Irgendwann war das Mass voll. Irgendwann sah sich Joël Thüring gezwungen, auf den Tisch zu klopfen: «Meine Damen und Herren, bitte beachten Sie, dass auch das Vorzimmer Teil des Parlaments ist. Sie geben damit eine Visitenkarte für dieses hohe Haus ab», erklärte der Grossratspräsident. «Es sind diverse Beschwerden zu mir gelangt. Ich möchte Sie bitten, die Würde dieses hohen Hauses zu wahren und zu respektieren.»
Es war hoch zu- und hergegangen im Basler Rathaus. Nach einem zweitägigen Abstimmungsmarathon schien die Abendsitzung vom Donnerstag für rund ein Dutzend Politiker dann doch zu viel des Guten zu sein. In bierseliger Gemeinsamkeit begann die «Glas politique», sich im Vorzimmer zum Grossratssaal die Politik schön zu trinken. «Es gab wohl grad eine Aktion auf 20er-Pack Bier», kommentiert ein Parlamentarier trocken. Der Gerstensaft floss. Die Stimmung wurde besser und besser, der Lärmpegel höher und höher.
«Das Gegröle wurde immer lauter. Im Vorzimmer ist das Licht immer wieder ein- und ausgeschaltet worden», erzählt eine Grossrätin. «Einige Ratskollegen sind doch ziemlich unangenehm aufgefallen. Irgendwann hat es auch den Ratsbetrieb gestört.» Für die Abstimmungen sei die feuchtfröhliche Runde teils in kollegialer Umarmung in den Ratssaal gekommen und habe für Unruhe gesorgt. Ein Parlamentarier sei mit seiner Bierbüchse in der Hand gleich wieder hinauskomplementiert worden.
Darauf angesprochen bestätigt Grossratspräsident Thüring: «Es sind diverse Ratsmitglieder an mich gelangt, die sich gestört gefühlt haben.» In einem ersten Anlauf forderte er die Teilnehmer des hauseigenen Oktoberfests direkt vor Ort zu Ruhe und Ordnung auf – mit wenig Erfolg. Auch Statthalter Remo Gallacchi habe einen Augenschein genommen. «Das Vorzimmer war in keinem vorzeigbaren Zustand. Bierbüchsen standen und lagen herum», erzählt ein Ratsmitglied.
«Was hätte das für einen Eindruck gemacht, wenn in diesem Moment eine Besucherdelegation ins Rathaus gekommen wäre?», fragt Thüring. In Absprache mit seinem Statthalter hatte er die Festgemeinde deshalb in einem offiziellen Aufruf dazu aufgefordert, nach der nächsten Abstimmung dafür zu sorgen, dass das Vorzimmer wieder so aussieht, «wie ein Vorzimmer dieses hohen Hauses auszusehen hat».
Allzu hoch will Thüring den Vorfall aber nicht hängen. Im Bundeshaus werde ja auch immer mal wieder gerne getrunken, erinnert er. Tatsächlich ist die Politik ein trinkfreudiges Umfeld. Während Sessionen herrscht in Bern oft eine beschwingte Stimmung. Da öffnen Politiker gerne auch um 11 Uhr vormittags die erste Flasche Weisswein und stossen schon mal aufdas bevorstehende Zmittag an – allerdings meist in der Galerie des Alpes und nichtin der Wandelhalle unmittelbar vor dem Ratssaal.
Im Basler Rathaus soll sich das gar nicht erst einbürgern, hofft Thüring. «Auch wenn ich nun für einzelne eine Spassbremse sein mag», sagt er. «Die meisten haben gemerkt, dass das zu viel des Guten war.» (bzbasel.ch)