Blogs
Yonnihof

Yonni Meyer: Sleepless in Züri

Sleepless in Züri

Bild: shutterstock
Yonnihof
Chronik einer schlaflosen Nacht.
19.04.2017, 07:1919.04.2017, 13:10
Mehr «Blogs»
Yonnihof Yonni Meyer

Wir alle gehen mit Stress unterschiedlich um. Einige von uns werden aggressiv, andere lethargisch, manche bekommen Bauchweh, andere hören auf zu essen (offensichtlich nicht mein Problem). 

Ich für meinen Teil kann nicht schlafen.  

Also schon ganz generell nicht, aber wenn mir etwas über die Leber gekrochen ist, tue ich ganze Nächte kein Auge zu. Und bevor jetzt – ohne Zweifel sehr gut gemeinte – Tipps auftauchen: Meine Schlafstörungen habe ich, seit ich ein Kind bin. Ich habe alles versucht. Autogenes Training, Yoga, Sport, bestimmte Ernährung, Medis ... Die Psyche sucht sich ihren Platz, ob man das will oder nicht. Irgendwo rumort's dann. Im Bauch oder im Herzen – oder halt eben im Gehirn. Bei mir rumpelt's im Stammhirn, im Thalamus und im Hypothalamus.  

Am schlimmsten ist's, wenn ich mit jemandem in Unfrieden auseinander bin. Ich hasse das. Mein Hypothalamus auch. Damit meine ich natürlich nicht den Fremden, der mir in der S-Bahn seine Tasche um die Ohren geknallt und sich danach nicht entschuldigt hat (Tubel!), sondern schon Menschen, die mir in irgendeiner Form etwas bedeuten.  

Es ist also nun 4 Uhr 45 und ich will niederschreiben, wie so eine Nacht sich abspielt.  

4 Uhr 45. Da kommt mir erneut Sarah Kane in den Sinn, über die ich gerade gestern etwas gepostet habe. Sie schrieb einst ein Stück, das «4.48 Psychose» hiess. Kane, an fürchterlichen depressiven Episoden leidend, erwachte jeweils um 4.48 Uhr morgens und war für kurze Zeit zu klarem Denken imstande. Ich – und nun ist's tatsächlich gerade 4.48 Uhr – kann kaum einen klaren Gedanken mehr fassen, so sterbensmüde bin ich. Ich muss beim Schreiben fast jedes zweite Wort korrigieren, so zerfahren ist meine Konzentration.  

Nächte wie diese – und keine Sorge, liebe/r LeserIn, sie kommen mittlerweile äusserst selten vor – verlaufen in Stadien.  

Gegen Mitternacht lege ich mich ins Bett. Wir kennen das ja: Gewisse Sorgen verschwinden nach einer guten Portion Schlaf. «Morgen ist's wieder gut», sagte ich mir. «Auf jeden Fall», sagte meine Erfahrung. «Eh», sagte meine Vernunft.  

Mein Thalamus so: «Meinsch ...?!»  

Und so beginnt das Rattern in meinem Hinterstübchen. Ich beine das, was mich beschäftigt, auseinander, interpretiere, überinterpretiere, hinterfrage, durchdenke, überdenke... Wäre ich eine Comic-Figur, es würde mir zu diesem Zeitpunkt mit einem lauten Loki-Pfiff der Dampf aus den Ohren kommen. Das dauert dann eine Weile, bis ich mir selber sage, ich solle mich hueresiech mal zusammenreissen. Seitenlage. Rückenlage. Andere Seite. BÄH.  

Meist stehe ich – nach ein paar Versuchen des Weglangweilens in Meditationsform – irgendwann wieder auf. HÄT DOCH KÄN WÄRT! Lese. Schaue eine Folge einer Serie. Oder zwei. Oder acht. Sollte man nicht, weiss ich schon. Aber liegen Sie mal vier Stunden völlig erschöpft im Bett, während in Ihrem Schlafzentrum die Neuronen Samba tanzen. EEEEEEEH MACARENA!

Meist habe ich so gegen drei Uhr die brillantesten Ideen. Zum Beispiel Online-Shopping. Wer braucht schon keinen Designer-Käsehobel? Mega klug. Ah nei. Eine Freundin von mir ordnete einst bekifft die mehrere tausend Exemplare umfassende Bibliothek ihres Vaters nach Farben. Dieser Gedanke erscheint auch mir in solchen Momenten extrem verführerisch. Hauptsache etwas zu tun.  

Kleiner Exkurs: Wussten Sie, dass Word das Wort «bekifft» nicht kennt? Jetzt wissen Sie's. Und ich auch.  

Egal. Vielleicht mal raus an die frische Luft? Draussen schneit's. SPINNSCH EICH, PETRUS? Dann vielleicht in die Badewanne. Macht glückliche Nachbarn, so morgens um 3.17 Uhr. Obwohl, die haben amigs am Montagmorgen um 7.00 Uhr so laut Sex, dass ich trotz Ohropax davon erwache. Uncool. Also nicht der Sex, an sich ist das ja die einzig wahre Variante, einem Montagmorgen zu begegnen (High 5, liebe Nachbarn) – aber ob sie dabei wirklich so laut sein müssen, dass sie sogar ein 100-jähriger, tauber Inuit in Alaska hören kann, sei dahingestellt. Gibt’s in Alaska Inuit? Ja? Nein? Oder nur in Grönland? Oder nur in Alaska, dafür in Grönland nicht? Ich bin zu faul zum Googlen. Da sehen Sie mal, was der Unschlaf aus mir macht, geschätzte Leserschaft. Eifach mal öpis behaupte.  

Manchmal lande ich in solchen Nächten auch auf lustigen Internetseiten. Und damit meine ich nicht Pornhub – das bekomme ich dann ja live um 7.00 Uhr. Nein, ich meine eher etwas wie die Page der Migros. «Migipedia». Allein schon dieses Wort. Bekommt man grad ein wenig Gänsehaut, nicht? Da kann ich Stunden damit zubringen, Artikelbewertungen zu lesen. So landete ich einst, keine Ahnung mehr, wann, auf der Seite mit dem Budget WC-Papier. Da hatte ein sehr enttäuschter Kunde moniert, das Papier sei, seit es die neue Prägung habe, einfach nicht mehr dasselbe. Es war herzerwärmend. Solche Geschichten gehen einem dann schon nahe, so um 3.49 Uhr. Leider konnte ich die Bewertung nun nicht mehr finden, oder ich hätte Sie, liebe LeserInnen, selbstverständlich an diesem rührenden Stück Prosa teilhaben lassen.  

Manchmal werde ich irgendwann so müde, dass vor meinen Augen alles verschwimmt. So auch dieser Text in diesem exakten Moment. Es ist wahnsinnig anstrengend, das hier zu schreiben. Aber sobald ich mich ins Bett lege, macht's in meinem Kopf «HYPER HYPER» und die Gedanken kreisen wieder wild durch die Gegend, meist schon lange nicht mehr um das Thema, welches mich ursprünglich vom Schlafen abgehalten hat. Das ist das Gute an schlaflosen Nächten: Irgendwann ist man so hinüber, dass einem alles egal ist.  

Gegen sechs Uhr führe ich meist tiefsinnige Dialoge mit meinem eigenen Gehirn, wobei ich immer verliere. Ja, ich verliere gegen mein eigenes Gehirn, das muss man erst mal fertig bringen.

«Was machsch eich so mit dim Läbe?»

«Wie gaht's de 3. Süüle?»

«Wiso chläbt Cementit eich nöd ine a de Tuube?»

«Du häsch immerna d’Titanic-Videokassette vomene Schuelgspähnli, wo’d 1999 usglehnt häsch!»

«What is Love? Baby don’t hurt me ...»  

Gegen 7 Uhr drifte ich endlich langsam ins so sehr herbeigesehnte Traumland hinüber ...  

Pünktlich zum Beischlaf meiner Nachbarn.

Yonni Meyer
Yonni Meyer (35) schreibt als Pony M. über ihre Alltagsbeobachtungen – direkt und scharfzüngig. Tausende Fans lesen mittlerweile jeden ihrer Beiträge. Bei watson schreibt die Reiterin ohne Pony – aber nicht weniger unverblümt. 

Pony M. auf Facebook

Yonni Meyer online

Hol dir jetzt die beste News-App der Schweiz!

  • watson: 4,5 von 5 Sternchen im App-Store ☺
  • Tages-Anzeiger: 3,5 von 5 Sternchen
  • Blick: 3 von 5 Sternchen
  • 20 Minuten: 3 von 5 Sternchen

Du willst nur das Beste? Voilà:

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
20 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
freyar_geist
19.04.2017 08:23registriert November 2016
Liebe Frau Yonni, so schön geschrieben! Merci. Und Sie sind nicht alleine! Ich esse dann jeweils um vier Uhr früh wie ein Hobbit mein erstes Frühstück. Manchmal hilft mir das, vor halb sechs Uhr wieder einzuschlafen. Bestimmt denke ich bei meiner nächsten schlaflosen Episode an Sie, doch ich verspreche: Nur soviel, damit ich Sie nicht aufwecke.
364
Melden
Zum Kommentar
avatar
Geogräfin
19.04.2017 08:53registriert Februar 2015
hey Pony! Das känni. Und das Gemeine ist ja noch: wenn man am nächsten Morgen aufstehen muss (es soll ja noch Leute geben, die studieren und/oder arbeiten müssen), ist alles noch viel schlimmer.
Schön zu hören dass ich nicht alleine bin.
Din dem Sinne: schlaf guet!
344
Melden
Zum Kommentar
20
Fuck you, Finn!
Valentina ist verliebt. Nicht in mich. In Finn. Der Loser der Situation: ich.

Valentina war endlich wieder Single. Also, sie war immer Single, aber eine Weile gab's ja neben mir noch einen anderen Typen, Marcel. Dass es Marcel gab, fand ich nicht gut, aber ich durfte es natürlich nicht «nicht gut» finden, weil, Valentina und ich haben ja keine monogame Beziehung, wir haben gar keine Beziehung, was wir beide gut finden, aber wir haben auch nicht nichts, was auch gut ist, aber wenn dann da noch so ein Horst, respektive Marcel, ist, dann ist, was wir haben, natürlich bisschen weniger gut. Aus verschiedenen Gründen. Sie war öfter, wenn ich sie treffen wollte, «busy». Was sie machte, sagte sie nie, musste sie auch nicht, wusste ich eh: Marcel. Sie war auch eher mal «zu müde». Warum, war mir ebenfalls klar. Ich fand die Situation, je länger sie gedauert hat, nicht besser, aber ich habe mich damit abgefunden.

Zur Story