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Hoi Kafi. Wie bringt man ein Kind davon ab, Fluchwörter zu benutzen? Liebe Grüsse. Sandra, 30

Für mich gehört das Fluchen zu einer gesunden Entwicklung. Auch oder genau neben der Schweizerfahne. 
Für mich gehört das Fluchen zu einer gesunden Entwicklung. Auch oder genau neben der Schweizerfahne. Bild: Kafi Freitag
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Hoi Kafi. Wie bringt man ein Kind davon ab, Fluchwörter zu benutzen? Liebe Grüsse. Sandra, 30

15.10.2014, 21:4717.10.2014, 12:26
Kafi Freitag
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Liebe Sandra 

Oh Shit! Mit dieser Frage sind Sie bei mir nun tatsächlich an der falschen Adresse, bin ich doch eine grosse Liebhaberin des gepflegten Fluchens. Ich finde es eine wunderbare Ausdrucksform und ich mag den besonderen Singsang, wenn Anderssprachige es tun. Vor ein paar Monaten sass ich während etwa sechs Stunden bei einer brasilianischen Extension-Expertin (ein Hochzeitsgeschenk, den Roboterstaubsauger hatte ich drum bereits) und hatte die Gelegenheit, vielen Gesprächen zu lauschen. Das heisst, verstanden habe ich selbstverständlich kein Wort, schliesslich spreche ich kein Portugiesisch. Aber dennoch war mir klar, dass zeitweise ganz schön die Post abging. Es wurde immer mal wieder saumässig laut und ich hatte zwischendurch etwas Sorge, dass ich mitten in der Prozedur mit einer nicht beendeten Haarverlängerung den Salon verlassen müsste, weil die Damen sich gegenseitig die Scheren in die Rippen rammen würden. Aber dem war natürlich überhaupt nicht so, es wurde nur sehr leidenschaftlich diskutiert.

Diese Geschichte hat jetzt vielleicht nicht ganz direkt mit dem Fluchen zu tun, aber indirekt eben schon, weil es in gewissen Kulturkreisen dazu gehört, dass man seine Stimmung in die Sprache und deren Lautstärke legt. In Japan wiederum wird man kaum jemanden erleben, der laut wird oder sogar flucht. Und bei uns ist man ebenfalls eher zurückhaltend, es sei denn, man verfolgt angetrunkene Stammtischgespräche oder politische Diskurse auf Facebook.
 

Aber wie gesagt, mir persönlich gefällt diese Direktheit recht gut. Ich empfinde sie als eine Art von Ventil. Darum fluche ich wahnsinnig gern und ich freue mich schampar, wenn ich wieder ein neues Fluchwort in meinen Sprachgebrauch aufnehmen kann. Über Jahre fand ich zum Beispiel den Begriff «Arschloch» ganz furchtbar und ich verwendete ihn darum auch nicht. Aber dann wurde mir plötzlich bewusst, dass es Menschen gibt, auf die einfach keine andere, passendere Bezeichnung zutrifft, und darum habe ich ihn ganz bewusst wieder reaktiviert. Wichtig ist allerdings, dass man solche Wörter nicht inflationär verwendet, sonst verlieren sie selbstredend an Kraft. Ein anderer Begriff, der beinahe schon zugeschüttet war und den ich in letzter Sekunde aus der Versenkung gerettet habe, ist «futzdumm». Ein herrlicher Ausdruck, der vor etwa 20 Jahren seine Blütezeit erlebte und seither kaum mehr verwendet wird. Sie sehen, bei mir werden Sie keine pädagogisch wertvolle Antwort auf Ihre Frage erhalten, so leid's mir tut.

Weil ich fluche auch vor meinem Kind. Ich bin keine der korrekten Mütter, die aus einem Arschloch ein Astloch macht, kaum steht der Nachwuchs daneben. Dafür müsste ich viel zu viel überlegen und meiner Meinung nach geht es beim Fluchen eben genau darum, möglichst NICHT zu denken, sondern vollkommen impulsiv und unüberlegt loszulegen. 

Sie fragen sich jetzt bestimmt, welchen Einfluss meine Vorliebe auf meinen Sohn hat. Es ist noch interessant, denn natürlich ist es nicht so, dass er keinerlei Schimpfwörter benutzen würde, das wäre ja auch allzu seltsam. Aber er benutzt seine Sprache ziemlich differenziert und mit Bewusstsein. Er weiss genau, wann er flucht. Und das finde ich sehr wichtig. Viel bedenklicher finde ich, wenn Kinder Ausdrücke in ihre Sprache einweben, von denen sie keine Ahnung haben, was sie bedeuten. So kann es schon mal kommen, dass eine Zehnjährige auf dem Pausenplatz zur anderen sagt: «Krass geiler iPod den du da bekommen hast, du müsstest mal wieder richtig durchgefickt werden». Und nein, diesen Dialog habe ich mir nicht aus den Fingern gesogen, er wurde tatsächlich 1:1 so geführt. 

Sprache verfügt über eine unglaublich starke Kraft. Es ist wichtig, dass wir sie darum mit Sorgfalt anwenden. Für mich gibt es keine verbotenen Wörter und ich zensiere auch die Sprache meines Kindes nicht. Was ich aber fortwährend tue, ist ihm die Bedeutung des Gesagten zu erklären. Das ist vermutlich auch der Grund, warum er den Begriff «figg dini Muetter» bis heute genau ein einziges Mal verwendet hat. 

Und darüber hinaus verliert der Reiz des Fluchens doch auch daran, dass sich niemand im grossen Stil darüber aufregt. Denn was reizt Kinder mehr als Verbote der Eltern? 

In diesem Sinne: Einen verdammt schönen Tag und lieben Gruss. Ihre Kafi.

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Kafi Freitag (39) beantwortet auf ihrem Blog www.FragFrauFreitag.ch Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.ch

Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (www.FreitagCoaching.ch) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie ist verheiratet und Mutter eines zehnjährigen Sohnes. 


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