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Religionsfreiheit in den USA: Guter Vorwand für Schwulen-Hass

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Religionsfreiheit in den USA: Die Nobel-Mogelpackung für Bigotterie und Schwulen-Hass

23.04.2016, 07:5024.04.2016, 11:50
Hugo Stamm
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In den USA gehen Frauen regelmässig auf die Strasse, um sich gegen neue Bestimmungen zur Abtreibung zu wehren.
In den USA gehen Frauen regelmässig auf die Strasse, um sich gegen neue Bestimmungen zur Abtreibung zu wehren.
Bild: Rogelio V. Solis/AP/KEYSTONE

Die Welt spinnt, gerät völlig aus den Fugen und brennt an allen Ecken und Enden. Der Nahe Osten ist ein Pulverfass, die islamische Welt ist in Geiselhaft der Islamisten. Erdogan macht den Pfau, Libyen, Somalia und Eritea kollabieren, Putin entwickelt neue Machtfantasien und träumt von der Weltherrschaft.

Nirgends auf der Welt wird die Religionsfreiheit so hochgehalten wie in den USA. Gleichzeitig ist kaum ein anderes Land so bigott und vollgestopft mit Doppelmoral.

Zum Glück gibt es noch die USA, den letzten stabilen Faktor auf unserem inferioren Planeten. Bei näherer Betrachtung scheint aber auch dies nur eine Illusion zu sein. Wer einen eitlen Popanz und politischen Eunuch zum Präsidentschaftskandidaten macht – die Rede ist von Donald Trump –, setzt den Weltfrieden aufs Spiel. Und wer einen christlichen Fundi wie Ted Cruz als Alternative präsentiert, müsste sich fragen, ob er reif für die Demokratie ist.

Glaubensgemeinschaften mit Machtanspruch

Womit wir beim eigentlichen Thema wären. Nirgends auf der Welt wird die Religionsfreiheit so hochgehalten wie in den USA. Gleichzeitig ist kaum ein anderes Land so bigott und vollgestopft mit Doppelmoral wie die westliche Weltmacht.

Was nach einem kolossalen Widerspruch klingt, ist völlig stimmig. Die Religionsfreiheit in den USA dient nicht in erster Linie dazu, den Bürgern einen grossen religiösen Freiraum zu bewahren. Nein, sie wird dazu missbraucht, den Glaubensgemeinschaften einen schier unbegrenzten Spielraum zu gewähren, der jeden Schabernack erlaubt.

So spielen in den USA die strenggläubigen Christen eine wichtige Rolle. Kein Kandidat kommt darum herum, sie links (respektive rechts) liegen zu lassen oder ihnen den Schmus zu bringen.

Der Einfluss der christlichen Fundis zeigte sich in diesen Tagen im US-Staat Mississippi, der ein Gesetz erlassen hat, das den schönen Namen «Religious Liberty Accommodation Act» trägt.

Adoptionsagenturen dürften Paare abweisen, die vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten. Beweise müssten sie nicht erbringen.

Religionsfreiheit ist immer gut, denkt der durchschnittliche Amerikaner. Doch hinter der noblen Verpackung verbirgt sich ein menschenrechtswidriger Inhalt. Das Gesetz dient nämlich dazu, zahlreiche Grundrechte zu beschneiden und Homosexuelle zu diskriminieren.

Erinnerungen an «Kauft nicht bei Juden»

Es sieht beispielsweise vor, dass Personen und Unternehmen keine Geschäfte mit gleichgeschlechtlichen Paaren mehr abschliessen müssen, sofern der Deal ihre religiösen Gefühle verletzt. Ausserdem könnten sich Organisationen und Institutionen weigern, Homosexuelle zu bedienen. Das erinnert fatal an die Geschichte, als es hiess: «Kauft nicht bei Juden».

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bild via google 

Konkret: Staatliche Behörden und Firmen wären befugt, transsexuelle Personen fristlos zu entlassen, ohne die Massnahme zu begründen. Weiter dürften Adoptionsinstitutionen Paare abweisen, die vorehelichen Geschlechtsverkehr hatten. Beweise müssten die Stellen nicht erbringen, der Verdacht auf Sex vor der Ehe würde genügen. Sie werden vermutlich Gott als Lügendetektor einsetzen. Der ist schliesslich unfehlbar. Fast wie der Papst.

Für Gläubige aus radikalen Freikirchen ist Homosexualität ein Beweis für das satanische Wirken des Teufels auf der Erde.

Die Empörung der Bürger, die nicht zum christlich-fundamentalistischen Lager gehören und nicht nur mit dem religiösen Wurmfortsatz denken, ist gross. Sie bekamen bei ihrem Protest prominente Unterstützung. Die Rockstars Bruce Springsteen und Bryan Adams sagten ihre Konzerte ab.

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Der zuständige Gouverneur Phil Bryant versteht den Protest nicht: «Wer sich Sorgen um die Menschenrechte macht, muss verstehen, dass auch gläubige Menschen Rechte haben», sagte er. Das Gesetz schütze diejenigen Leute, die die Ehe ausschliesslich als Institution für heterosexuelle Paare betrachteten. Die Argumentation ist so verquer wie der Glaube, Gott habe das Gesetz genehmigt.

Für Gläubige aus radikalen Freikirchen ist Homosexualität ein Beweis für das satanische Wirken des Teufels auf der Erde. Ein Ausdruck von Sodom und Gomorrha. Da fällt ihnen nur die Redewendung «Pfui Teufel» ein.

Womit einmal mehr bewiesen wäre, dass christliche Nächstenliebe und Barmherzigkeit aufhören, wo die religiös motivierte Homophobie beginnt. 

Auch in Indiana wüten christliche Fundis. Gouverneur Mike Pence hat ein Gesetz unterschrieben, das Abtreibungen erschweren soll. Besteht der Verdacht, dass ein Fötus das Downsyndrom (früher auch als Mongoloismus bekannt) aufweist, darf er nicht mehr abgetrieben werden.

Tote Föten müssen bestattet werden

Weiter verlangt das Gesetz, dass Föten bei einer Fehlgeburt gleich zu behandeln sind wie verstorbene Menschen: Sie müssen begraben oder kremiert werden. Der Hintergrund: Für christliche Fundis sind schon Embryonen Wesen mit einer vollwertigen Seele.

Frauenproteste in Indiana. 
Frauenproteste in Indiana. Bild: AP/The Indianapolis Star
Die Frauen von Indiana rufen ihre Mitstreiterinnen dazu auf, dem Gouverneur Rapporte über ihre Blutungen zu schicken.

Frauen in Indiana sind empört und laufen Sturm. Sie decken Gouverneur Pence mit geharnischten Briefen ein. Sie klären ihn auf, dass jede Menstruation eine Fehlgeburt sein könne, was sie nicht einmal realisieren würden.

Die Frauen von Indiana rufen ihre Mitstreiterinnen dazu auf, dem Politiker Rapporte über ihre Blutungen zu schicken und ihn um Rat zu fragen. Der Gouverneur lässt sich von den aufgebrachten Frauen aber nicht verunsichern. Er habe gebetet, als er das Gesetz unterschrieben habe, liess er sie wissen. 

Christliche Überzeugungstäter glauben deshalb, dass Gott mit dem neuen Gesetz einverstanden ist und es abgesegnet hat. Und so wird einmal mehr die religiöse Verblendung zum Aberglauben, unter dem breite Bevölkerungskreise leiden müssen. Denn fromme Politiker glauben, Gott leite ihre politische Agenda. Schöne neue Welt, die fröhlich weiter spinnt.

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Hugo Stamm
Glaube, Gott oder Gesundbeter – nichts ist ihm heilig: Religions-Blogger und Sekten-Kenner Hugo Stamm befasst sich seit den Siebzigerjahren mit neureligiösen Bewegungen, Sekten, Esoterik, Okkultismus und Scharlatanerie. Er hält Vorträge, schreibt Bücher und berät Betroffene.
Mit seinem Blog bedient Hugo Stamm seit Jahren eine treue Leserschaft mit seinen kritischen Gedanken zu Religion und Seelenfängerei. Neu befasst er sich mit dem Thema wöchentlich auf watson.

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51 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Rick Blaine
23.04.2016 11:59registriert Februar 2014
Egal welche Religion: Das Problem ist nicht ein Buch, sondern die eigene Interpretation davon. Fundis verteidigen nicht ein Buch, sondern ihre Auslegung davon. Deshalb gibt es auch in jeder Religion abstruse Gruppierungen. Wie die Westboro Baptist Church. Oder die Gruppierung, die verbietet Dualies zu fahren(Autos mit Doppelbereifung auf der Hinterachse). Grund? Die Form des Autos erinnere an ein weibliches Becken (sic!)Glaube ist nur gesund,wenn er zu mehr Freiheit führt. Religion hingegen braucht Gesetzlichkeit, Schuld und Scham. Daraus kann nur der"Leiter" Kapital(Geld und Macht) schlagen.
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Sapere Aude
23.04.2016 11:12registriert April 2015
Nicht ohne Grund gründen die Menschenrechte auf moralische Theorien die unabhängig sind von religiösen Vorstellungen. Jemand der solch diskriminierende Gesetz verfasst, hat das Konzept Menschenrechte nicht verstanden. Die Freiheit eines jeden einzelnen ist durch die Freiheit der anderen begrenzt.
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Salvatore Escoti
23.04.2016 13:03registriert April 2016
Nun ja, ich bin Schwul und muss leider sagen, die Bibel ist tatsächlich gegen Schwule. Wenn ein Mensch tatsächlich die Bibel als Gottes Wort betrachtet, dann MUSS dieser Mensch Schwule verabscheuen. Viele versuchen die Bibel und die dort zum Teil auch gewalttätigen Ausagen, zu relativieren, aber da gibt es nichts schön zu reden, laut der Bibel sind Schwule verabscheuungswürdig! Man sollte nicht immer die Christen kritisieren, sondern direkt die Bibel...
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