Der «Beobachter» ist ein wichtiges, professionell gemachtes Printprodukt im Bereich der Lebenshilfe, das als Ratgeber funktioniert und gut recherchierte Reportagen publiziert. Vor kurzem leistete sich das Blatt aber einen Sündenfall der gröberen Art. Es wollte wissenschaftliche Erklärungen für übersinnliche Phänomene abgeben.
Das Blatt widmete dem umstrittenen Thema rund zehn Seiten, Frontseite inklusive. Angekündigt wird der Artikel auf dem Titelblatt mit der Headline Übersinnliche Kräfte: Was ist dran?
Man beachte das Fragezeichen. Doch wer den Artikel liest, kommt zum Schuss: Das Fragezeichen ist reine journalistische Kosmetik. Oder ein Feigenblatt. Dies macht auch der verräterische Untertitel deutlich: «Eine wissenschaftliche Spurensuche.»
Da beginnt bereits die Krux. Das Blatt suggeriert, dass man übersinnliche Kräfte womöglich wissenschaftlich nachweisen könne. Tatsache ist, dass bis heute noch nie solche Energien gemessen, geschweige denn nach wissenschaftlichen Kriterien reproduziert werden konnten.
Auch der Autor suggeriert, Garant für Wissenschaftlichkeit zu sein. Felix Hasler wird als Pharmazeut, Forscher und Wissenschaftsjournalist vorgestellt, der an mehreren Universitäten in neurowissenschaftlichen Gebieten gearbeitet hat. Prüfen wir also, mit welchen Methoden Hasler Spukgeistern wissenschaftlich nachspürt.
Der kritische Leser stutzt schon beim ersten Satz. Das Aussergewöhnliche sei ganz normal, über die Hälfte der Menschen hätten schon Unerklärliches erlebt: Hellsehen, Spuk oder ausserkörperliche Erfahrungen.
Eine reine Behauptung.
Als Quelle führt der Journalist das Institut für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene (IGPP) an, als Experte tritt dessen Mitarbeiter Eberhard Bauer auf. Die meisten ratsuchenden Personen hätten soziale und körperliche Probleme, etwa die Hälfte wiesen auch psychische Auffälligkeiten auf, erklärt Bauer.
Hier liegt der Schlüssel: Psychisch belastete Personen neigen zu Realitätsverlust und Wahrnehmungsverschiebungen. Ihre Einbildungskraft ist ausgeprägt. Manche hören Stimmen, fühlen sich verfolgt und nehmen die Umwelt verzerrt wahr. Diese vermeintlich übersinnlichen Phänomene finden deshalb vor allem im Hirn statt und sind die Folge von hirnphysiologischen Fehlleistungen, wie Bauer indirekt zugibt.
Weiter erklärt Bauer, dass es beim Spuk hauptsächlich um das Verrücken von Gegenständen gehe und um akustische Phänomene wie Klopfen, Poltern und Schritte handle. Dabei nähmen die betroffenen Personen eine «fremde Präsenz» wahr. Auf gut Deutsch: Ein Geist erscheint.
Nur: Geistern ist wissenschaftlich nicht beizukommen.
Diesen Versuch wagt nicht einmal Bauer.
Zerknirscht gibt er zu, dass sich diese «fremden Präsenzen» nicht erhaschen lassen. Wenn Ratsuchende Spukerlebnisse melden, würde er gern das übersinnliche Phänomen mit der Videokamera aufzeichnen. Doch davon wollen die Spukbeobachter nichts wissen. So resümiert Bauer: «Echte Spukphänome zeigen eine ausgesprochene ‹Beobachtungsscheu›.»
Eine verräterische Aussage. Ein Phänomen kann keine Scheu zeigen, höchstens ein Geist. Die naheliegende Antwort: Ein Poltergeist lässt sich nicht aufzeichnen, weil noch nie einer nachgewiesen werden konnte.
Bauer hingegen sagt, die Flüchtigkeit solcher Spukereignisse sei geradezu charakteristisch für einen Spuk. Eine wissenschaftliche Argumentation klingt anders.
Als zweiten Experten präsentiert Journalist Hasler den deutschen Physiker Walter von Lucadou. Auch er bestätigt, dass der Spuk vorbei sei, wenn Bekannte oder Journalisten ihn beobachten wollten. «Das ist den Betroffenen peinlich, weil sie befürchten, dass man sie für verrückt hält.»
Wenn nicht einmal die Beobachtung möglich ist, wie ist es dann erst um den wissenschaftlichen Nachweis bestellt? Lucadou wörtlich: «Nach allem, was wir wissen, entsteht ein Spuk fast immer nur in Gegenwart einer bestimmten Person, die ein Problem mit sich herumträgt.» Dass der vermeintliche Spuk mit diesem Problem zu tun haben könnte und nicht mit einem realen Poltergeist, passt nicht ins Weltbild des Physikers.
Der Grund: Lucadou ist selbst fasziniert von übersinnlichen Phänomenen. Ihm fehlt die Unabhängigkeit, um wissenschaftlich sauber arbeiten zu können. (Ich kenne ihn und seine Arbeit seit über 20 Jahren.)
Auch Journalist Hasler scheint der Gedanke Bauchweh zu bereiten, schreibt er doch: «Spukphänomene als Projektion nach aussen, als materialisierte Symptome einer psychischen Belastung? Das ist gewöhnungsbedürftig.» Mit dieser Aussage entlarvt er sich selbst als Gläubigen, der an Spukphänomene glaubt.
Auch Lucadou gibt zu: «Der Spuk ist eine psychosomatische Reaktion, die sich in ihrer Umgebung auswirkt.»
Dann scheint Journalist Hasler plötzlich an seinen eigenen Aussagen zu zweifeln. Er fragt im Artikel die Leser unvermittelt: «Sie lesen immer noch? Das spricht für Ihre Aufgeschlossenheit.»
Man glaubt nicht richtig gelesen zu haben: Wer nicht längst das Heft in eine Ecke geschmissen hat und nicht an diesen schwammigen Erklärungen zweifelt, gilt als aufgeschlossen. Hasler hätte genau so gut schreiben können: «Bitte gib deinen kritischen Verstand an der Garderobe ab, bevor zu diesen Artikel liest.»
Immerhin zitiert Hasler die Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, die erklärte, dass es sinnlos sei, aussersinnliche Beeinflussung nachweisen zu wollen. Doch der «Forscher» Eberhard Bauer hält krampfhaft am Glauben fest, Spukphänomene seien real. Wörtlich: «Nach 50 Jahren Beschäftigung mit diesen Phänomenen verdichtet sich bei mir die Erkenntnis: Da ist etwas.»
Wahrlich ein grossartiges Resultat jahrzehntelanger «Forschung». Und extrem wissenschaftlich.
Dann folgt die öffentliche Bankrott-Erklärung von Bauer: «Wobei ich immer noch keine klare Antwort darauf habe, wie diese Phänomene zustande kommen.»
Journalist Hasler versucht am Schluss des Artikels, den Karren doch noch aus dem Sumpf zu ziehen: «Statistisch gesehen scheinen Psi-Phänomene tatsächlich zu existieren.» Da wissenschaftlich gar nichts nachgewiesen werden kann, flüchtet sich der Journalist in die Statistik. Und selbst diese gibt es nur scheinbar. Ein dürftiges Resultat einer «wissenschaftlichen Spurensuche» (Titel).
Repräsentative Untersuchungen zu diesem Phänomen gibt es nämlich nicht, weil sich seriöse Wissenschafter nicht dazu hergeben, einen offensichtlichen Unsinn zu untersuchen.
Wieso in aller Welt gibt sich der seriöse «Beobachter» dazu her, eine solch krude Titelgeschichte zu publizieren? Chefredaktor Andres Büchi gibt im Editorial gleich selbst die Antwort. Er sei begeistert gewesen, als ihm Felix Hasler das Thema vorgeschlagen habe. Deutlicher könnte Büchi seine esoterische Schlagseite nicht zum Ausdruck bringen.
Immerhin erfüllt Büchi am Schluss noch die journalistische Sorgfaltspflicht und gibt einem Skeptiker das Wort. Das rettet aber die verunglückte Übung nicht, die geneigt ist, die Volksverdummung zu fördern.
Vielleicht müssen wir jedoch dem «Beobachter» dankbar sein für den journalistischen Sündenfall: Der Artikel offenbart, dass vor allem psychisch Belastete Poltergeister «sehen», dass sie nicht nachweisbar sind und deshalb höchstens in unseren Hirnen herumspuken.
Aber sicher nicht hinter knarrenden Türen.
«Beobachter»-Chefredaktor Andres Büchi ist verärgert über den Vorwurf der Volksverdummung. Er schreibt: «Es ist zum Glück bis heute so, dass sich mit rein wissenschaftlich messbaren Resultaten bei weitem nicht alle Phänomene beschreiben oder erklären lassen, die wir auf der Welt, wie wir sie als Realität wahrnehmen, erklären können. Beispiele dafür sind folgende Fragen: Wie entsteht ein Gedanke im Hirn? Wie genau funktioniert der Placebo-Effekt, der sich wissenschaftlich belegen lässt? Was steckt hinter der‹spukhaften Fernwirkung›, die Einstein beschrieb, um die unerklärliche zeitgleiche Information zwischen verschränkten Teilchen in der Quantenphysik zu beschreiben? Der britische Forscher Rupert Sheldrake wiederum belegte mit wissenschaftlich sauberen Arbeiten signifikante Hinweise auf telepathische Wahrnehmungen von Hunden, die auf Handlungen ihres Herrn reagierten, auch wenn dieser kilometerweit entfernt war.»
Büchi fährt fort: «Es gibt sehr viele ernst zu nehmende Hinweise darauf, dass es Phänomene gibt, die sich bis heute nach rein wissenschaftlichen Kriterien nicht restlos erklären lassen. Wenn ein top-seriöser Neuropharmakologe und Hirnforscher über solche Phänomene schreibt, ohne sie bloss als Hirngespinste abzutun, hat das also nichts mit ‹Verdummung› oder einem ‹journalistischen Sündenfall› zu tun. Im Gegenteil. Spukphänomene, Telepathie und Geistergeschichten gab es zu jeder Zeit in allen Kulturen der Welt. Wer Leute, die solche Phänomene beobachtet haben oder untersuchen wollen, einfach als Spinner abtut, wird der Sache nicht gerecht und auch nicht der Wahrheitssuche.»
Da „entlarven“ Sie sich als Nicht-Wissenschafter. Eine wissenschaftliche Untersuchung, die nicht Ergebnis-offen gestartet wird, ist ebenfalls biased. Aber wahrscheinlich scheitert eine wissenschaftliche Arbeit a) schon bei der Problembeschreibung. Und b) wird (auch via Geldgeber) Wissenschaft von Politik und Öffentlichkeit beeinflusst.
Und Statistik soll nicht wissenschaftlich sein?!?