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FragFrauFreitag

Mein Papa ist tot, ich schaue «Sex and the City». Ab zum Shrink?

Kafi nach zu viel Kafi. 
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FragFrauFreitag

Liebe Kafi, vor nicht allzu langer Zeit ist mein geliebter Papa an Krebs gestorben und vor nicht allzu langer Zeit habe ich angefangen, «Sex and the City» zu schauen. 

Zwischen diesen beiden Dingen gibt es tatsächlich einen Zusammenhang. Denn bei «Sex and the City» scheint es das Normalste zu sein, regelmässig einen Psychologen zu besuchen. Nun frage ich mich, ob ich (19 Jahre alt) diesen Luxus eines Psychologen wirklich brauche oder nehme ich die Serie einfach zu ernst? Liebe Grüsse. Luise, 19
23.09.2016, 10:2323.09.2016, 15:46
Kafi Freitag
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Liebe Luise

Zuerst einmal mein herzlichstes Beileid für den Verlust Ihres Vaters. Es tut mir sehr leid, dass Sie ihn so jung hergeben mussten.

Sie möchten wissen, ob das Schauen dieser Serie eine Art Zeichen an Sie sein soll, einen Psychiater zu besuchen? Wenn ich die Tatsache anschaue, dass ich irgendwann mal aufhören musste Gilmore Girls zu schauen, weil mein Koffeinkonsum langsam ins Ungesunde kippte, dann ja. Allerdings habe ich auch «Breaking Bad» geschaut, ohne ein Meth-Labor zu eröffnen, und Lilyhammer, ohne einen Mafiaring zu gründen. (Obwohl ich bei Letzterem noch nicht ganz auf der sicheren Seite bin, wie ich zugeben muss. Meine kriminelle Ader wurde da schon arg getriggert.)

Ob es aber nötig ist, einen Shrink zu besuchen, würde ich mal weniger von der Serie abhängig machen als mehr von Ihrem Zustand. Und von den Amis schon gar nicht. Dass die einen an der Klatsche haben, bestätigt der aktuelle Wahlkampf doch mehr als deutlich, da hilft auch ein Heer von Psychiatern nichts ...

Haben Sie das Gefühl, Hilfe zu brauchen in Ihrer Trauerarbeit? Sie sagen, dass Ihr Vater erst jüngst verstorben ist, es ist also vollkommen normal, dass es Ihnen schlecht geht. Das darf es auch. Ich habe bereits an anderer Stelle über die verschiedenen Phasen der Trauerarbeit geschrieben, die Zeit und Geduld einfordern.

Ich kann nicht abschätzen, wie gut Sie eingebunden sind, sozial. Wenn Sie Menschen haben, die Sie durch diese schwere Zeit begleiten, dann können Sie die Unterstützung dort bekommen. Wenn Sie sich aber allein fühlen mit Ihrer Trauer und Ihrem Schmerz, dann macht es sicher Sinn, sich begleiten zu lassen.

Ob es dafür ein Psychiater sein muss, ist allerdings fraglich. Solange Sie keine Psychopharmaka benötigen, tut es auch ein Coach oder ein Therapeut. Und ich rate Ihnen von Tabletten eher ab. Sie können damit den Schmerz unterdrücken, aber weggehen wird er davon nicht nachhaltig. Medis sind eine kurzfristige Stütze und in dieser Funktion auch vollkommen okay. Dem Trauerprozess kann man damit aber kein Schnippchen schlagen, der muss bewusst durchlebt werden. Wenn Sie sich für diese Phase einen Psychotherapeuten nehmen, dann machen Sie von Anfang an klar, dass es ein befristeter Auftrag ist, der nach dem Prozess auch wieder enden soll. Ich höre nicht selten von Klienten, die den Absprung aus der Therapie nur schwer geschafft haben. Die Tatsache, dass die Krankenkasse die Behandlung bezahlt, macht es für Therapeuten wenig attraktiv, mit einem klaren Ziel zu arbeiten, das dann irgendwann auch erreicht ist.

Die Zeit der Trauer dauert, nehmen Sie sich die nötige Zeit dafür. Aber seien Sie sich bitte auch im Klaren, dass Sie deswegen nicht krank oder depressiv sind. Es ist einfach nur normal und gesund, dass einen dieser Verlust sehr schmerzt. Die Phase des schlimmsten Schmerzes kann beim einen ein paar Wochen dauern, beim anderen mehr als ein Jahr. Ganz weggehen wird das Gefühl des Verlusts nie, aber man lernt damit zu leben. Geben Sie diesen Gefühlen Raum und Zeit und reden Sie darüber, so viel wie für Sie richtig und wichtig ist.

Ich schicke Ihnen ganz viel Kraft in dieser schweren Zeit und drücke Sie lieb. Ihre Kafi.

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Kafi Freitag (40!) beantwortet auf ihrem Blog Frag Frau Freitag Alltagsfragen ihrer Leserschaft. Daneben ist sie Mitbegründerin einer neuen Plattform für Frauen: Tribute.

Im analogen Leben führt sie eine Praxis für prozessorientiertes Coaching (Freitag Coaching) und fotografiert leidenschaftlich gern. Sie lebt mit ihrem 11-jährigen Sohn in Zürich.

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22 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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's all good, man!
23.09.2016 11:50registriert September 2014
Wenn du dir den Knöchel verstauchst, eine Grippe hast oder du dir in den Finger schneidest, gehst du ja auch zum Arzt. Es muss einfach ganz normal werden, dass man sich in einer Krise oder sonst einer Situation, mit der man nicht klarkommt, Unterstützung von einem Therapeuten holt. Sonst bleibt das noch ewig negativ behaftet - aber das ist es überhaupt nicht.
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