Ziel dieser Kolumne ist ja unter anderem, den gemeinen Schweizer Exil-Deutschen ein wenig Anteil haben zu lassen an grossen Taten im fernen Vaterland, und die Frankfurter Buchmesse gehört sicher zu den besten und glanzvollsten Ereignissen, die man verpassen kann und soll. Denn Bücher sind, allen digitalen Unkenrufen zum Trotz, immer noch nicht «durch», sind nach wie vor beliebte Dekorations- und Geschenkartikel, deren eigentlichen Prüfkonsum man, ähnlich wie beim Alkohol, getrost Fachleuten überlassen kann, um ihren Empfehlungen dann blind zu folgen. Und nirgendwo finden sich so viele Alkoholfachleute wie auf der Buchmesse.
Einige Trends lassen sich schon nach dem ersten Messetag festhalten. So wird etwa die Kategorie des Fernsehbuchs immer wichtiger: Wenn es einem Verlag oder einer Agentur gelingt, einem sogenannten Fernsehgesicht ein Buch abzuzwingen, ist der Umsatz garantiert, denn Fernsehpersönlichkeiten werden natürlich im Fernsehen auch über ihr Buch sprechen, wie auch die Zuschauer bei jeder Erwähnung stolz auf den frisch erworbenen Fernsehschmöker blicken, der da ihren Fernsehtisch verziert. In der Konsequenz wird die Messe immer mehr zur Fernsehmesse, die Stände der grossen Sender nehmen mittlerweile den meisten Platz ein, und für Historiker späterer Generationen mag es schon ein wenig rührend sein, wie sich da zwei sterbende Medien so völlig unverdrossen gegenseitig durch den Morast ziehen.
Auch dieses Jahr nimmt die Zahl bizarr verkleideter und albern geschminkter Messegänger wieder stark zu – man glaubt, auf einem Kostümfest zu sein! Da sind Verlagschefs, die allen Ernstes Paisley-Krawatten tragen; Buchhändler, die vergoldete Lesebrillen an Kettchen führen und es auch so meinen, schreibende Halbwesen wie Sibylle Lewitscharoff, die arglose Messegänger mit einer grässlichen Monstermaske erschrecken und sie auch bei wichtigen Terminen niemals abnehmen. Die armen Manga-Girls und -Boys, die zu den Besuchertagen erwartet werden, sind auf die ästhetischen Zumutungen dieser Messe kaum vorbereitet.
Zu erwarten ist, dass die Frage «Wer wird der neue Siegfried Lenz?» alle Diskussionen dominieren wird. Gesucht wird ein weltweiser Mahner und Warner, der mit historischer Akribie, sachtem Spott und wunderschönen Bildern einen unlesbaren Schinken auffüllt, der das Zeug dazu hat, den nächsten zwanzig Abiturjahrgängen die Lust am Lesen gründlich zu vergällen. Ganz vorne im Rennen: Uwe Tellkamp («So fies war die DDR»), Thomas Hettche («So schön war es in Preussen») und Helmut Kohl («So dämlich war Merkel. Erinnerungen eines Siegers»).