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Kafi, ich will weg von Facebook! Bitte hilf mir!

Viele meiner LeserInnen speien Galle auf mich. Aufhören, mich zu lesen, schaffen sie aber nicht. Sie sind süchtig nach mir. 
Viele meiner LeserInnen speien Galle auf mich. Aufhören, mich zu lesen, schaffen sie aber nicht. Sie sind süchtig nach mir. kafi freitag
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Kafi, ich will weg von Facebook! Bitte hilf mir!

Du, Kafi, Facebook macht mich fertig. Ich verbringe Stunden, achwas! Tage darauf! Ich lese daneben kein Buch mehr und mache mir keine eigenen Gedanken. Ich will weg davon. Wie geht das? Mirella, 32
16.06.2017, 10:2716.06.2017, 10:59
Kafi Freitag
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Liebe Mirella

Ich will ehrlich sein mit Ihnen. Das wird nicht einfach. Ich denke sogar, es ist unmöglich.

Warum ich das sage? Weil ich in den letzten zehn Jahren keinen einzigen Menschen kennengelernt habe, der den Absprung von FB geschafft hat. In der gleichen Zeit haben Menschen mit dem Rauchen und Trinken aufgehört, haben ihre Tablettensucht überwunden oder sich von der Spielsucht befreit. Ja, sogar von harten Drogen wie Kokain oder Heroin. Aber kein Einziger hat Facebook endgültig den Rücken gekehrt. Kein Einziger.

Allen selbst ernannten Aussteigern ist eins gemein: Sie sind alle noch bei Facebook und geben sich den Schuss noch immer stündlich.
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Ich habe in all den Jahren vielen dabei zugesehen, wie sie es versucht haben. Sie haben sich entweder mit viel Pathos für immer verabschiedet und den Zurückbleibenden unter die Nase gerieben, dass es da draussen noch ein anderes Leben gibt und man zu bemitleiden ist, wenn man nicht auch geht und sich den wahren Dingen widmet. Oder sie haben mit viel Tamtam einen auf Digital Detox gemacht und mit grossen Worten erklärt, dass sie innerhalb von x Wochen sich von x Kontakten trennen und nur noch x Mails lesen, bla bla bla. All diesen selbst ernannten Aussteigern ist eins gemein: Sie sind alle noch bei Facebook und geben sich den Schuss noch immer stündlich.

Die einzige Chance ist, niemals damit anzufangen und dann auf die Süchtigen herabzuschauen. Aber ist man erst einmal dabei und hat mehr als 500 Freunde (darunter ist es so sterbenslangweilig, dass man gar keine Ahnung vom wirklichen Rausch hat), dann wird der Absprung praktisch unmöglich.

Warum dem so ist, wollen Sie wissen? Weil Facebook die cleverste und perfideste Droge aller Zeiten ist. Keiner anderen sind 1,591 Milliarden Menschen (monatlich) verfallen und keine andere hat je so bewusst und vorsätzlich mit den menschlichen Mechanismen gespielt wie Facebook. Dieses Netzwerk dringt in jeden psychischen Winkel des Menschen vor und macht sich jeden menschlichen Abgrund zunutze.

Wir alle wollen Teil von etwas Grösserem sein. Check.
Wir alle wollen wissen, was läuft. Check.
Wir alle wollen, dass man uns wahrnimmt. Check.
Wir alle wollen etwas besser dastehen, als wir eigentlich sind. Check.
Wir alle wollen das Gefühl haben, wichtig zu sein. Check.
Und wir alle wollen das öffentlich zur Schau stellen. Check.
Wir sind alle Voyeure und wollen ins Leben von anderen spienzeln. Check.

Das sind nur einige von ganz vielen Mechanismen, die bei jedem von uns unterbewusst ablaufen. Aber damit nicht genug. Facebook dringt in jeden Winkel unserer Psyche und unseres Hirns vor. Wir werden auf extremste Art und Weise gesteuert und können uns nicht dagegen wehren. Die Macher hinter dem Tool kennen sich aus mit Hirnforschung und überlassen keine einzige Funktion dem Zufall. Wenn man zum Beispiel die bildgebende Technik hinzuzieht, kann man deutlich sehen, dass beim Menschen das Belohnungszentrum im Hirn aktiviert wird, wenn er das rote Kreisli mit der weissen Zahl (Zähler für Benachrichtigungen) anschaut. In seinem Hirn tanzen dann die Neuronen, als hätte man gerade den Jackpot in Las Vegas geknackt. Es klingt vielleicht lächerlich, wenn man das liest, aber es ist wahr. Das Gehirn kann nicht unterscheiden, ob etwas wirklich Grossartiges passiert ist, oder nur ein paar Nulpen ein Bild kommentiert haben. Der Cocktail an Hormonen, der ausgeschüttet wird, ist exakt der Gleiche. Und macht hochgradig süchtig.

Mich persönlich macht das alles sehr nachdenklich. Ich verdanke Facebook sehr viel, weil sonst in der Masse an Inhalt niemand meine Artikel lesen würde. Dennoch beobachte ich die Entwicklung mit grosser Skepsis. Ein Grossteil der Menschheit wird durch ein angeblich harmloses soziales Netzwerk stark beeinflusst, wenn nicht gesteuert. Man hat herausgefunden, dass FB eine wichtige Rolle in der Meinungsbildung hat. Ein paar wichtige Entscheidungen dieser Welt wären vermutlich anders gefällt worden, wenn FB nicht die Vorselektion der Informationen gesteuert hätte.

Das Gehirn kann nicht unterscheiden, ob etwas wirklich Grossartiges passiert ist, oder nur ein paar Nulpen ein Bild kommentiert haben. Der Cocktail an Hormonen, der ausgeschüttet wird, ist exakt der Gleiche. Und macht hochgradig süchtig.

Ich denke aber gern noch etwas weiter. Was wird durch diese Macht sonst noch möglich? Wie weit würden wir gehen, um weiterhin dabei zu sein? Wenn FB sich morgen entschliessen würde, dass man monatlich 100 Franken Gebühr zahlen muss, um weiter dabei zu sein. Wer würde die 1200 im Jahr aufwerfen? Und was, wenn es 500 im Monat wären? Ich bin – sehr untypisch für mich – in dieser Sache sehr pessimistisch. Wir haben unsere Seelen dem Zucki verkauft und er hat uns voll in der Hand. Seine Intention ist das totale Wachstum, aber er hat, so denke ich, keine wirklich bösen Absichten mit uns. Aber was, wenn plötzlich doch? Er könnte von heute auf morgen dafür schauen, dass Trump Vergangenheit ist. Wenn das möglich ist, was ginge dann sonst noch? Was, wenn er noch andere Allmachtsfantasien entwickelt, welche die heutigen bei Weitem überflügeln und nicht nur Kohle einspielen sollen?

Mir ist klar, dass jetzt einige LeserInnen laut «Verschwörungstheorie» schreien werden. Aber selbst der lauteste Schreier ist (wenn er jemals eingestiegen ist) noch immer dabei und auch er würde ins Portemonnaie greifen, wenn es plötzlich kostenpflichtig würde. Auch ihm gelingt der Ausstieg aus dieser elenden Sekte nicht und auch er hechelt nach dem nächsten Schuss.

Es tut mir wirklich leid, dass ich Ihnen kein rosigeres Bild zeichnen kann. Aber ich beschäftige mich zu eingehend damit, als dass ich mir meine Naivität und Blauäugigkeit hätte bewahren können.

Das Einzige, was nützt, ist ein gewisser Umgang zu lernen. Verbannen Sie die App auf Ihrem Smartphone vom Startbildschirm auf die letzte Seite zur unattraktiven Fitnessapp und stellen Sie ALLE Notifikationen konsequent ab. Des Weiteren können Sie den Bildschirm von farbig auf Schwarz/Weiss stellen, Studien haben gezeigt, dass das Belohnungszentrum dann nicht mehr gleichermassen stimuliert ist. Kommentieren Sie nichts mehr und beteiligen Sie sich nicht mehr an Diskussionen. Dadurch werden die Interaktionen mit der Zeit weniger und die Attraktivität des Netzwerks nimmt ab.

Wenn Sie das alles getan haben, gehören Sie zu den Siegern unserer Gesellschaft. Das Ziel ist nicht der unrealistische Ausstieg, sondern ein halbwegs vernünftiger Umgang. Wenn Ihnen dieser gelingt, haben Sie schon viel geschafft.

Alles Liebe! Ihre Kafi

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Kafi Freitag (41!) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.

Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie lebt mit ihrem 12-jährigen Sohn in Zürich.

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58 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Therealmonti
17.06.2017 05:52registriert April 2016
Da ich kein Facebook habe, suche ich mir Freunde ausserhalb von Facebook, aber mit den gleichen Prinzipien...
Also gehe ich jeden Tag raus und erkläre den Passanten, was ich gegessen habe, wie ich mich fühle, was ich gestern Abend gemacht habe, was ich jetzt grad mache, was ich morgen mache, gebe ihnen ein Foto von meinen Freundinnen und von meinen Meersäuli, wie ich mein Velo repariere, wie ich als Kind aussah. Höre den anderen aufmerksam zu und sage:"Es gefällt mir!"
Siehe da, es funktioniert!
Zur Zeit habe folgen mir 5 Personen:
2 Polizisten, 1 Psychiater, 1 Psychologe und ein Pfleger.
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Vernon Roche
16.06.2017 13:51registriert November 2015
Es gibt einige Leute in meinem Bekanntenkreis die Facebook nach Jahren wieder verlassen haben. Inklusive mir selbst.

Und, mit Verlaub, es war um längen einfacher als mit Rauchen aufzuhören.
Jedoch beides aus selbem Antrieb.
Du musst es wollen.
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Menel
16.06.2017 11:36registriert Februar 2015
Seit 3 Jahren nicht mehr bei FB und vom ersten Tag an nichts vermisst (ausser vielleicht die News von "I fucking love science") ...aber leider hänge ich immer noch am Glimmstängel...das ist wirklich echt viel schwerer.
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Wir haben den Mercedes EQE getestet und er ist der Hammer!
Aus der EQ-Familie von Mercedes-Benz, die ausschliesslich Elektrofahrzeugen gewidmet ist, wünsche ich mir den EQE SUV, das batteriebetriebene Gegenstück zum GLE-Verbrenner. Als Vorzeige-Familien-SUV hat sich der GLE in seiner über 25-jährigen Karriere die Gunst einer treuen Kundschaft gesichert. Kann es ihm der EQE gleichtun?

Mit seinen über 4,88 m Länge ist der EQE SUV der kleine Bruder des grossen EQS SUV an der Spitze der Elektroserie mit dem Stern. Kleiner heisst jedoch nicht zwingend weniger luxuriös, technologisch weniger ausgefeilt oder weniger komfortabel. Seine Motorisierungspalette ist besonders breit – 245 bis 625 PS, ein- oder zweimotorig, mit oder ohne Allradantrieb. Unser Testfahrzeug ist der EQE SUV 350 4Matic, der im Mittelfeld der Serie liegt und 292 PS sowie 765 Nm Drehmoment liefert, die sich auf alle vier Räder verteilen. Der gesamte Antrieb wird von einer Batterie mit 89 kWh Nutzkapazität versorgt.

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