Blogs
Yonnihof

Ich, ein Kind der 90er

Bild
Bild: shutterstock
Yonnihof

Ich, ein Kind der 90er

23.06.2015, 12:42
Mehr «Blogs»

Kürzlich ertappte ich mich dabei, wie ich «Während minere Jugendziit» sagte. Und das ganz ohne Sarkasmus. Das ist einer dieser Aussprüche, wie sie eigentlich den Eltern und den Grosseltern vorbehalten sind, wenn sie von der Apfelernte, dem Attentat auf JFK oder lustigen Reisen mit dem VW-Bus in Länder erzählen, wo man heute nicht mehr hinkann, weil irgendein Wahnsinniger den Finger auf dem Abzug von Atomwaffen hat.

«Die gute alte Zeit», wie sie so gern genannt wird, als man Liebe machte und nicht Krieg und man sich auf der Strasse noch Grüezi sagte. Früher, «als alles besser war». Und obwohl das natürlich alles überidealisiert wird und jede Zeit für sich ihre gesellschaftlichen und politischen Probleme hatte, ich finde Nostalgie für die eigene Jugend etwas Schönes. Wenn nicht dafür, wofür dann?

Es ist die Zeit, die einen für immer prägt, in der man die Welt verändern will. Man mag die Musik, so schrecklich sie für alle anderen Generationen auch gewesen sein mag, auch mit 50 noch. Nicht, weil sie sonderlich hochqualitativ oder anspruchsvoll gewesen wäre, sondern weil man dabei durch die Höhen und Tiefen der eigenen Jugend ging und sich der unglaublich schwierigen Aufgabe stellen musste, herauszufinden, wer man eigentlich ist und was zum Teufel man mit sich anfangen will.

Ich bin ein Kind der 90er. 1982 geboren, durchlief ich diese prägende Phase so zwischen 1992 und 2000. Und es war tatsächlich eine grossartige Zeit, damals.

Ja, damals. Als wir in der Badi unser ganzes Sackgeld für diese sauren, grünen Nudeln ausgaben und uns damit vollstopften, bis wir Bauchweh bekamen. Vorher gab es noch Cocifröschli und Foifermöcke, aber die liessen wir links liegen, weil das «was für Kinder» war. Ein weiterer Liebling am Kiosk waren diese scharfen Zimtbälle. Kennen Sie die noch? Diese einzeln verpackten, roten, harmlos ausschauenden Zuckerbälle, die sich, nachdem die äusserste Zuckerschicht weggelutscht war, in ein kleines Stückchen Mordor im Mund verwandelten und einem beinahe die Zunge wegätzten. Die Challenge bestand dann jeweils darin, das Teil so lange wie möglich im Mund zu behalten. Der Gewinner schmeckte zwar im Anschluss ein paar Stunden nichts, aber hey, gewonnen ist gewonnen, gäll.

Den Rest unseres Taschengeldes gaben wir für diese Dinger aus... Diese... Hm. Ja, ich gebe zu, ich musste das via Google recherchieren: Schnappbänder. Diese mit buntem Kunststoff überzogenen Metall- oder Plastikbänder, die man sich ums Handgelenk schlagen konnte. Ich liebte sie!

Etwas später bearbeitete ich meine Eltern so lange, bis ich zu meinem elften Geburtstag eine Pop-Swatch bekam. Sie war mein ganzer Stolz – bis sie am dritten Tag einen Sprung in der Plastikfassung bekam und immer wieder herausfiel, sodass ich sie nach kürzester Zeit verlor – aber natürlich nur die Uhr, das Bändeli blieb mir als trauriger Reminder an schönere Tage. Nach wie vor eines der grossen Traumata meiner Kindheit.

Ich war, ich gebe es zu, auch einer dieser Teenager, die gefühlte Millionen dieser Plastiknuggis um den Hals trug. Wie zur Hölle konnte sowas jemals cool werden? Ich kann mich erinnern, dass meine Freundinnen und ich tatsächlich rote «Strieme» am Nacken hatten, weil am Lederbändeli circa zwei Kilo Plastik in Nuggiform hingen.

Ja, ich war auch eins der Mädchen, die sehr bitterlich weinten, als Kurt Cobain sich das Leben nahm. Selbstverständlich verstand ich mit meinen damals zwölf Jahren die Texte von Nirvana noch nicht, aber es war die Musik meiner beginnenden Pubertät und der Pubertät anderer und wir waren alle ganz niedergeschmettert, als der blonde Sänger sich in sein eigenes Nirvana beförderte. «Es ist besser zu verbrennen als zu verblassen», schrieb er in seinem Abschiedsbrief und wir alle fühlten uns – vor dem «Jugenträff» auf dem Dorfplatz sitzend – sehr verstanden.

Nirvana und die Ärzte und die Toten Hosen hörten wir – das war’s dann aber auch mit Musik mit Substanz. Denn wir hörten auch «Hyper Hyper», «Cotton Eye Joe» und ganz ganz viel DJ BoBo. Am liebsten an einem Feez im Keller eines Schuelgspähnli. Da wurden in Kartontellern Flips und Chips aufgestellt und wenn der Veranstalter der Party wirklich cool war, dann besorgte er Schwarzlicht und ein Strobo. Da tanzten wir dann zu 2Unlimited, Dr. Alban und Captain Jack. Wie wir genau dazu tanzten, habe ich verdrängt. Ist wohl auch besser so.

Und natürlich tanzten wir auch «eng». Obwohl «eng» als Adjektiv reichlich übertrieben ist, denn meist legten wir Mädchen unsere Hände mit ausgestreckten Armen auf die Schultern der Jungs, wackelten drei bis vier Minuten ein bisschen hin und her und verzogen uns dann, nachdem die Kelly Family fertig gesungen hatte («Fell in Love with an Alien»? Wirklich? WTF?), wieder in die Jungen- bzw. die Mädchenecke.

Und doch erinnere ich mich an grosse Liebesdramen, die sich bereits in der 6. Klasse am Feez abspielten, an Mädchengruppen draussen auf der Treppe, die der etwas frühreifen Mirjam immer wieder einbläuten, «er sei’s nicht Wert, er sei’s einfach nicht Wert, Miri».

Tja, und in der Sek kamen dann die Adidas-Hosen. Die mit den Knöpfen an der Seite. Wofür auch immer die da waren. Und die Plateau-Schuhe. Diese wirklich ganz schrecklich hässlichen, klobigen, schwarzen. Hatte ich natürlich alles auch.

Lustigerweise finden sich genau diese Schuhe heute wieder in Geschäften und an den Füssen von sehr vielen Hipstermeitli hier in der Stadt. Gewisse Trends lassen sich wohl – leider oder glücklicherweise? – nicht töten.

Ich erinnere mich gerne an meine Jugend – obwohl ich sie damals wohl ganz schrecklich düster und grässlich fand. So, wie eine Jugend in der Pubertät halt sein muss. Die Zeit, in der man sich fragt: Who am I? What am I doing here? What is love?

Baby don’t hurt me, don’t hurt me, no more... 

Bild
Yonni Meyer
Yonni Meyer schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen –direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. 

Pony M. auf Facebook

Yonni Meyer online

Kennst du schon die watson-App?

Über 100'000 Menschen nutzen bereits watson für die Hosentasche. Unsere App hat den «Best of Swiss Apps»-Award gewonnen und wird von Apple als «Beste Apps 2014» gelistet. Willst auch du mit watson auf frische Weise informiert sein? Hol dir jetzt die kostenlose App für iPhone/iPad und Android.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
30 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Lorian
23.06.2015 17:17registriert Mai 2015
Heilige BimBam! Genau so wars! Wir tanzten zwar an der Feez beim Gspöndli im Keller schon ziemlich sehr eng. Aber das wars dann auch schon. Als ich in der 6. Klasse mit meiner ersten Freunding «ging», bedeutete dies, wir schrieben uns regelmässig Liebesbriefe auf kitschigem Briefpapier (Bild von einem Strand mit violettem Mond und der Wolf durfte natürlich nicht fehlen. Ein Wolf war immer da!). Geschrieben wurde der Brief mit bunten «Flirt»-Stiften (so hiessen die wirklich - kennt die noch jemand?). Gerdet haben wir in diesem schönsten Jahr meines Lebens wohl nicht mehr als ein paar Worte.
300
Melden
Zum Kommentar
avatar
Elexys Vi
23.06.2015 13:59registriert März 2015
Baby don't hurt me... Don't hurt me... No more.
262
Melden
Zum Kommentar
avatar
Kyle C.
23.06.2015 14:02registriert Oktober 2014
Ich kann jede Zeile nachempfinden und amüsier mich sehr darüber. Danke. Aber ich frage mich schon seit längerer Zeit, weshalb die watson-Redaktion derart vom Nostalgie-Virus befallen ist. Diese Art von - zugegebenermassen witzigen - Artikeln erscheinen gefühlt jeden zweiten Tag auf diesem Portal. Vielleicht solltet ihr beim nächsten Nostalgie-Schub einfach einen Raider essen.... ;)
284
Melden
Zum Kommentar
30
Darf ich den Baum des Nachbars zurückschneiden?
«My home is my castle, my garden is my paradise». In den helvetischen Gärten Eden setzt das Nachbarrecht der Gestaltungsfreiheit jedoch die eine oder andere Grenze.

Während sich in Australien 3.4 Personen einen Quadratkilometer teilen, leben in der Schweiz etwa 212 Personen auf derselben Fläche. Das ist eng und bereits ein Ast, der vom nachbarlichen in den eigenen Garten ragt, kann zu viel des Guten sein. So dürfen denn die Kantone auch Vorschriften erlassen, wie nah an deinem Grundstück der Nachbar Büsche und Bäume pflanzen darf.

Zur Story