In einem Gerichtssaal in Texas spielt sich derzeit ein Scheidungsprozess der besonderen Art ab. Kelly Jones will sich von Alex Jones trennen und verlangt auch, dass der Vater ihrer gemeinsamen Kinder kein Besucherrecht erhält. Ihre Begründung: Er sei gewalttätig und durchgeknallt.
Wer sich ein Video des Radio-Talkers anguckt, wird ihr auf der Stelle Recht geben. Der Mann brüllt und tobt nicht nur wie ein Irrer ins Mikrophon, er verbreitet auch Dinge, die ihn eigentlich sofort in eine geschlossene Anstalt bringen müssten. Die These, wonach 9/11 von der US-Regierung selbst inszeniert worden sei, ist dabei noch das Harmloseste.
Jones behauptet auch, dass das Schulmassaker von Sandy Hook – dabei wurden 28 Menschen, darunter 20 Kinder getötet – nur inszeniert worden sei, um schärfere Waffengesetze zu erzwingen. Er ist selbstredend auch ein Aluhut-Träger und glaubt, dass die Kondensstreifen der Flugzeuge eine Verschwörung einer globalen Elite zur Verdummung und Ausbeutung sei.
Jones ist derart durchgeknallt, dass im Wahlkampf die Kandidaten der Grand Old Party auf Distanz gingen – ausser einem: Donald Trump. Die Gründe dafür erläutert Trumps wichtiger Einflüsterer und langjähriger Berater Roger Stone in seinem Buch «The Making of the President 2016»:
Hämisch und stolz berichtet Stone, dass es Trump völlig egal war, dass Infowars das Sandy-Hooks-Massaker als Fake darstellt. Hauptsache, er trieb Hillary Clinton zum Wahnsinn. «Trump hat diese Lügen nie in Frage gestellt», so Stone. «Er ging in die Show von Jones und sagte: ‹Dein Ruf ist erstaunlich. Ich werde dich nicht im Stich lassen.›»
Eines der wenigen Versprechen übrigens, das Trump tatsächlich gehalten hat. Nach seinem Wahlsieg gehörte Jones zu den ersten, bei denen er sich bedankte. Auch heute noch hört er auf ihn. Die völlig haltlose These, wonach Barack Obama Trump hätte abhören lassen, soll ebenfalls aus der Küche von Alex Jones stammen.
Im Scheidungsprozess gegen seine Ex-Frau argumentieren die Anwälte von Alex Jones damit, dass seine Wut und seine Tiraden bloss gespielt und seine Talkshows keine Politik, sondern Unterhaltung seien. Mit diesem Phänomen befasst sich in der «New York Times» der Soziologe Nick Rogers.
Rogers vergleicht Jones und Trump mit den professionellen Wrestlern. Dazu ein kleiner Einschub: Trump war lange mit dem Profi-Wrestler Jesse Ventura eng befreundet. Dieser war Mitglied der inzwischen wieder eingestellten Reform Party und wurde Gouverneur des Bundesstaates Minnesota. Im Jahr 2008 hat Trump ebenfalls ernsthaft mit dem Gedanken gespielt, als Präsidentschaftskandidat für die Reform Party anzutreten.
Im Wrestling gibt es den Begriff «kayfabe». Dieser Begriff bezeichnet einen nicht ausgesprochenen Vertrag zwischen den Wrestlern und ihrem Publikum: Wir spielen euch etwas vor, das ganz klar Fake ist, beharren aber darauf, dass es real ist, und dass eure Emotionen ebenfalls real sind. Beide von uns geben das niemals zu, weil sonst die Magie nicht mehr funktioniert.
«Für die Zuschauer des Wrestlings existieren Fake und Realität friedlich nebeneinander», stellt Rogers fest. «Fragt man einen Fan, ob die Schlägereien bloss gestellt seien, dann interessiert ihn das nicht. (...) Bei Kayfabe geht es nicht darum, ob man Fakten verifizieren kann; es geht um die Reinheit der Emotionen.»
Alex Jones und Donald Trump haben das Prinzip des Kayfabe auf die Politik übertragen – mit durchschlagendem Erfolg. Wenn Trump an einem Rally behauptet, er werde eine Mauer gegen Mexiko bauen und die Mexikaner würden sie bezahlen, dann ist das Kayfabe in Reinkultur: Die Fans johlen und klatschen, obwohl sie faktisch gesehen nicht wirklich daran glauben, aber die Emotionen, die sie verspüren, sind rein.
Trump ist dank Kayfabe ins Weisse Haus gekommen, Alex Jones wird damit vielleicht das Besucherrecht für seine Kinder erstreiten. Fakten prallen an Kayfabe wirkungslos ab. «Die kulturellen Eliten können diese Männer auf Fakten überprüfen und Widersprüche aufdecken, bis sie blau im Gesicht sind», so Rogers. «Kayfabe verdammt dies alles zur Bedeutungslosigkeit.»
Keine wirklich erbaulichen Aussichten.