«De Muri, de macht das irgendwie no guet.» Wohlwollende Worte begleiten Nationaltrainer Murat Yakin seit der vergangenen Woche, sie kommen quasi aus dem öffentlichen Raum. Nach nur wenigen Tagen. Gibt es noch Skeptiker unter Volkes Stimme, als Yakin Anfang August Nachfolger von Vladimir Petkovic wird, sind ihre Voten heute verstummt. Das hat viel mit dem leidenschaftlichen Auftritt der ersatzgeschwächten Schweizer gegen Italien zu tun, vor allem aber mit ihm, «Muri».
In Belfast, bei seiner ersten Pressekonferenz vor einem kapitalen Auswärtsspiel? Kommt man auf denselben Schluss. Da sitzt, begleitet von Manuel Akanji, im Bauch des Windsor Park ein 46-jähriger Mann, der charmant, konzentriert und ziemlich sorgfältig die Schweizer mit auf die Reise nimmt. Dem immer mal wieder ein Lächeln übers Gesicht huscht. Und der zum Fragesteller aus Nordirland sagt: «I’ll try to answer in English, that’s especially for you.»
Als man an den Spieler Yakin und ein 0:0 im Test gegen die Nordiren aus dem Jahr 2004 erinnert, sagt er. «Ich kann mich nicht mehr entsinnen. Wirklich nicht. Und weil Sie mir nun sagen, ich sei in der Pause ausgewechselt worden, ist das wohl auch besser so.»
Alles wirkt unverkrampft, entspannt. Da mag man nachsehen, dass er in einer Antwort zweimal Immobile mit Berardi verwechselt. Und da mag man nachvollziehen, wenn Akanji, der jüngst vom Italiener Chiellini geadelt wurde, indem er ihn als mögliche neue Kraft bei Juventus Turin sieht, sagt: «Wir haben uns schnell kennen gelernt. Viel Zeit hatte der Trainer bisher nicht, aber wir sind schon auf gutem Weg.»
Es ist das Los des Nationaltrainers, dass man ihn auf Schritt und Tritt verfolgt, seine Regungen und Bewegungen genau analysiert. Am Sonntagabend im vollen St.Jakob-Park glaubt man bei Yakin beim Abspielen der Hymne feuchte Augen zu erkennen, er ist gerührt und offenbart damit eine gewisse Verletzlichkeit, und: Er ist sehr stolz.
Als danach zu später Stunde die Frage kommt, wie an ihm der Bühnenwechsel vom beschaulichen Schaffhausen, das er jahrelang in der Anonymität der Challenge League trainiert hat, hin zur Atmosphäre und zum Scheinwerferlicht gegen Italien vorbeigegangen sei, ringt er um Fassung. «Es war emotional, ich bin sehr glücklich. Zu Hause in Basel, mit der Schweiz gegen den Europameister, was will man mehr?»
Was will Yakin mehr? Viel mehr, vor allem Erfolg. Man wagt es kaum zu glauben, aber Yakin, dieser so anders rüberkommende Mensch als Petkovic, hat sich binnen kurzer Zeit zum volksnächsten Nationaltrainer seit Köbi Kuhn gewandelt. Er zeigt keine Allüren, wirkt weniger einstudiert, menschlicher, da ist keine Spur von aufgesetzter Maske.
Natürlich ist diese landläufige Meinung volatil, weil der öffentliche Goodwill ein rares Gut ist und neben zugänglichem Auftreten genau das braucht: gute Resultate. Gerade deshalb wäre es für die Schweizer wie für Yakin nicht gut, würden sie sich leichtfertig diesen erarbeiteten Kredit gegen Nordirland mit einem negativen Resultat verspielen – wobei es ja gerade bei Yakin niemals nach viel Arbeit ausschaut.
Hier in Belfast sind die Schweizer trotz aller Absenzen der Favorit, das sagt auch Yakin. Die Schweizer müssen liefern und sich mit einem Dreier die Ausgangslage bewahren, womöglich als Leader im November im zweitletzten WM-Qualifikationsspiel gegen Italien einzulaufen. Und Yakin sagt: «Es wäre ein Fehler, bereits an Übermorgen zu denken. Von der mentalen Belastung her wird dieses Spiel sicher schwieriger. Auch die Nordiren können Fussball spielen. Es gilt, ein Tor mehr zu erzielen.»
Gewiss muss Yakin erneut eine Verlegenheitsmannschaft aufstellen, einzig Remo Freuler wird von den prominenten Abwesenden in die Startformation zurückkehren. Davon ist zumindest auszugehen, aber bei Yakin, und das haben die jüngsten Tage gezeigt, kann man sich seiner Sache nie so sicher sein. Gerade mit welchen und mit wie vielen Spielern der Coach das Mittelfeld (wieder mit Frei?) besetzt, ist offen. «Gross verändern werde ich das System nicht. Wir werden eine andere Offensivbewegung haben. Es bleibt noch Zeit, um zu spüren, auf wen ich setzen kann.»
Eines hat Petkovic in seinen sieben Jahren als Nationaltrainer Yakin noch voraus neben der Viertelfinalqualifikation an einem Grossanlass: Mit ihm gewannen die Schweizer jeweils jene Partien, in denen sie als Favorit liefern mussten – mit Ausnahme des Auftritts 2014 gegen Slowenien. Nur: «De Muri, de macht das irgendwie no guet.»