Es gab eine Zeit in Thomas' Leben, da konnte er sich nicht zwischen zwei Frauen entscheiden. Mit seiner Freundin ist er glücklich, doch dann trifft er seine Jugendliebe wieder und verliebt sich neu. «Ich wollte herausfinden, ob es mit ihr noch funktionieren könnte», sagt Thomas, der seinen Nachnamen nicht nennen möchte.
Deshalb will er sie ein- bis zweimal im Monat treffen, bis er sich sicher ist. Dafür braucht er Ausreden für seine Freundin zu Hause. Die liefert ihm Stefan Eiben. Dessen Alibi-Agentur im norddeutschen Bremen schickt fingierte Einladungen zu Seminaren in anderen Städten. «Meine Freundin hat keinen Verdacht geschöpft», erzählt Thomas.
Solche Fälle sind Alltag für Eiben. Der 40-Jährige verpasst seinen Auftraggebern wasserdichte Alibis, sei es mit falschen Einladungen, anonymen Hotelreservierungen, abgesprochenen Telefonaten, Postkarten aus dem Ausland - oder mit Hilfe von Schauspielern. Wer will, erhält sogar ein «permanentes Alibi» über Jahre.
«Wir bauen eine Legende auf, so dass der Kunde auch kurzfristig wegen angeblicher Termine weg kann», sagt Eiben. Der Auftraggeber wird so etwa zum Mitglied eines exklusiven Zigarrenclubs oder zum Vertreter.
«Wir statten ihn mit Prospekten und Visitenkarten aus», erklärt Eiben. Dabei könne seine Alibi-Agentur auf ein Netzwerk echter Unternehmen zugreifen. «Das sind meist Menschen, die selbst mal Kunden waren und uns unterstützen wollen.»
Oft gehe es den Auftraggebern nicht um das Geheimhalten einer Affäre. «Bei uns melden sich HIV-Infizierte oder Krebskranke, die ihre Krankheit Freunden und Geschäftspartnern verheimlichen wollen und einen Grund benötigen, um kurzfristig abtauchen zu können, wenn sie Schübe haben», erklärt Eiben.
Auch Arbeitslosen, die ihre Lage nicht preisgeben wollen, hat er schon zu fingierten Jobs verholfen - und Escort-Damen zu zweiten beruflichen Identitäten.
Einem Homosexuellen vermittelt er eine Schauspielerin: Der junge Mann wohnt noch bei seinen Eltern, die nichts von seiner sexuellen Neigung wissen sollen. Um seinen misstrauischen Vater zu besänftigen, kommt gelegentlich die Schauspielerin zu einem angeblichen Date vorbei.
Seit 15 Jahren betreibt Eiben seine Agentur «Alibiprofi». Auf die Idee kommt er damals aus Frust darüber, dass zwei Freunde kurzfristig den gemeinsamen Männerabend absagen: «Ihre Freundinnen wollten, dass sie zu Hause bleiben.»
Noch in der Nacht stellt er eine Website online, auf der er Alibis für solche Fälle anbietet. «Hätte ich noch eine Nacht drüber geschlafen, hätte ich das als Schnapsidee abgetan.» So aber bekommt er schnell Reaktionen; auch die Medien wurden aufmerksam. «Es lief wie verrückt. Es war, als hätte ich in ein Wespennest gestochen.» Inzwischen gibt es andere Alibi-Agenturen.
Eibens Firma beschäftigt fünf ständige freie Mitarbeiter, deutschlandweit sind es 20. Moralische Bedenken hat er nicht. «Die hätte ich eher, wenn ich meinen Job nicht machen würde.» Denn er habe schon vielen Menschen in scheinbar ausweglosen Situationen geholfen.
«Manche sprechen mit uns erstmals über ihre Lebenssituation», sagt Eiben. Das können Menschen mit Neigung zu bestimmten Fetischen oder auch Vergewaltigungsopfer sein. Illegale Handlungen unterstütze er nicht, auch wenn solche Anfragen immer wieder kämen: «Da antworten wir gar nicht drauf.» Und würde die Polizei einmal wegen eines Alibis nachfragen, liesse er den Kunden sofort auffliegen.
Thomas braucht die Dienste der Alibi-Agentur nach einem halben Jahr nicht mehr. Dann ist er sicher: Mit der Jugendliebe gibt es keine Zukunft. Das Doppelleben stresst ihn am Ende, er hat Gewissensbisse: «Das kann man nicht ewig machen. Aber die Zeit brauchte ich, ohne dass ich mir selbst permanent eine Ausrede organisieren musste.» (sda/dpa)