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Totgeburt-Drama: Syrische Familie verklagt Schweiz auf Entschädigung

Totgeburt-Drama: Syrische Familie verklagt Schweiz auf knapp 300'000 Franken Entschädigung

Ein Schweizer Grenzwächter verweigerte einer schwangeren syrischen Frau die Hilfe. Sie und ihre Familie wurden nach Italien abgeschoben. Dort erlitt die junge Frau eine Fehlgeburt. Die Familie fordert von der Schweiz knapp 300'000 Franken Schadenersatz, wie jetzt bekannt wird. Vor Bundesgericht hat sie jüngst einen Teilerfolg erzielt.
29.06.2021, 22:3230.06.2021, 09:20
Kari Kälin / ch media
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Das Drama ereignete sich am 4. Juli 2014. Mehr als 30 syrische Flüchtlinge wollten im Nachtzug von Mailand nach Paris reisen. Die französische Grenzpolizei stoppte die Gruppe und übergab sie dem Schweizer Grenzwachtkorps. Darunter war auch eine im siebten Monat schwangere Frau, die über Bauchschmerzen klagte. Ein Schweizer Grenzwächter verweigerte ihr die Hilfe und schaffte sie, ihre Familie und andere Flüchtlinge nach Italien aus.

Suha Alhussein Jneid, links, und Omar Jneid, kommen zur Verhandlung zum Tod eines ungeborenen syrischen Babys vor dem Militaergericht 4, am Mittwoch, 22. November 2017 in Bern. Angeklagt ist ein Grenz ...
Suha Alhussein Jneid (links) und Omar Jneid kommen zur Verhandlung zum Tod eines ungeborenen syrischen Babys. (Archivbild)Bild: KEYSTONE

Im Spital von in Domodossola erlitt die damals 22-jährige Frau eine Totgeburt. Ein Militärgericht verurteilte den Grenzwächter im November 2018 wegen einfacher und fahrlässiger Körperverletzung sowie Nichtbefolgung von Dienstvorschriften zu einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen à 150 Franken.

Familie erhält unentgeltliche Rechtspflege

Strafrechtlich ist der Fall abgeschlossen. Auf zivilrechtlicher Ebene ist ein Gesuch der Familie um Schadenersatz und Genugtuung hängig. In diesem Verfahren hat sie einen Teilerfolg errungen, wie ein am Dienstag publiziertes Urteil des Bundesgerichts zeigt: Die öffentliche Hand muss die Kosten für das Schadenersatz- und Genugtuungsbegehren übernehmen.

Das Bundesgericht kippte damit eine Zwischenverfügung des Bundesverwaltungsgerichts. Dieses hatte dem arbeitslosen Vater die unentgeltliche Rechtspflege nicht gewähren wollen. Wer kein Geld zum Prozessieren hat, erhält unentgeltliche Rechtspflege – sofern das Rechtsbegehren nicht aussichtslos erscheint.

Finanzdepartement will nichts zahlen

Im Januar berichtete das Schweizer Radio und Fernsehen, dass die Schweiz der Familie keine Entschädigung für das erlittene Leid ausrichten wolle. Das Finanzdepartement vertrat die Ansicht, der Grenzwächter könne nicht für den Tod des Babys verantwortlich gemacht werden – trotz der Verurteilung wegen Körperverletzung.

Aus dem Bundesgerichtsurteil geht nun hervor, wie viel Entschädigung die syrische Familie fordert. Für die Mutter sind es 65'000, für den Vater 55'000, für einen Sohn 15'000 und für zwei weitere Söhne 12'000 Franken. Zudem steht eine Schadenersatzforderung von knapp 136'500 Franken im Raum. Die syrische Familie verklagt die Schweiz auf eine Summe von knapp 300'000 Franken. Die Familie lebt in Deutschland. (aargauerzeitung.ch)

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52 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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eleven86
29.06.2021 23:51registriert Oktober 2014
Eine Frau die mit Schmerzen in Mailand freiwillig eine 10-stündige Zugreise antritt (wenn sie schon in Italien sind, sind sie sicher nicht mehr akut "in Not"), ein Französisches Grenzwachtkorps das offenbar auch nichts unternimmt, und der schweizer Grenzwächter soll an allem Schuld sein. Klar... dass die zu erwartende Entschädigung in der Schweiz vermutlich am höchsten ausfällt ist natürlich nur Zufall
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*Diesisteinzensurportal*
30.06.2021 02:23registriert Oktober 2018
Auf den ersten Blick scheint die Forderung in Ordnung zu sein. Wenn man aber bedenkt, was für einen CH-Bürger für Schadenersatzzahlungem gesprochen werden bin ich nicht mehr so überzeugt. Wieso sollten vorallem die anderen Kinder etwas erhalten..? Mit diesem Kapital kann man sich in Deutschland schon gut etwas aufbauen. Die Franzosen und Italiener sind frei raus, den letzten beissen dann die Hunde. Der Fall wird eh vor dem EUGH enden.
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Müller Lukas
30.06.2021 08:18registriert August 2020
Das ist doch wohl ein (schlechter) Witz? Klar ist das ganze tragisch, aber 300'000 für einen arbeitslosen Syrer, der mit seiner hochschwangeren Frau fahrlässig eine anstrengende Reise in die Schweiz unternahm, statt ganz einfach Asyl im sicheren Drittland Italien zu beantragen?
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