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Per Autostopp um die Welt

Autostopp um die Welt: #ParisAttacks – und keiner zum reden

Per Autostopp um die Welt

Alleine in Kasachstan: So ist es, wenn in Paris schreckliche Dinge passieren – und du mit niemandem darüber reden kannst

15.11.2015, 08:1015.11.2015, 08:33
Thomas Schlittler
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Reisen ist nicht immer Friede, Freude, Tralala. Es gibt Momente, in denen ich mich frage, was ich hier überhaupt mache. Alleine in Kasachstan. Weit, weit weg von den Liebsten zu Hause. Ich habe gerade einen der einsamsten Tage hinter mir, seit ich die Schweiz vor fünfeinhalb Monaten verlassen habe.

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Draussen hat es geregnet, ich bin deshalb stundenlang in meinem schäbigen kleinen Hotelzimmer auf dem Bett gelegen.

In meinem Kopf drehten sich die Gedanken um die Ereignisse in Paris – wieder und wieder. Und das Schlimmste: Ich konnte mit niemandem darüber reden.

Es fällt schwer, die feige Gewalt gegen Unschuldige zu begreifen. Zu akzeptieren, dass man nichts dagegen machen kann, dass ein paar wenige Individuen eine ganze Stadt, ein ganzes Land, eine ganze Gesellschaft terrorisieren können. Diese Ohnmacht schnürt einem die Kehle zu.

Das Traurige ist, dass es die Terroristen schaffen, dass ich hier in Kasachstan bin, an ihre Gräueltaten denke, und die unzähligen wunderschönen Begegnungen, die ich hautnah erlebe, in den Hintergrund rücken.

Dabei habe ich erst gestern wieder drei tolle Menschen kennengelernt. Drei junge Kasachen, so unbeschwert, wie man es wohl nur mit anfangs zwanzig sein kann.

Dabei habe ich erst gestern wieder drei tolle Menschen kennengelernt. Drei junge Kasachen, so unbeschwert, wie man es wohl nur mit anfangs zwanzig sein kann. Sie sind neugierig, wollen DJ werden oder Musiker und träumen davon, andere Länder zu bereisen. Zudem sind sie alle drei Muslime.Sie haben mit den Anschlägen in Paris genauso wenig zu tun wie ich. Doch es wird Leute geben, die sie und ihren Glauben indirekt für das Morden mitverantwortlich machen. Einmal mehr wird der Islam zum Gesprächsthema. Und dabei wird nicht immer ein Unterschied gemacht zwischen den radikalen IS-Terroristen und den X-Millionen Muslimen, die ihre Religion friedlich ausleben.

Meine Fahrer auf dieser Etappe: Von Bukhara (Uzbekistan) nach Schymkent (Kasachstan)

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Per Autostopp um die Welt: Etappe 24: Bukhara – Shymkent
Von Buchara nach Gala Osiyo: Suchid ist Hobby-Taxifahrer. Er nimmt mich wahrscheinlich nur deshalb kostenlos mit, weil ich aus der Schweiz komme.
quelle: thomas schlittler / thomas schlittler
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Das ist das Traurigste an den feigen Anschlägen: Die Terroristen schaffen es, ein Klima des Misstrauens und des Hasses zu schaffen. Jeder denkt, dass jeder Muslim ein Terrorist sein könnte. Keiner vertraut dem andern. Niemand fühlt sich nirgendwo mehr sicher.

Auch ich bin nicht gefeit vor solchen Gedanken. Wenn man gar in einem Café in Paris einfach so abgeschlachtet werden kann, wie sicher ist es dann, in muslimischen Ländern wie dem Iran, Turkmenistan, Usbekistan oder Kasachstan bei Wildfremden ins Auto zu steigen? Diese Frage geht mir nicht aus dem Kopf – und ich hasse mich dafür, dass ich den Terroristen soviel Platz zugestehe.

Doch ich werde es nicht zulassen, dass sie meine Gedanken steuern. Ich werde morgen wieder bei Wildfremden ins Auto steigen. Ich werde ihnen blind vertrauen und dafür mit unvergesslichen Erlebnissen belohnt werden.

Ich werde darüber schreiben und darauf hoffen, dass dem einen oder anderen Leser in Erinnerung gerufen wird: Stimmt, es gibt ja auch viel Gutes und Schönes in der Welt!

Der Terror ist zwar leider wahr, aber nicht die ganze Wahrheit.

Zur gleichen Zeit, als in Paris hunderte unschuldige Leben ausgelöscht wurden, haben tausende junge Paare Freudentränen vergossen wegen der Geburt ihres ersten Kindes. Teenager erlebten mit pochendem Herzen ihren ersten Kuss. Alten Omas wurde über die Strasse geholfen, alten Opas ein Platz im Bus freigemacht. Und irgendwo offerierte jemand einem Fremden einen Tee, ein Mittagessen, eine Mitfahrgelegenheit oder gar einen Platz zum Schlafen – einfach so.

Über diese Dinge wird nur selten geschrieben. Das heisst aber nicht, dass es sie nicht gibt, sie passieren Tag für Tag. Das sollten wir nicht vergessen! Sonst gewinnt die Angst die Oberhand – und die Terroristen haben ihr Ziel erreicht.

Meine Woche in Bildern

Etappe 24 von Bukhara nach Schymkent

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Per Autostopp um die Welt: Etappe 24: Bukhara – Shymkent
Die Woche beginnt in Bukhara, einer der historisch bedeutsamsten Städte Usbekistans.
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20 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Sveitsi
15.11.2015 10:06registriert Januar 2015
Ehrlicher Text - danke dafür!
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Nyu
15.11.2015 09:24registriert November 2014
Danke❤️
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elpeyotl
15.11.2015 09:18registriert Mai 2015
Danke! Schön geschrieben!
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