«Skandalöse Zustände» – Gemeinde-Behörde verbietet Smartphones und Laptops

ZUM GUTACHTEN DER ENSI ZU DEN ENDLAGER-STANDORTVORSCHLAEGEN DER NAGRA STELLEN WIR IHNEN FOLGENDES BILDMATERIAL ZUR VERFUEGUNG - The village Glattfelden in the canton of Zurich, pictured on June 17, 20 ...
Trügerische Ruhe: Im Gottfried-Keller-Dorf brodelt es ...Bild: KEYSTONE

«Skandalöse Zustände» – Gemeinde-Behörde verbietet Smartphones und Laptops

Nach der überraschenden Freistellung der langjährigen Gemeindeschreiberin gehen in der Zürcher Gemeinde Glattfelden die Wogen hoch. In der Kritik steht auch ein ungewöhnliches Verbot, das sich die Exekutive auferlegt hat.
24.07.2019, 13:3724.07.2019, 15:45
Manuel Navarro / Zürcher Unterländer

Aufruhr in Seldwyla

«Skandalöse Zustände», «Seldwyla ist nun doch in Glattfelden», «Für wie naiv hält der Gemeinderat seine Bürger?» – so und ähnlich fielen in den letzten Tagen die Reaktionen auf die jüngsten Ereignisse in der Zürcher Unterländer Gemeinde Glattfelden aus.

Jemand zündete zudem beim Bild von Gottfried Keller beim Gemeindehaus ein paar Grabkerzen an, gemäss der platzierten Nachricht für die «besorgten Bürger».

Stiller Protest vor dem Gemeindehaus, an dessen Wand das Konterfei von Gottfried Keller prangt.
Stiller Protest vor dem Gemeindehaus, an dessen Wand das Konterfei von Gottfried Keller prangt.bild: zvg

Auslöser war eine knapp formulierte Mitteilung vom Dienstag vor einer Woche. Der Gemeinderat informierte darin darüber, dass Gemeindeschreiberin Beatrice Wüthrich die Verwaltung nach 25 Jahren verlässt. «Sie hat mit dem Gemeinderat eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses per Ende Oktober vereinbart», so die Mitteilung.

Und weiter: «In Absprache mit dem Gemeinderat wird Beatrice Wüthrich die Leitung der Gemeindeverwaltung an ihren Stellvertreter Martin Bühlmann übergeben.»

Stillschweigen heizt Gerüchteküche an

Für viele Glattfelderinnen und Glattfelder ist schwer oder gar nicht nachvollziehbar, warum es mit der langjährigen Gemeindeschreiberin zum Bruch kam. Dass Frau Wüthrich selbst nicht zu den Hintergründen ihrer Freistellung informieren kann, weil darüber Stillschweigen vereinbart wurde, sorgt für zusätzliche Unruhe im Dorf. Der Abgang der Gemeindeschreiberin ist dadurch zu einem Katalysator geworden, der eine Vielzahl der Sorgen und Unzufriedenheiten der Bevölkerung, die sich in den letzten Monaten angestaut haben, an die Oberfläche gebracht hat. In der Kritik steht dabei vor allem der Gemeinderat.

Dessen Tun und Handeln wirft seit dem Beginn der aktuellen Legislatur Fragen auf. An der Gemeindeversammlung über die Jahresrechnung musste sich die Behörde kritische Fragen gefallen lassen, etwa weil sie die Kulturförderung um satte 30 Prozent überzogen hat. Einige Teilnehmer ärgerten sich darüber, dass sich der Gemeinderat hier darum zu foutieren scheine, in diesem Posten endlich genauer auf die Zahlen zu schauen.

Behörde verbietet Laptops und Smartphones

Noch mehr Kritik musste der Gemeinderat einstecken, als er im jüngsten Verhandlungsbericht kommunizierte, dass in Zukunft elektronische Geräte wie Laptops oder auch Smartphones von Sitzungen ausgeschlossen seien.

Der Gemeinderat begründete dies einerseits damit, dass sich einige der Gemeinderatsmitglieder durch den Lärm der Tastaturen gestört fühlten. Zudem sei auch nicht nachvollziehbar, was während der Sitzungen elektronisch erfasst werde, ob etwa «Schattenprotokolle» oder Aufnahmen gemacht würden.

Auszug aus dem Verhandlungsbericht der Gemeinde-Behörde.
Auszug aus dem Verhandlungsbericht der Gemeinde-Behörde.screenshot: glattfelden.ch (pdf)

Speziell ist der Entscheid auch, weil die Behörde noch im Dezember 2018 die Einführung von Microsoft Office 365 und Sharepoint beschlossen hatte, damit unter anderem die Gemeinderäte an ihren Geräten – auch von zu Hause aus – Zugriff auf Daten und Nachrichten haben und daran arbeiten können. Ein Kredit von 16'000 Franken wurde dafür bewilligt sowie jährliche Lizenzkosten von 9500 Franken.

Streit und Misstrauen

Mit dem Beschluss, elektronische Geräte zu verbieten, befeuerte der Gemeinderat ein Gerücht, welches sich im Dorf seit Monaten hält: Der Gemeinderat sei tief zerstritten und von Misstrauen geprägt.

Es wird auch gemunkelt, die Abstimmungen verliefen zumeist entlang von Parteilinien oder Seilschaften. Zu den Verlierern würden Michèle Dünki-Bättig (SP), die parteilose Martina Schurter und der per 30. Juni zurückgetretene Robert Wermelinger (GLP) gehören. Sie zögen gegen die Allianz von Gemeindepräsident Ernst Gassmann (FDP), Marco Dindo (SVP), René Gasser (FDP) und Adrian Rösti (SVP) auffallend oft den Kürzeren.

Wie viel an den Gerüchten dran ist, ist schwer zu eruieren. Die Gemeinderatsmitglieder sind an ein Kollegialitätsprinzip gebunden.

Offizielle Ansprechperson für die Medien ist der Gemeindepräsident. Dieser beschwichtigt: «Wir haben alle politischen Richtungen in unserer Behörde vertreten. Da ist man sich nicht immer einig, aber in der Regel gibt es Kompromisse. Und wenn es die nicht gibt, gibt es halt einen Mehrheitsentscheid.» Dass der Gemeinderat von Misstrauen geprägt sei und kaum zusammenarbeiten könne, verneint Gassmann jedoch.

Kollegialitätsprinzip zwingt zum Schweigen

Pikant ist indes, dass in den letzten Wochen beim Bezirksrat Bülach eine Anfrage eingegangen ist, ob Mitglieder des Gemeinderats Glattfelden das Kollegialitätsprinzip ignorieren dürften, um über die Situation in der Behörde zu informieren. Und auch Aussagen von Robert Wermelinger, der nicht mehr Teil des Gemeinderats ist, weil er als Nachfolger von Eugen Hägi in den Bezirksrat gewählt wurde, lassen aufhorchen.

«Wäre ich mit meinem Amt als Gemeinderat zufrieden gewesen, wäre ich nicht bereit gewesen für eine Veränderung», sagt Wermelinger zu seiner Entscheidung, für den Bezirksrat zu kandidieren und somit den Gemeinderat zu verlassen.

Und zum Klima im Gemeinderat erklärt er:

«Aus meiner persönlichen Sicht geht es nicht um die Parteien, sondern um den achtungsvollen Umgang mit den Kolleginnen und Kollegen. Wenn schlussendlich Argumente fehlen, werden verletzende Seitenhiebe verpasst, und dies ist für mich schlicht inakzeptabel geworden.»

(«Zürcher Unterländer»)

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