Nach drei Tagen in der bitterkalten, aber wunderschönen Uyuni-Salzwüste parkiert unser Tour-Guide hinter einem in die Jahre gekommenen, kleinen blauen Campingbus. Schon der Oldtimer alleine, ein Peugeot J7, ist einen zweiten Blick wert. Doch es ist das Nummernschild, das meine Freundin Lea und mich neugierig macht: «TG» steht da. Und die Halterung stammt von der «Garage Germann Frauenfeld».
Der Bus kommt offensichtlich aus dem gleichen Kanton wie ich. Als wir ihn betrachten, ertönt hinter uns eine Mischung aus Thurgauer- und Zürcher-Dialekt: «Hoi zämä!» Der Bus gehört Erika und Res, zwei Zürchern, die seit 30 Jahren im Thurgau leben. Die beiden haben ihn im März 2016 von Europa an die US-Ostküste verschiffen lassen und kurven ihn nun seit 15 Monaten durch Nord-, Mittel- und Südamerika, wie sie uns bei einem Bierchen erzählen.
Das alleine wäre noch keine Kolumne wert. Langzeitreisende Schweizer gibt es viele und es ist auch kein besonderer Zufall, dass wir den beiden in der bolivianischen Wüste begegnen – Uyuni ist ein Touristenmagnet. Doch es gibt etwas, das Erika und Res von den meisten anderen Weltenbummlern unterscheidet: ihr Alter. Die beiden haben über 10 Jahre mehr auf dem Buckel als ihr 1977 gebautes Fahrzeug.
Es ist eine Sache, zu einer Weltreise aufzubrechen, wenn man Mitte zwanzig ist, keine Kinder hat und beruflich noch alle Türen offen stehen. Wenn man aber wie Erika und Res über fünfzig ist und drei Kinder, ein Haus sowie ein eigenes Geschäft hat, braucht es für einen solchen Schritt deutlich mehr Mut. Doch die beiden haben sich von all dem nicht abschrecken lassen. Res: «Diese Reise war seit vielen Jahren ein Traum, den wir uns unbedingt erfüllen wollten.»
Ihre Unternehmungsberatungsfirma haben sie deshalb liquidiert. Ihr Haus in der Nähe von Frauenfeld haben sie vermietet. Und die drei erwachsenen Töchter, die Jüngste ist 24 Jahre alt, müssen seit 15 Monaten ohne Eltern auskommen. Erika: «Die Mädels sind auch schon viel herumgekommen und haben uns gesagt: ‹Jetzt seid ihr dran.›»
Es ist offensichtlich, dass Res und Erika ihren Trip nach wie vor geniessen. Sie wirken nicht reisemüde oder abgelöscht. Den ungebetenen Vortrag eines Künstlers, der selbstgemalte Postkarten verkaufen will, ertragen sie genauso geduldig wie den Bettler, der uns um Almosen bittet. Und als Res auf Spanisch ein kleines Mädchen fragt, ob sie ein Foto von uns vier machen kann, tut er das so liebevoll, dass die Kleine gerne kurz ihr Springseil weglegt.
Doch auch die Reise von Erika und Res kann nicht ewig dauern. Ende Juli müssen sie in Uruguay sein, um ihren Bus auf ein Schiff Richtung Hamburg zu verladen. Was sie machen, wenn sie wieder in der Schweiz sind, wissen sie noch nicht. Das eigene Geschäft wieder aufzumachen, ist keine Option. Einen attraktiven Job zu finden, halten die beiden aber ebenfalls für schwierig. Res ist gelernter Mechaniker und Erika hat vor der Reise im Familiengeschäft gearbeitet sowie als Unterrichtsassistentin in einer heilpädagogischen Schule. Die beiden sind sich einig: «Wenn du über fünfzig bist, stellt dich heute kaum jemand ein. Es sei denn, du hast Vitamin B.»
Die Aussage kommt nicht als Klagelied daher. Vielmehr wirkt es so, als ob es die beiden spannend fänden, dass sie nach der Rückkehr praktisch nochmals bei null anfangen können. Res: «Auf so einer Reise macht man sich schon sehr viele Gedanken darüber, wie man sein Leben zu Hause gestalten will.» Es ist klar: Die beiden wollen die zehn Jahre bis zur Pensionierung mit einer Arbeit verbringen, die ihnen Spass macht. Um das sicherzustellen, schliesst Res auch unkonventionelle Wege nicht aus: «Vielleicht mache ich nach der Reise nochmals eine Lehre.»
Ich bin beeindruckt von dieser flexiblen Lebenseinstellung und denke mir: Das Alter ist eben doch nur eine Zahl.