre mit hohem Wirtschaftswachstum hinter sich hat, offenbaren sich heute viele ungelöste Probleme – wirtschaftliche und soziale. Mittlerweile wird Brasilien neben der Türkei, Südafrika, Indien und Indonesien zu den «fragilen Fünf» gezählt, die als besonders anfällig und verwundbar gelten, gerät die Weltwirtschaft in Turbulenzen.
Von der WM versprechen sich Funktionäre sowie politische und wirtschaftliche Eliten des Landes einen wirtschaftlichen Boost, der sich lohnen soll. Aber tun das nicht alle Länder, die einen Mega-Event beherbergen? Ja, sie hoffen und die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Das Hamburgische Wirtschaftsinstitut hat nun den Fall Brasilien untersucht und mit vergangenen Sportereignissen verglichen. Die Studienautoren ziehen eine ernüchternde Bilanz: «Enttäuschte wirtschaftliche Erwartungen bei den Gastgeberländern sind quasi programmiert.» Das erstaunt nicht. Wer sich einmal die Brachen der olympischen Stätten in Athen mit eigenen Augen angeschaut hat, weiss, wovon die Studienautoren sprechen.
Die Autoren warten mit einer klaren Botschaft auf: «Trotz des immensen gesellschaftlichen Stellenwerts, den Olympische Spiele und Fussball-Grossereignisse haben, hängt die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes nicht davon ab, ob es eines dieser Events ausrichten darf.» Der Wohlstand steige durch gute Wirtschaftspolitik, durch eine gut ausgebildete Bevölkerung und durch die richtigen politischen Weichenstellungen.
Immerhin gebe es zumindest für kurze Zeit einen gewissen Feel-good-Faktor in der Bevölkerung des Gastgeberlandes, so die Autoren. Nur, davon werden die 10,5 Prozent der Brasilianer, die in extremer Armut leben, nicht satt.
Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie im Überblick:
Ein weiterer wichtiger Grund dafür, dass die Sportereignisse keinen signifikanten Effekt auf die Wirtschaftsentwicklung haben, sind die immensen Infrastrukturkosten und andere Ausgaben. Über zehn Milliarden Euro hat Brasilien in Strassen, Bahnen, Stadien, Telekommunikation und in die Sicherheit investiert. Zwar bleiben diese Investitionen im Land. Aber in vielen Fällen hätte Brasilien die Ausgaben ohnehin getätigt; sie werden also nur vorgezogen.
Die Kosten von Grossereignissen seien mittlerweile so hoch, dass die Ausrichtung solcher Sportevents nicht mehr nur als Konsum betrachtet werden könne, schreiben die Autoren, sondern als Investition, die eine möglichst hohe Rendite erzielen sollte. «Oftmals verbleiben als Andenken an solche Sportgrossereignisse nur überdimensionierte Sportstätten, für die es keine anschliessende Verwendung gibt.» So fehlt das Geld an anderer Stelle. «Gerade für Schwellenländer sind die Opportunitätskosten eines Sportevents wie der Fussball-WM im Allgemeinen sehr hoch, da die Investitionen alternativ in Bildung und Gesundheit fliessen könnten», heisst es im Papier.
Noch deutlicher wird das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Trotz gegenteiliger Beteuerungen von Sportfunktionären und Politikern brächten sportliche Mega-Events den Ausrichterländern von Olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften keine positiven wirtschaftlichen Impulse. «Die Durchführung eines relativ teuren Sportspektakels wie der Fussball-WM ist für ein Schwellenland angesichts erheblicher infrastruktureller Rückstände ein volkswirtschaftlicher Luxus», schrieben DIW-Vorstandsmitglied Gert G. Wagner und DIW-Konjunkturexperte Karl Brenke kürzlich im «Tagesspiegel».
In den vergangenen zehn Jahren gab es eine Reihe von Gastgeberländern, die im Anschluss an die Sportevents eine bemerkenswerte wirtschaftliche Entwicklung genommen haben. Nur, betonen die Autoren: Nichts davon hatte etwas mit der Rolle als Gastgeberland zu tun.
Ein paar Beispiele:
Das Fazit ist schnell gezogen: Ein Mega-Event kann für das Image des Gastgeberlandes förderlich sein, der wirtschaftliche Effekt hingegen tendiert gegen null. Das weiss auch die brasilianische Bevölkerung, ihr Unmut hat sich bereits in Massendemonstrationen entladen. Die Bevölkerung will mehr als einen WM-Titel: nämlich soziale und wirtschaftliche Sicherheit. Fussball hin oder her.