Das Wesen aller Glaubenssysteme und Religionen ist gleichzeitig ihr Pferdefuss: Das Streben nach dem Letzten und Höchsten. Dieser Anspruch, verbunden mit hohen ethischen und moralischen Erfordernissen, ist unerfüllbar und eine einzige Überforderung.
Das Postulat, sündenfrei zu leben und den Idealen der Glaubensgemeinschaften zu genügen, lässt selbst Geistliche scheitern. Auch Heilige – wenn es denn solche gibt – können die Gebote und Dogmen nicht in der reinen Form erfüllen. Aus psychologischer Sicht ist die Überforderung eine pädagogische Todsünde. Das Scheitern führt uns dauernd vor Augen, wie anfällig und schwach wir sind.
Doch wir brauchen Erfolgserlebnisse, um uns für grössere – oder höhere – Ziele zu motivieren. Diese Erziehungsmethode ist in der Pädagogik völlig unbestritten. Nur die Religionen foutieren sich darum.
Dieses Dilemma hat letztlich verheerende Konsequenzen, denn übermenschliche und unerreichbare Anforderungen fördern bei vielen Religionsführern und Gläubigen die Radikalisierung im Glauben. Um ihr eigenes Scheitern zu sublimieren oder kompensieren, stellen Geistliche an die sündigen Gläubigen – und indirekt an sich selbst – immer härtere Bedingungen. Und weil sie damit erst recht grandios scheitern, drehen sie immer mehr an der Schraube.
Da spirituelle Sucher die erforderte Transformation nicht schaffen und die Erleuchtung nicht erreichen, unterwerfen sie sich immer radikaler ihrem Guru oder Meister und meditieren noch härter. Ein anschauliches Beispiel liefern auch die Zeugen Jehovas, die aus Aberglauben – sie legen die Bibel auf fahrlässige Weise aus – Bluttransfusionen verweigern. Auch wenn sie im schlimmsten Fall sterben. Dabei kommt es gelegentlich vor, dass bei einer Geburt auch das Kind betroffen ist.
Das grenzt zumindest aus moralischer Sicht an vorsätzliche Tötung. Auch die orthodoxen Juden legen sich Glaubensregeln auf, die unmenschlich sind und weit über die Anforderungen in der Thora hinausgehen. Man lese nur das Buch «Unorthodox» der abtrünnigen amerikanischen Jüdin Deborah Feldman. Sie beschreibt eindrücklich, wie menschenverachtend die Verhaltensvorschriften sind.
Ähnlich wie bei radikalen Muslimen werden teilweise Heiraten so arrangiert, dass man schon fast von Zwangsheirat sprechen muss.
Zwar übt die grosse Mehrheit der Muslime ihren Glauben moderat aus, aber die vielen extremen Gruppen zeigen, dass es im Islam ein ausgeprägtes Radikalisierungspotential gibt. Der Anschlag von Berlin macht es einmal mehr deutlich. Die Bereitschaft, für den Glauben als Selbstmordattentäter zu sterben, ist Ausdruck einer beispiellosen Fanatisierung.
Radikale Strömungen und Gemeinschaften gibt es auch im Christentum. Auf der evangelischen Seite stellen die Freikirchen einen beträchtlichen Teil der Gläubigen dar. Im Vergleich zu den bisher genannten Gruppen sind sie zwar gemässigt, die fundamentalistische Auslegung der Bibel führt aber zwangsläufig zu einer radikalen Form des Glaubens.
Auch die katholische Kirche kennt radikale Strömungen. Der Impulstext über das Opus Dei von letzter Woche zeigt es deutlich auf. Wer sich mit einer Geisel selbst kasteit, hat eine verträgliche oder zivilisierte Form des Glaubens längst verlassen.
Womit wir bei Weihnachten angelangt sind. Dem Tag also, an dem angeblich der Sohn Gottes geboren wurde. Aus dem Baby im Stall zu Bethlehem wurde zwar ein sympathischer Revolutionär, der sich auf die Seite der Armen und Kranken schlug, letztlich aber auch ein Eifere war. Die Anforderungen des Wanderpredigers an seine Jünger dürfen als radikal bezeichnet werden. Auch das Glaubensverständnis von Jesus war nicht ohne, wie wir den Evangelien entnehmen können.
So fand er zum Beispiel für die Ketzer oder Ungläubige radikale Worte:
Ein weiteres Beispiel:
Oder:
Das hindert uns nicht daran, an Weihnachten den Vers zu singen: