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Jesus Christus, Revolutionär und Eiferer

Jesus am Kreuz.
Jesus am Kreuz.bild: shutterstock
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Jesus war ein Revolutionär, aber auch ein Eiferer

Alle Glaubengemeinschaften tragen den Kern der Radikalisierung in sich.
24.12.2016, 10:1726.12.2016, 14:07
Hugo Stamm
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Das Wesen aller Glaubenssysteme und Religionen ist gleichzeitig ihr Pferdefuss: Das Streben nach dem Letzten und Höchsten. Dieser Anspruch, verbunden mit hohen ethischen und moralischen Erfordernissen, ist unerfüllbar und eine einzige Überforderung.

Das Postulat, sündenfrei zu leben und den Idealen der Glaubensgemeinschaften zu genügen, lässt selbst Geistliche scheitern. Auch Heilige – wenn es denn solche gibt – können die Gebote und Dogmen nicht in der reinen Form erfüllen. Aus psychologischer Sicht ist die Überforderung eine pädagogische Todsünde. Das Scheitern führt uns dauernd vor Augen, wie anfällig und schwach wir sind.

Doch wir brauchen Erfolgserlebnisse, um uns für grössere – oder höhere – Ziele zu motivieren. Diese Erziehungsmethode ist in der Pädagogik völlig unbestritten. Nur die Religionen foutieren sich darum.

Dieses Dilemma hat letztlich verheerende Konsequenzen, denn übermenschliche und unerreichbare Anforderungen fördern bei vielen Religionsführern und Gläubigen die Radikalisierung im Glauben. Um ihr eigenes Scheitern zu sublimieren oder kompensieren, stellen Geistliche an die sündigen Gläubigen – und indirekt an sich selbst – immer härtere Bedingungen. Und weil sie damit erst recht grandios scheitern, drehen sie immer mehr an der Schraube.

In der Esoterik ist das Phänomen bestens bekannt

Da spirituelle Sucher die erforderte Transformation nicht schaffen und die Erleuchtung nicht erreichen, unterwerfen sie sich immer radikaler ihrem Guru oder Meister und meditieren noch härter. Ein anschauliches Beispiel liefern auch die Zeugen Jehovas, die aus Aberglauben – sie legen die Bibel auf fahrlässige Weise aus – Bluttransfusionen verweigern. Auch wenn sie im schlimmsten Fall sterben. Dabei kommt es gelegentlich vor, dass bei einer Geburt auch das Kind betroffen ist.

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Das grenzt zumindest aus moralischer Sicht an vorsätzliche Tötung. Auch die orthodoxen Juden legen sich Glaubensregeln auf, die unmenschlich sind und weit über die Anforderungen in der Thora hinausgehen. Man lese nur das Buch «Unorthodox» der abtrünnigen amerikanischen Jüdin Deborah Feldman. Sie beschreibt eindrücklich, wie menschenverachtend die Verhaltensvorschriften sind.

Ähnlich wie bei radikalen Muslimen werden teilweise Heiraten so arrangiert, dass man schon fast von Zwangsheirat sprechen muss.

Old Goa, Indien - Antike Statue von Francis Xavier und Jesus.
Old Goa, Indien - Antike Statue von Francis Xavier und Jesus.Bild: shutterstock

Zwar übt die grosse Mehrheit der Muslime ihren Glauben moderat aus, aber die vielen extremen Gruppen zeigen, dass es im Islam ein ausgeprägtes Radikalisierungspotential gibt. Der Anschlag von Berlin macht es einmal mehr deutlich. Die Bereitschaft, für den Glauben als Selbstmordattentäter zu sterben, ist Ausdruck einer beispiellosen Fanatisierung.

Über die Fanatisierung im Islam braucht es nicht viele Worte

Radikale Strömungen und Gemeinschaften gibt es auch im Christentum. Auf der evangelischen Seite stellen die Freikirchen einen beträchtlichen Teil der Gläubigen dar. Im Vergleich zu den bisher genannten Gruppen sind sie zwar gemässigt, die fundamentalistische Auslegung der Bibel führt aber zwangsläufig zu einer radikalen Form des Glaubens.

Auch die katholische Kirche kennt radikale Strömungen. Der Impulstext über das Opus Dei von letzter Woche zeigt es deutlich auf. Wer sich mit einer Geisel selbst kasteit, hat eine verträgliche oder zivilisierte Form des Glaubens längst verlassen.

Womit wir bei Weihnachten angelangt sind. Dem Tag also, an dem angeblich der Sohn Gottes geboren wurde. Aus dem Baby im Stall zu Bethlehem wurde zwar ein sympathischer Revolutionär, der sich auf die Seite der Armen und Kranken schlug, letztlich aber auch ein Eifere war. Die Anforderungen des Wanderpredigers an seine Jünger dürfen als radikal bezeichnet werden. Auch das Glaubensverständnis von Jesus war nicht ohne, wie wir den Evangelien entnehmen können.

So fand er zum Beispiel für die Ketzer oder Ungläubige radikale Worte:

«Ihr Schlangen und Natterngezücht! Wie werdet ihr der Hölle entrinnen?»
(Mt 23,33)

Ein weiteres Beispiel:

«Wer aber ärgert dieser Geringsten einen, die an mich glauben, dem wäre besser, dass ein Mühlstein an seinen Hals gehängt wird, und er ersäuft würde im Meer, da wo es am tiefsten ist.»
(Mt 18,6)

Oder:

«Ihr sollt nicht meinen, dass ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.»
(Mt 10,34-39)

Das hindert uns nicht daran, an Weihnachten den Vers zu singen:

«Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens ...»
Hugo Stamm; Religionsblogger
Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei.

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98 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Menel
24.12.2016 13:52registriert Februar 2015
Monotheistische Religionen können ja auch gar nicht anders als gewalttätig sein. Denn jede andere Gottheit, einer anderen Religion, stellt sie in Frage. Da es keine stichhaltigen Argumente/Beweise für eine solche "Wahrheit" gibt, bleibt einem ja nur, dass man alle Fragesteller zum Schweigen bringt.
Kindergarten! Für mich einfach unverständlich, wie man an sowas festhalten kann. Wir leben in einer hochtechnisierten, vernetzten, unglaublich komplexen Welt, zu glauben, Probleme lassen sich mit Lösungsplänen von vor 2000 Jahren lösen, ist in meinen Augen mehr als nur naiv, kleingeistigi und dumm.
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michiOW
24.12.2016 17:02registriert Juli 2016
Guter Text, aber vielleicht hätten sie erwähnen sollen, dass die Bibel nicht von Jesus sondern den Evangelisten geschrieben wurde. Diese lebten teilweise über hundert Jahre nach Jesus. Dadurch und durch all die Jahre und Übersetzungen sollte man die Bibel als das nehmen, was sie ist: Eine Geschichtensammlung, welche man nicht wörtlich nehmen darf. Für much als Katholik geht es in erster Linie um den Kern jeder Geschichte, die Botschaft darin.

Ich schätze, jesus war ein guter Mensch, aber auch er war geprägt von der damaligen Zeit und Erziehung.
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Michael Mettler
24.12.2016 11:42registriert Februar 2014
Hugo Stamm macht an Weihnachten vieles richtig. Er zeigt die Spannung zwischen "Guter Botschaft" und "Gefahr zur Radikalisierung" auf. Etwas das uns Gläubige und deren Kritiker immer beschäftigen wird. Und genau in dieser Form wünsche ich mir den Blog von Hugo Stamm. In diesem Sinne Frohe Festtage!
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