Im Hintergrund ist immer der Himmel. Mal ist er blau, mal ist er eingeäschert vom Smog, mal schwarz von der Nacht. Davor: Die Welt. Was der Mensch aus ihrer Oberfläche gemacht hat. Aufragende Monumente oder Schürfwunden. Wolkenkratzer oder Stauseen und als Kontrast dazu der Grindelwaldgletscher. Der Mensch, wenn überhaupt einer da ist, eine bunte Puppe, auf seinen Gliedern oft ein plastikhafter Glanz. Es ist ein äusserst ruhiger Blick, den Tobias Madörin im Prachtband «Topos» auf das Gewusel, dass sich Gesellschaft nennt und ihre baumeisterlichen Hinterlassenschaften wirft. Ein distanzierter Blick, von oben herab, jedenfalls, was die Positionierung seiner Kamera betrifft, und auf jeden Fall erhaben.
Man kann aufgrund seiner Bilder nicht sagen, dass er ein warmherziger Fotograf sei, dazu muss man ihn schon kennen lernen, ihn, den gebürtigen Basler, der heute in Zürich lebt, und von dem ausgerechnet die «NZZ am Sonntag» wissen will, er habe schon ziemlich viele Frauen gehabt in seinem Leben, darunter Pipilotti Rist. Jedenfalls sagte Pipilotti Rist dies neulich an Madörins Vernissage in der Zürcher Photobastei und zwar mit den Worten: «Ich bin eine von Tobias’ 15 Ex-Freundinnen, die heute hier sind.» Schön für sie.
Aber lassen wir das mit Tobias Madörin und seinen Frauen, für die er dann, nach Ablauf der Liebe, auch ab und zu als Hochzeitsfotograf amtet. Und denen er die weltweit grossartigsten und grosszügigsten Hochzeitsgeschenke macht. Und lassen wir auch die illustre Verwandtschaft, die aus seiner Schwester Fränzi besteht, einer von den Reines Prochaines also, der legendärsten Schweizer Kunst-Band neben Yello.
Denn das Verrückteste an Tobias Madörin ist selbstverständlich seine Fotografie. Dass einer es schafft, aus Wimmelbildern wie Städten, Stränden oder Baustellen Stilleben herauszudestillieren. Die gerade deshalb so still wirken, weil sich so vieles in ihnen wabenartig und endlos wiederholt: Häuser mit sonnenbestorten Fenstern, hinter denen sich Räume verbergen. Was im einzelnen geheimnisvoll und aufregend ist, verliert in der Masse an Gewicht, wird zum Raster und Muster. Und so setzt Madörin der Elefantenhaut der Berge, die er in wenigen Bildern eingefangen hat, eine ebenbürtige, kristalline Kruste der Architektur entgegen. Gelassen und doch auch ein bisschen gefährlich.
Das Auftauchen von Monstern würde einen nicht wundern, von so einem weissen Hai am Strand von Benidorm oder von Godzilla, der die Fussgängerbrücken von Hongkong einreisst. Und der bis auf zwei winzige Figürchen menschenleere Vergnügungspark von Kuala Lumpur sieht aus, als wäre die Stadt nach einem atomaren Angriff versteinert.
Die Villen von Weesen am Walensee, die zu Pfingsten 1999 unter Wasser standen, sind dagegen von einer träumerischen Schönheit. Ein Zauber scheint da alles Leben still gelegt zu haben, und dabei handelt es sich doch um eine Katastrophe. Es spiegelt sich da das Distinktionsbestreben des Menschen in einem Überfluss der Natur. Irgendwann war er wütend. Im Moment der Aufnahme hält auch er ganz still. Ein prekäres Blendwerk. Noch gibt es eine Balance in der Welt, sagen uns die Bilder von Tobias Madörin, und sie ist atemberaubend.